Jahresrückblick
Die EZB konnte 2023 ihre Fortschritte bei der Bekämpfung der Inflation im Euroraum festigen. Zu Beginn des Jahres lag die Gesamtinflation noch nahe ihrem historischen Höchststand. Die negativen Auswirkungen vorangegangener Angebots- und Nachfrageschocks ließen zwar nach, sorgten aber noch immer für höhere Preise. Zwei Entwicklungen waren schließlich maßgeblich dafür, dass die Inflation im Jahresverlauf deutlich zurückging.
Zum einen begannen die Auswirkungen vergangener Schocks zu schwinden. Die Energiepreise, die infolge des ungerechtfertigten Kriegs Russlands gegen die Ukraine in die Höhe geschnellt waren, fielen stark, und die weltweiten Lieferengpässe ließen weiter nach. Die sinkenden Energiepreise allein waren für die Hälfte des Inflationsrückgangs im Jahr 2023 verantwortlich. Zum anderen setzte die EZB ihre restriktive Geldpolitik fort. Über die Dämpfung der Nachfrage trug sie so zu einem weiteren Inflationsrückgang bei. Von Januar bis September hoben wir die Leitzinsen um insgesamt 200 Basispunkte an.
Angesichts des höchst unsicheren Umfelds verfolgten wir bei unseren Zinsentscheidungen weiter einen datengestützten Ansatz. Um genau zu ermitteln, wie stark die Zinsen steigen müssen, zogen wir drei Kriterien heran: die Inflationsaussichten, die Dynamik der zugrunde liegenden Inflation und die Stärke der geldpolitischen Transmission. Im September war erkennbar, dass sich die Inflationsaussichten verbessert hatten und die Geldpolitik kräftig auf die Wirtschaft durchwirkte. Jedoch blieb die zugrunde liegende Inflation bei starkem binnenwirtschaftlichen Preisdruck erhöht.
Auf dieser Grundlage entschieden wir, dass die EZB-Leitzinsen ein Niveau erreicht hatten, das – wenn es lange genug aufrechterhalten wird – erheblich dazu beitragen würde, die Inflation zeitnah auf unseren Zielwert zurückzuführen. Gleichzeitig verständigten wir uns darauf, die Zinsen so lange wie erforderlich auf diesem Niveau zu belassen und bei der Entscheidung über die angemessene Höhe und Dauer der restriktiven Zinspolitik weiterhin einen datengestützten Ansatz auf Basis derselben Kriterien zu verfolgen.
Parallel dazu trieben wir die Normalisierung der Eurosystem-Bilanz voran, damit sichergestellt ist, dass diese auch in Zukunft mit unserem allgemeinen Kurs im Einklang steht. Die Bilanz des Eurosystems schrumpfte 2023 um mehr als 1 Billion €. Ein großer Teil dieses Rückgangs war auf Fälligkeit und vorzeitige Rückzahlungen von im Rahmen unserer gezielten längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte aufgenommenen Mitteln zurückzuführen. Darüber hinaus stellten wir im Jahresverlauf die Wiederanlagen im Rahmen unseres Programms zum Ankauf von Vermögenswerten ein. Im Dezember kündigten wir an, die Wiederanlagen im Zuge des Pandemie-Notfallankaufprogramms auslaufen zu lassen.
Während wir unsere Fortschritte im Kampf gegen die Inflation festigten, arbeiteten wir weiter daran, klimabezogene Risiken bei der Erfüllung unserer Aufgaben mitzuberücksichtigen. Im März legten wir erstmals klimabezogene Finanzinformationen in Bezug auf die Portfolios des Eurosystems für Wertpapiere des Unternehmenssektors offen. Die CO2-Intensität der Wiederanlagen im Rahmen unseres Unternehmensanleiheportfolios sank innerhalb von zwölf Monaten um rund zwei Drittel, nachdem wir im Oktober 2022 damit begonnen hatten, diese stärker auf Emittenten mit besserer Klimabilanz auszurichten.
Auch im Zahlungsverkehr – ein weiterer wichtiger Aufgabenbereich – konnten wir 2023 bedeutende Fortschritte erzielen. Im März wurde das neue Großbetragszahlungssystem T2 erfolgreich gestartet. T2 löst als neues Echtzeit-Bruttoabwicklungssystem TARGET2 ab, das seit 2007 in Betrieb war, und optimiert die Steuerung von Liquidität in Form von Zentralbankgeld. So trägt T2 zur Harmonisierung und Effizienz der europäischen Finanzmärkte bei.
Außerdem haben wir 2023 die Vorbereitungsphase für das Projekt zum digitalen Euro eingeläutet. Dieser Projektabschnitt startete im November im Anschluss an die erfolgreiche zweijährige Untersuchungsphase. Nun sollen die Voraussetzungen für die mögliche Ausgabe eines digitalen Euro geschaffen werden. Ein digitaler Euro würde das Euro-Bargeld ergänzen, nicht ersetzen. Bargeld ist nach wie vor das von den Bürgerinnen und Bürgern im Euroraum am häufigsten genutzte Zahlungsmittel. Für eine große Mehrheit ist es wichtig, die Möglichkeit zur Barzahlung zu haben.
Aus diesem Grund arbeitet die EZB an einer neuen Serie von Euro-Banknoten – diesem greifbaren und sichtbarsten Symbol der europäischen Einheit. Der EZB-Rat hat „Europäische Kultur“ und „Flüsse und Vögel“ als zwei mögliche Themen für diese neue Banknotenserie ausgewählt. Diese Auswahl basierte auf den Ergebnissen zweier öffentlicher Umfragen im Sommer 2023. Die Menschen in Europa werden erneut die Gelegenheit bekommen, ihre Präferenzen zu verschiedenen Designs zu äußern. Die endgültige Entscheidung über das Aussehen der neuen Euro-Banknoten wird die EZB voraussichtlich 2026 treffen.
2023 feierten wir nicht nur das 25-jährige Bestehen der EZB, sondern hießen mit Kroatien auch ein neues Mitglied im Euroraum willkommen. Mit der Euro-Einführung in Kroatien im Januar stieg die Zahl der Euro-Länder auf 20 – das sind fast doppelt so viele Länder wie zu Beginn der Währungsunion. Das Wachsen des Euroraums zeigt, wie attraktiv unsere Währungsunion in einer zunehmend unsicheren Welt weiterhin ist. Die Zustimmung der Öffentlichkeit zum Euro blieb auch 2023 nahe ihrem Höchststand.
All das konnten wir nur dank der guten Arbeit und des großen Einsatzes der EZB-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter im Sinne unseres Mandats – der Gewährleistung von Preisstabilität für die Menschen im Euroraum – erreichen. Es ist mir eine Ehre, dieser Institution und den Menschen, die für sie arbeiten, vorzustehen.
Frankfurt am Main im April 2024
Christine Lagarde
Präsidentin
Das Jahr in Zahlen
Arbeitsmarkt im Euroraum robust | Inflation im Euroraum stark gesunken |
Die durchschnittliche Arbeitslosenquote im Euroraum lag 2023 bei 6,5 %. Sie sank von 6,6 % im Januar auf 6,5 % im März und blieb das restliche Jahr über weitgehend stabil. | Die Gesamtinflation im Euroraum lag im Dezember 2023 bei 2,9 % nach 9,2 % im Dezember 2022. Der Rückgang war über die einzelnen Komponenten hinweg zunehmend breit gestreut. |
Weitere Leitzinserhöhungen der EZB | Widerstandsfähigkeit der Banken im Euroraum weiter verbessert |
Die EZB hob ihre Leitzinsen 2023 um weitere 200 Basispunkte an. Der Einlagesatz erhöhte sich dadurch auf 4 %. Die geldpolitische Straffung schlug stark auf die Wirtschaft durch. | Die harte Kernkapitalquote der Banken im Euroraum lag im dritten Quartal 2023 bei 15,6 %. Damit lag sie nahe am höchsten Stand seit Beginn der europäischen Bankenaufsicht, was mit der höheren Rentabilität und dem Abbau von Risiken in den Bankenportfolios im Zusammenhang stand. |
Zahlungspräferenzen | Neue statistische Indikatoren der EZB zum Klimawandel |
Für 60 % der Bürgerinnen und Bürger des Euroraums ist es wichtig, mit Bargeld zahlen zu können. Gleichzeitig bezahlen etwas mehr als die Hälfte der Verbraucherinnen und Verbraucher im Euroraum lieber mit Karte oder anderen elektronischen Zahlungsmitteln. | Die EZB veröffentlichte drei neue statistische Indikatoren zu nachhaltigen Finanzinstrumenten, CO2-Emissionen und physischen Risiken im Rahmen ihres weiter gefassten Maßnahmenplans zur Berücksichtigung von Klimaschutzaspekten. |
25-Jahr-Feier der Europäischen Zentralbank | Dekarbonisierung des Bestands an Wertpapieren des Unternehmenssektors |
Die EZB feierte 2023 unter dem Motto „Der Wert von Einheit“ ihr 25-jähriges Bestehen und konnte dabei auf den Erfolg der gemeinsamen Währung und auf deren Vorteile für die Menschen in Europa aufmerksam machen. | Infolge der stärkeren ökologischen Ausrichtung der Wiederanlagen ab Oktober 2022 verringerte sich deren CO2-Intensität in den ersten zwölf Monaten um mehr als 65 %. |
1 Inflation merklich zurückgegangen, da Transmission der geldpolitischen Straffung der EZB weiterhin kräftig
Die Weltwirtschaft entwickelte sich 2023 besser als ursprünglich erwartet und expandierte weiter in moderatem Tempo. Ursächlich für die Expansion war vor allem das Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern und den Vereinigten Staaten. Die meisten anderen Industrieländer wurden hingegen stärker von den restriktiven Finanzierungsbedingungen und der beträchtlichen geopolitischen Unsicherheit beeinflusst. Weltweit ging die Teuerung angesichts sinkender Energierohstoffpreise merklich zurück, wobei der zugrunde liegende Preisdruck erhöht blieb. Der Euro legte in nominaler effektiver Rechnung und gegenüber dem US-Dollar zu.
Im Euroraum schwächte sich das Wirtschaftswachstum 2023 ab. Vor allem die Industrie wurde von den restriktiveren Finanzierungsbedingungen, den hohen Vorleistungskosten und der geringen weltweiten Nachfrage beeinträchtigt. Der Dienstleistungssektor hingegen wurde zunächst weiterhin durch die anhaltenden Wiederöffnungseffekte nach der Pandemie gestützt. Die Leitzinserhöhungen der EZB wirkten zwar kräftig auf die Wirtschaft durch, aber der Arbeitsmarkt erwies sich nach wie vor als recht widerstandsfähig. In den Ländern des Euroraums wurden die staatlichen Unterstützungsmaßnahmen weiter heruntergefahren, die als Reaktion auf die Pandemie und den Energiepreis- und den Inflationsschock ergriffen worden waren. Dadurch wurde die vorangegangene Lockerung des fiskalpolitischen Kurses zum Teil wieder zurückgenommen. Die Gesamtinflation verringerte sich im Euroraum deutlich, wozu hauptsächlich die Teuerungsrate der Energiepreise beitrug: Diese kehrte sich ins Negative, da sich die 2022 verzeichneten starken Energiepreissprünge zurückbildeten. Auch bei der zugrunde liegenden Inflation setzte eine Abschwächung ein. Diese Entwicklung untermauert den allgemeinen Disinflationsprozess und ist darauf zurückzuführen, dass der Einfluss der zurückliegenden Schocks nachlässt und die Effekte der geldpolitischen Straffung zunehmend spürbar werden. Allerdings wurde nun statt des außenwirtschaftlichen Drucks der binnenwirtschaftliche Preisdruck zum wichtigsten Inflationstreiber, da der Arbeitsmarkt die kräftige Dynamik der Nominallöhne begünstigte. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer strebten nämlich einen Ausgleich der zuvor erlittenen inflationsbedingten Kaufkraftverluste an.
1.1 Globale Wirtschaftstätigkeit moderat gestiegen bei zugleich rückläufiger Gesamtinflation
Moderates weltweites Wirtschaftswachstum vor dem Hintergrund der geldpolitischen Straffung und der hohen Unsicherheit
Die Weltwirtschaft expandierte auch 2023 in verhaltenem Tempo; die Wachstumsrate war mit 3,5 % gegenüber 2022 weitgehend unverändert (siehe Abbildung 1.1).[1] Das im historischen Vergleich verhaltene Wachstum fiel zu Jahresbeginn höher aus als erwartet und wurde trotz der fortgesetzten geldpolitischen Straffung durch die starken Arbeitsmärkte und die lebhafte Nachfrage nach Dienstleistungen gestützt.[2] Als Motor der globalen Konjunktur fungierte vornehmlich die Wirtschaftsaktivität in den Schwellenländern und den Vereinigten Staaten. In fast allen anderen Industrieländern wurde die Nachfrage indes zunehmend durch die restriktiven Finanzierungsbedingungen und die länger anhaltenden Auswirkungen geopolitischer Faktoren auf die Energiepreise belastet. In den USA zeigte sich die Wirtschaft dank der robusten Binnennachfrage und des starken Arbeitsmarkts resilienter als erwartet. Die zu Jahresbeginn aufgetretenen Spannungen im US-Finanzsektor hatten keine wesentlichen gesamtwirtschaftlichen Folgen. In China konnte sich die Wirtschaft zu Jahresbeginn zunächst erholen, nachdem im Dezember 2022 die außerordentlich restriktiven pandemiebedingten Maßnahmen gelockert worden waren. Diese Entwicklung endete jedoch anschließend durch einen erneuten Konjunktureinbruch im Wohnimmobiliensektor und die Schwäche der Binnen- und Auslandsnachfrage. Dennoch erreichte die chinesische Wirtschaft das von der Regierung angestrebte Wachstumsziel von rund 5 %.
Abbildung 1.1
Entwicklung des globalen BIP und seine Zusammensetzung
a) Globales Wachstum des realen BIP | b) Zusammensetzung des globalen Wirtschaftswachstums |
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Quellen: EZB, EZB-Berechnungen und Gesamtwirtschaftliche Euroraum-Projektionen von Fachleuten der EZB vom März 2024.
Anmerkung: „Globales BIP“ ohne Euroraum. Der Durchschnittswert vor der Pandemie bezieht sich auf die Zeit von 2012 bis 2019. Die Werte für 2023 sind Schätzungen auf der Basis der verfügbaren Daten und der gesamtwirtschaftlichen Projektionen der EZB vom März 2024.
Schwächere Dynamik des Welthandels, da sich Konsumverhalten nach der Pandemie normalisierte
Der Welthandel entwickelte sich 2023 schwach. Der Importzuwachs verlangsamte sich auf 1,2 % und lag damit weit unter der Steigerungsrate des Vorjahres von 5,5 % und dem Durchschnittswert vor der Pandemie (3,1 %).[3] Die Verlangsamung war auf drei wichtige Trends zurückzuführen: Erstens standen nun wieder Dienstleistungen statt Waren im Vordergrund der globalen Nachfrage, da die pandemiebedingten Einschränkungen vollständig aufgehoben wurden. Zweitens erhöhte sich der Anteil der Konsumausgaben an der Binnennachfrage. Konsumausgaben sind im Vergleich zu den Investitionen weniger handelsintensiv. Und drittens leisteten die Schwellenländer, in denen der Handel weniger stark auf konjunkturelle Änderungen reagiert, 2023 einen größeren Beitrag zur weltwirtschaftlichen Entwicklung. Trotz zunehmender Handelshemmnisse und obwohl Unternehmensumfragen darauf hindeuten, dass möglicherweise Wertschöpfungsketten verlagert werden, liegen bislang nur begrenzt Hinweise auf eine Fragmentierung der aggregierten Handelsströme vor.
Inflation rückläufig, aber zugrunde liegender Preisdruck weiterhin erhöht
Die am Verbraucherpreisindex (VPI) gemessene jährliche Gesamtinflationsrate in den OECD-Mitgliedstaaten ohne die Türkei ging 2023 gegenüber den zuvor verzeichneten hohen Ständen zurück, wofür die niedrigeren Energiepreise verantwortlich waren. Im Dezember sank sie auf 3,9 % und für das Berichtsjahr insgesamt auf 5,3 %, verglichen mit 7,3 % im Jahr 2022 (siehe Abbildung 1.2, Grafik a). Auch die Teuerung ohne Energie und Nahrungsmittel ging zurück, allerdings weit weniger stark. Dies lässt darauf schließen, dass weiterhin ein hoher und breit angelegter Preisdruck zugrunde lag. Ganz besonders deutlich wurde dies in den Industrieländern. Dort führte die angespannte Arbeitsmarktlage zu hohen Lohnzuwachsraten, wodurch der Preisauftrieb bei den Dienstleistungen an Persistenz gewann (siehe Abbildung 1.2, Grafik b).
Abbildung 1.2
Gesamt- und Kerninflationsraten im OECD-Raum
a) Gesamtinflation und Beiträge der Hauptkomponenten | b) Inflation in wichtigen Volkswirtschaften |
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Quellen: Nationale Quellen (aufbereitet von Haver Analytics), OECD und EZB-Berechnungen.
Anmerkung: EA: Euroraum. Inflationsrate in den OECD-Ländern ohne die Türkei. Berechnung anhand nationaler VPIs und der jährlichen Gewichte für die privaten Konsumausgaben zu Kaufkraftparitäten. Kerninflation ohne Energie und Nahrungsmittel. Die jüngsten Angaben beziehen sich auf Dezember 2023.
Preise für Energierohstoffe gesunken, da geringe Nachfrage die Angebotsengpässe mehr als ausglich
Die Preise für Energierohstoffe sanken im gesamten Jahr 2023 aufgrund der geringeren Nachfrage. Die Ölpreise fielen um 4 %, da die höhere Nachfrage aus China, die sich nach der Lockerung der Lockdown-Maßnahmen ergab, durch die schwache Ölnachfrage aus den Industrieländern mehr als aufgezehrt wurde. Auch die Auswirkungen der Angebotsdrosselung durch die OPEC+-Gruppe sowie die angebotsseitigen Risiken, die von geopolitischen Faktoren einschließlich der Sanktionen gegen Russland und des Nahostkonflikts herrührten, wurden durch die niedrigere Ölnachfrage mehr als ausgeglichen. Der Rückgang der Gaspreise in Europa war sogar deutlich stärker, denn der rückläufige Trend bei den Gaspreisen, der Ende 2022 eingesetzt hatte, setzte sich fort, und Gas verbilligte sich im Jahresverlauf 2023 um weitere 58 %. Der europäische Gasverbrauch lag nach wie vor unter den historischen Durchschnittswerten, da die Industrie weniger Gas nachfragte, die privaten Haushalte ihren Gasverbrauch reduzierten und in den Wintermonaten milde Temperaturen herrschten. Das stabile Angebot an Flüssigerdgas (LNG) ermöglichte es den europäischen Ländern überdies, mit gefüllten Gasspeichern in die Heizperiode zu starten. Trotz der gegenüber dem Vorjahr größeren Stabilität am europäischen Gasmarkt kam es aufgrund angebotsseitiger Risiken (z. B. Streiks an australischen LNG-Terminals) weiterhin zu Phasen mit starken Preisschwankungen. Dies macht deutlich, wie anfällig der europäische Gasmarkt in der Phase der Umstellung weg von russischen Gasimporten ist.
Euro legte in nominaler effektiver Rechnung und gegenüber dem US-Dollar zu
Vor dem Hintergrund erheblicher unterjähriger Schwankungen gewann der Euro auf der Basis von Jahresendwerten in nominaler effektiver Rechnung um 3,9 % sowie gegenüber dem US-Dollar um 3,4 % an Wert. Die Wechselkursentwicklung war in erster Linie von sich wandelnden Markterwartungen aufgrund geldpolitischer Veränderungen und eines volatilen Wirtschaftsausblicks geprägt. In der ersten Jahreshälfte kamen dem Wechselkurs des Euro zunächst die besseren gesamtwirtschaftlichen Bedingungen im Euroraum und die raschere geldpolitische Straffung zugute. Mitte Juli setzte dann ein Wertverlust der Gemeinschaftswährung gegenüber dem US-Dollar ein. Die breit angelegte Aufwertung der US-amerikanischen Währung war darauf zurückzuführen, dass dort unerwartet positive Wirtschaftsdaten veröffentlicht wurden und der Markt für eine längere Zeit einen restriktiveren geldpolitischen Kurs erwartete. Eine gegen Jahresende erfolgte Neubewertung des geldpolitischen Kurses vor dem Hintergrund sinkender Inflationsraten führte dazu, dass der Euro erneut aufwertete. Was die Währungen wichtiger Handelspartner anbelangt, so legte der Euro gegenüber der türkischen Lira, dem russischen Rubel, dem japanischen Yen und der norwegischen Krone deutlich zu. Gegenüber dem Pfund Sterling, dem Schweizer Franken und dem polnischen Zloty verlor er hingegen an Boden.
Zu den größten Risiken, die Ende 2023 für die weltwirtschaftlichen Wachstumsaussichten bestanden, zählten eine weitere Verschärfung der geopolitischen Spannungen, eine stärkere Abkühlung der chinesischen Wirtschaft und ein länger anhaltender Inflationsdruck, der eine straffere Geldpolitik als angenommen erfordern würde. Sollten derartige Risiken eintreten, würde sich die globale Wirtschaftstätigkeit verringern. Darüber hinaus blieben die weltweiten Rohstoffmärkte sehr anfällig für angebotsseitige Risiken, was wiederum die Inflation befeuern und das globale Wachstum 2024 belasten könnte.
1.2 Wirtschaftswachstum im Euroraum stagniert
Abgeschwächtes Wachstum im Euroraum, da sich Effekte der höheren Zinsen ausweiteten
Das reale BIP des Euroraums stieg 2023 um 0,4 %, nachdem es sich im Vorjahr um 3,4 % erhöht hatte (siehe Abbildung 1.3). Dabei leisteten die Binnennachfrage und der Außenhandel positive Wachstumsbeiträge. Von den Vorratsveränderungen gingen indes hemmende Impulse aus. Ende 2023 lag die Wirtschaftsleistung im Euroraum 3,0 % über dem Stand vor der Pandemie (also dem Schlussquartal 2019) bzw. 1,4 % über dem Stand des ersten Quartals 2022, als Russland die Ukraine überfiel. Die Wachstumsverlangsamung 2023 war zum Großteil auf die wirtschaftlichen Folgen des Krieges zurückzuführen, wobei die Auswirkungen auf die einzelnen Länder in Abhängigkeit ihrer jeweiligen Wirtschaftsstrukturen unterschiedlich waren. So wurde die Industrie insbesondere von der geldpolitischen Straffung, hohen Energiepreisen und einer sich abschwächenden weltweiten Nachfrage getroffen. Im Gegensatz dazu konnte sich der Dienstleistungssektor relativ gut behaupten, da er noch von den Effekten des Wiederhochfahrens der Wirtschaft nach der Pandemie profitierte. Allerdings weitete sich die Wachstumsschwäche gegen Ende des Berichtsjahrs aus. Zurückzuführen war dies auf den Einfluss der höheren Zinssätze, der in den einzelnen Wirtschaftssektoren zunehmend spürbar war, sowie auf die Übertragungseffekte von der schwachen Industrie auf den Dienstleistungssektor.
Abbildung 1.3
Reales BIP im Euroraum
Private Konsumausgaben stärker auf Dienstleistungen als auf Waren ausgerichtet
Der Anstieg der privaten Konsumausgaben schwächte sich 2023 merklich ab. In der ersten Jahreshälfte war eine Stagnation zu verzeichnen, da die nach wie vor positive Nachfrage nach Dienstleistungen durch den weiterhin rückläufigen Warenkonsum, gemessen an den Einzelhandelsvolumina (siehe Abbildung 1.4), ausgeglichen wurde. Im dritten Quartal erhöhten sich die privaten Konsumausgaben, denn der Konsum von Dienstleistungen der privaten Haushalte profitierte immer noch von den anhaltenden Effekten des Wiederhochfahrens der Wirtschaft und den wieder ansteigenden Ausgaben für Gebrauchsgüter. Der gesamte Warenkonsum, der auch Gebrauchsgüter mit mittlerer Lebensdauer und Verbrauchsgüter umfasst, ging angesichts restriktiverer Finanzierungsbedingungen weiter zurück. Insgesamt stiegen die privaten Konsumausgaben 2023 um 0,5 %. Die Ausgaben der privaten Haushalte wurden im Berichtsjahr zum Teil durch das real verfügbare Einkommen gestützt, da das nominale Lohnwachstum anstieg, die Inflation allmählich zurückging und das Beschäftigungswachstum robust blieb. Dennoch scheint die Übertragung der restriktiveren Finanzierungsbedingungen auf die Realwirtschaft die privaten Konsumausgaben belastet zu haben, während die Ersparnisse auf hohem Niveau blieben.
Abbildung 1.4
Produktion und Einzelhandel im Euroraum
Investitionen durch restriktivere Finanzierungsbedingungen gedämpft
Das Wachstum der Investitionen außerhalb des Baugewerbes – ein Näherungswert für die privaten Investitionen (ohne Wohnungsbau) – verlangsamte sich im gesamten Berichtsjahr.[4] Während im ersten Quartal 2023 angesichts der nachlassenden Lieferengpässe noch ein robustes Wachstum verzeichnet worden war, verringerten sich die vierteljährlichen Zuwachsraten allmählich, und die Investitionen sanken im vierten Quartal, da sich sowohl die Binnen- als auch die Auslandsnachfrage abschwächten, die Auftragsrückstände abgearbeitet waren, die Unternehmensgewinne zurückgingen und die Finanzierungsbedingungen sich verschärften. Auch die Unsicherheit im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dem Nahostkonflikt dürfte neben anderen Faktoren die Investitionsanreize für die Unternehmen geschmälert haben. Allerdings haben kräftige Gewinne, reichlich vorhandene Liquiditätsreserven und eine sinkende Verschuldung die Unternehmensbilanzen in den letzten Jahren im Schnitt gestärkt. Im Zusammenspiel mit Mitteln aus dem Programm „Next Generation EU“ (NGEU) zur Förderung von Digitalisierung und klimabezogenen Investitionen haben diese Faktoren dazu beigetragen, dass sich die Investitionen verglichen mit anderen Ausgabenkomponenten als recht widerstandsfähig erwiesen. Insgesamt erhöhten sich die Investitionen ohne Bauten 2023 um 2,9 %.
Die Bauinvestitionen schwächten sich auch im Jahresverlauf 2023 weitgehend ab. Ausschlaggebend hierfür war vor allem der Rückgang der Wohnungsbauinvestitionen aufgrund hoher Baukosten, des anhaltenden Anstiegs der Hypothekenzinsen und der Verschärfung der Kreditvergaberichtlinien der Banken, wodurch den privaten Haushalten der Zugang zu Finanzmitteln erschwert und die Nachfrage nach Wohnimmobilien gedämpft wurde. Andere Bereiche des Baugewerbes, wie der Tiefbau, zeigten sich aufgrund öffentlicher Investitionen in die Infrastruktur weiterhin widerstandsfähiger. Ende 2023 lagen die Bauinvestitionen 2,1 % über ihrem Vorpandemieniveau und sind damit im Berichtsjahr um insgesamt 0,6 % zurückgegangen.
Der Saldo der Warenhandelsbilanz des Euroraums kehrte sich 2023 in einen Überschuss, weil sich die Energieimporte verbilligten. Das Exportwachstum blieb vor dem Hintergrund der schwachen Auslandsnachfrage verhalten. Exporte des verarbeitenden Gewerbes profitierten von nachlassenden Lieferengpässen, während die nach wie vor spürbaren Auswirkungen des Energieangebotsschocks und die effektive Aufwertung des Euro einen dämpfenden Einfluss ausübten. Die verhaltene Exportentwicklung weitete sich im zweiten Halbjahr auch auf die Dienstleistungsexporte aus, weil die nach dem Wiederhochfahren der Weltwirtschaft beobachteten positiven Effekte der aufgestauten Nachfrage allmählich nachließen. Mit der sich abkühlenden Binnennachfrage gingen auch die Einfuhren des Euroraums zurück. Maßgeblich hierfür waren rückläufige Importe von Vorleistungsgütern, denn die Unternehmen bauten ihre Lagerbestände ab und die Energieimporte sanken. Insgesamt war der Beitrag des Handels zum BIP-Wachstum im Euroraum 2023 leicht positiv.
Arbeitsmarkt
Der Arbeitsmarkt des Euroraums erwies sich 2023 insgesamt weiterhin als widerstandsfähig, auch wenn die Arbeitsmarktentwicklung und umfragebasierte Indikatoren am Jahresende auf eine Abkühlung hindeuteten. Die durchschnittliche Arbeitslosenquote belief sich 2023 auf 6,5 %; sie sank von 6,6 % im Januar auf 6,5 % im März und blieb das restliche Jahr über weitgehend stabil auf diesem Niveau (siehe Abbildung 1.5). Angesichts der stagnierenden Wirtschaft konnten sich die Gesamtbeschäftigung und die Gesamtarbeitsstunden gut behaupten und erhöhten sich 2023 um 1,4 % bzw. 1,6 %. Die Zahl der durchschnittlich geleisteten Arbeitsstunden erhöhte sich im Berichtsjahr um lediglich 0,2 % und lag im letzten Quartal 2023 1,3 % unter dem Vorpandemieniveau. Hierzu dürften etwa das Horten von Arbeitskräften (d. h., Unternehmen behalten in Abschwungphasen mehr Arbeitskräfte als notwendig) und der Anstieg von krankheitsbedingten Abwesenheiten beigetragen haben. Die Erwerbsbeteiligung der 15- bis 74-Jährigen stieg auf 65,7 % im vierten Quartal 2023 und lag damit 1,1 Prozentpunkte über dem Vorpandemieniveau. In der zweiten Hälfte des Berichtsjahrs zeigte die Arbeitsnachfrage Anzeichen einer Abschwächung. Zwar war die Vakanzquote nach wie vor hoch, verringerte sich gegenüber ihrem im zweiten Quartal 2022 erreichten Höchststand jedoch schrittweise. Insgesamt wirkten die Leitzinsanhebungen der EZB zwar weiterhin stark auf die Wirtschaft durch, doch die Gesamtbeschäftigung und der Arbeitsmarkt im Euroraum – Ziele der Europäischen Union, zu denen die EZB einen Beitrag leisten kann, soweit die Gewährleistung von Preisstabilität nicht beeinträchtigt wird – erwiesen sich immer noch als recht widerstandsfähig.
Abbildung 1.5
Arbeitsmarkt
1.3 Finanzpolitische Maßnahmen in schwierigem gesamtwirtschaftlichen Umfeld
Defizitquote im Euroraum rückläufig, da Regierungen diskretionäre Stützungsmaßnahmen allmählich zurückfuhren
Die gesamtstaatliche Defizitquote im Euroraum war im Berichtsjahr weiter rückläufig und setzte damit ihre Entwicklung seit der Hochphase der Pandemie fort (siehe Abbildung 1.6).[5] Die allmählich restriktiver werdende Finanzpolitik ist auch am fiskalischen Kurs erkennbar, der 2023 das dritte Jahr in Folge moderat gestrafft wurde.[6] Allerdings wurde die Lockerung des Jahres 2020 bislang erst zu gut einem Drittel wieder zurückgenommen (siehe Abbildung 1.6). Das heißt, dass der konjunkturbereinigte Finanzierungssaldo im Euroraum immer noch weit unterhalb seines Vorpandemieniveaus liegt. Zurückzuführen ist dies auf die längerfristig wirkenden Maßnahmen, die 2020 im Zuge der Pandemie ergriffen wurden, und die seit 2022 umgesetzten energiebezogenen Unterstützungsleistungen.
Abbildung 1.6
Öffentlicher Finanzierungssaldo und fiskalischer Kurs im Euroraum
Weitere Verschärfung des fiskalischen Kurses wäre angebracht
Aus der Perspektive des Jahresendes 2023 besteht eine Herausforderung für die Finanzpolitik darin, wie sich diese kumulierte Expansion der letzten vier Jahre am besten wieder umkehren lässt (siehe Abbildung 1.7) und sich die Schuldenquoten zurückführen lassen. Dies gilt umso mehr, als die demografische Entwicklung, der ökologische und digitale Wandel sowie das geopolitische Umfeld in der Zukunft fiskalische Spielräume erfordern werden. Die Staatshaushalte für 2024 ließen darauf schließen, dass auf der Ebene des Euroraums die finanzpolitische Straffung fortgesetzt wird. Erkennbar war dies hauptsächlich an der Rücknahme diskretionärer Maßnahmen, die als Reaktion auf den Energiepreis- und Inflationsschock eingeführt worden waren. Schätzungen zufolge entfiel 2023 auf diese Maßnahmen ein BIP-Anteil von über 1 %, wobei 2024 jedoch nur noch ein geringer Teil der Maßnahmen in Kraft sein dürfte. Allerdings scheinen einige der zu Pandemiezeiten eingeführten expansiven Maßnahmen längerfristig zu gelten, und ein kurzfristiges Auslaufen war, ausgehend von den Haushalten für 2024, offenbar nicht geplant. Dies galt für Erhöhungen von Transfer- und Subventionszahlungen sowie eingeschränkt auch für Steuersenkungen.
Abbildung 1.7
Aufschlüsselung des fiskalischen Kurses im Euroraum und diskretionäre Maßnahmen
Eine weitere Verschärfung des fiskalischen Kurses scheint auch aus geldpolitischer Sicht angemessen. Da die Energiekrise nun größtenteils abgeklungen ist, sollten die Regierungen ihre Stützungsmaßnahmen weiter zurückzunehmen. Dies trägt entscheidend dazu bei, einen Anstieg des mittelfristigen Inflationsdrucks zu verhindern, welcher eine restriktivere Geldpolitik erforderlich machen würde. Neben der Rücknahme der pandemiebedingten und energiebezogenen Maßnahmen sollten die Regierungen ganz allgemein Fortschritte auf dem Weg zu solideren Haushalten machen, damit ein tragfähiger Kurs der öffentlichen Finanzen sichergestellt ist.
EU benötigt einen robusten und glaubwürdigen Rahmen für die Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik
Ein robustes EU-Rahmenwerk für die Koordinierung und Überwachung der Wirtschafts- und Finanzpolitik ist weiterhin dringend erforderlich. Nach umfangreichen Beratungen einigte sich der Rat der Europäischen Union 2023 auf eine Reform des wirtschaftspolitischen Steuerungsrahmens der EU. Dadurch wurde der Weg für einen Trilog zwischen der Europäischen Kommission, dem Rat und dem Europäischen Parlament geebnet. Das Jahr 2024 wird wegweisend für die Umsetzung dieser Reform sein.[7]
1.4 Gesamtinflation im Jahresverlauf stark rückläufig
Die am Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) gemessene Gesamtinflation im Euroraum lag im Dezember 2023 bei 2,9 %. Dies entspricht einem Rückgang von 6,3 Prozentpunkten im Vergleich zum Dezember 2022. Die Inflation ging im gesamten Berichtsjahr stetig zurück, wobei der Disinflationsprozess im Jahresverlauf auch bei der zugrunde liegenden Inflation zu erkennen war. Im November erreichte die Gesamtinflation mit 2,4 % einen vorübergehenden Tiefpunkt und ihren niedrigsten Stand seit über zwei Jahren (ein deutlicher Rückgang gegenüber dem Höchststand von 10,6 % im Oktober 2022) (siehe Abbildung 1.8). Allerdings erhöhte sich die Inflation im Dezember wieder leicht. Verantwortlich hierfür waren die abwärtsgerichteten Effekte der energiebezogenen finanzpolitischen Maßnahmen auf das Preisniveau ein Jahr zuvor. In der zweiten Jahreshälfte 2023 wurde in allen Hauptkomponenten der Inflation ein Rückgang der jährlichen Teuerungsrate verzeichnet, da der Einfluss der vorangegangenen Kostenschocks nachließ und sich die Nachfrage vor dem Hintergrund der geldpolitischen Straffung abschwächte. Allerdings lagen die jährlichen Inflationsraten (mit Ausnahme jener der Energiepreise) am Jahresende immer noch deutlich über ihren längerfristigen Durchschnittswerten, während sich das annualisierte Quartalswachstum diesen Referenzwerten bereits sehr viel stärker angenähert hatte. Der Preisauftrieb verlangsamte sich bei den Waren stärker als bei den Dienstleistungen, da der Preisdruck in erheblichem Maße durch das Nachlassen der Lieferengpässe und die Entwicklung der Vorleistungspreise abgebaut wurde. Die Dienstleistungen verteuerten sich weiter bis zur Mitte des Jahres, was auf die auch nach dem Abklingen der Pandemie noch kräftige Nachfrage, den Anstieg der Arbeitskosten und mit finanzpolitischen Maßnahmen verbundene temporäre Faktoren zurückzuführen war. Parallel zum Inflationsrückgang bei Energie und Nahrungsmitteln nahmen auch die Unterschiede zwischen den Teuerungsraten in den einzelnen Euro-Ländern merklich ab.
Abbildung 1.8
Gesamtinflation und Beiträge der Hauptkomponenten
Preissteigerungsrate bei Energie kräftig gesunken, auch Preisauftrieb bei Nahrungsmitteln schwächte sich ab
Das von Dezember 2022 bis Dezember 2023 verzeichnete Absinken der Gesamtinflation war zu mehr als der Hälfte der Energiepreisentwicklung zuzuschreiben. Die Preissteigerungsrate bei Energie war im Januar 2023 immer noch hoch, hatte sich zum Jahresende aber um 25,6 Prozentpunkte verringert und ins Negative gekehrt. Dies war dadurch bedingt, dass sich die massiven Sprünge der Großhandelspreise für Energie des Jahres 2022 zurückbildeten. Dennoch blieb die Steigerungsrate der Energiepreise etwas volatil, da der Energiegroßhandel empfindlich auf Faktoren wie den Nahostkonflikt reagierte. Unterdessen erreichte der Preisauftrieb bei Nahrungsmitteln im März 2023 mit 15,5 % seinen Höchststand. Im weiteren Jahresverlauf verringerte er sich wieder deutlich, lag gegen Jahresende aber immer noch bei über 6 %. Verantwortlich hierfür waren die anhaltenden Auswirkungen der vorangegangenen Kostenschocks in Verbindung mit Energie und anderen Produktionsfaktoren sowie der erhöhte Druck, der von den Stückgewinnen und Arbeitskosten ausging.
Beginnende Abschwächung der zugrunde liegenden Inflation, aber Niveau zum Jahresende weiterhin hoch
Die Kerninflation (gemessen am HVPI ohne die volatilen Komponenten Energie und Nahrungsmittel) setzte auch im ersten Jahresviertel ihren Anstieg fort. Nach einem Höchststand von 5,7 % ging sie im weiteren Jahresverlauf wieder zurück und erreichte im Dezember ein Niveau von 3,4 %. Angetrieben wurde dieser Rückgang zunächst von der Preisentwicklung bei den Industrieerzeugnissen ohne Energie, da sich die Nachfrage nach Waren angesichts strafferer Finanzierungsbedingungen abschwächte (siehe Kapitel 1 Abschnitt 2). Zudem ließ der Druck, der sich infolge der zurückliegenden Lieferengpässe und der hohen Energiekosten aufgebaut hatte, allmählich nach. In der Zwischenzeit bewegte sich die Inflation bei den Dienstleistungen bis August auf hohem Niveau. Bedingt war dies durch die weiterhin hohe Nachfrage (nach kontaktintensiven Dienstleistungen, z. B. in den Bereichen Freizeit und Reisen) nach dem Wiederhochfahren der Wirtschaft und durch die steigenden Arbeitskosten, insbesondere weil in der Kostenstruktur des Dienstleistungssektors der Anteil der Arbeitskosten höher ist als im verarbeitenden Gewerbe. Gegen Ende des Berichtsjahrs sank allerdings auch die Teuerungsrate für Dienstleistungen etwas, wodurch der allgemeine Disinflationsprozess bestätigt wurde. Die verzögerte Entwicklung der Dienstleistungsinflation rührte auch daher, dass viele Dienstleistungskomponenten typischerweise der Gesamtinflation hinterherhinken (z. B. Wohnkosten, Postdienstleistungen und medizinische Leistungen). Alle sonstigen Indikatoren der zugrunde liegenden Inflation verringerten sich im Jahresverlauf ebenfalls deutlich, was den nachlassenden Einfluss der zurückliegenden Schocks und den wachsenden Einfluss der restriktiveren Geldpolitik widerspiegelte. Dennoch lagen die Indikatoren nach wie vor auf sehr unterschiedlichen Niveaus und die meisten von ihnen noch deutlich über ihrem jeweiligen Vorpandemieniveau.[8]
Vor allem die Arbeitskosten trugen im späteren Jahresverlauf zur Binneninflation bei
Das Wachstum des BIP-Deflators (einer verlässlichen Messgröße des binnenwirtschaftlichen Preisdrucks) betrug 2023 durchschnittlich 6,0 %. Dem stand eine durchschnittliche Steigerungsrate der Einfuhrpreise von ‑2,9 % gegenüber. Daran zeigt sich, dass die Inflation nicht mehr durch außenwirtschaftliche, sondern durch binnenwirtschaftliche Faktoren befeuert wurde. Während noch um die Jahreswende 2022/2023 die Gewinne eine wichtige Rolle für den binnenwirtschaftlichen Preisdruck spielten (siehe Kasten 2), entwickelten sich die Arbeitskosten allmählich zum maßgeblichen Bestimmungsfaktor der Inflation, da die Löhne kräftig stiegen und sich die Arbeitsproduktivität verringerte (siehe Abbildung 1.9). Der jährliche Zuwachs beim Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer erhöhte sich 2023 im Schnitt auf 5,1 % nach 4,5 % im Vorjahr. Damit lagen die Wachstumsraten deutlich über dem Durchschnittswert der Vorpandemiejahre 2015 bis 2019 (1,7 %), wobei auch die nach wie vor angespannte Arbeitsmarktlage eine Rolle spielte (siehe Kapitel 1 Abschnitt 2). Die weitere Zunahme spiegelte zum Teil das Bestreben der Arbeitnehmer wider, die zurückliegenden inflationsbedingten Kaufkraftverluste beim Nominallohn auszugleichen. Die Wachstumsrate der Tarifverdienste stieg im Berichtsjahr auf durchschnittlich 4,5 %, wobei die Differenz zum tatsächlichen Lohnwachstum auf eine immer noch beträchtliche Lohndriftkomponente hinweist, wenngleich diese auch geringer ist als in den Jahren 2021-2022.[9] Gegen Jahresende begannen die Steigerungsraten sowohl des Arbeitnehmerentgelts je Arbeitnehmer als auch der Tarifverdienste leicht zu sinken, blieben aber auf erhöhtem Niveau, was darauf hindeutete, dass der nominale Lohndruck auch Anfang 2024 noch hoch sein würde. Darin spiegelte sich eine Erholung der Reallöhne und nicht etwa eine Destabilisierung der Lohn-Preis-Dynamik wider.
Abbildung 1.9
Arbeitnehmerentgelt je Arbeitnehmer im Euroraum
Längerfristige Inflationserwartungen etwas gesunken und weiterhin um den Zielwert der EZB von 2 % verankert
Die durchschnittlichen längerfristigen Inflationserwartungen der professionellen Prognostiker, die Ende 2022 bei 2,2 % lagen, verringerten sich im Berichtsjahr leicht auf 2,1 %. Auch andere Umfragedaten, etwa aus der Umfrage unter geldpolitischen Analysten der EZB (ECB Survey of Monetary Analysts) und von Consensus Economics, legten den Schluss nahe, dass die längerfristigen Inflationserwartungen fest um den Zielwert der EZB von 2 % verankert waren. Eine marktbasierte Messgröße des längerfristigen Inflationsausgleichs (der fünfjährige inflationsindexierte Termin-Swapsatz in fünf Jahren) erreichte im August mit 2,7 % einen Höchststand, sank jedoch Ende Dezember vor dem Hintergrund einer unerwartet niedrigen Gesamtinflation und eines gedämpften Wirtschaftsausblicks auf 2,3 % (siehe Kapitel 1 Abschnitt 2). Auf jeden Fall ließen die um Risikoprämien korrigierten marktbasierten Messgrößen den Schluss zu, dass die „tatsächlichen“ Erwartungen sehr nahe bei 2 % liegen. Auf der Verbraucherseite lag der Median für die in drei Jahren erwartete Inflation im Dezember etwas über diesem Wert bei 2,5 %. Darin spiegelten sich wahrscheinlich die hohe Unsicherheit, das negative Wirtschaftsklima und das im Verhältnis zu den Löhnen weiterhin hohe Preisniveau wider.[10]
1.5 Kredit- und Finanzierungsbedingungen im Zuge der Leitzinsanhebungen stark verschärft
Niedrigere Anleiherenditen trotz geldpolitischer Straffung spiegelten Veränderung der Erwartungen gegen Jahresende wider
Angesichts des über das Berichtsjahr hinweg anhaltend erhöhten Inflationsdrucks (siehe Kapitel 1 Abschnitt 4) setzte die EZB ihren Kurs der geldpolitischen Straffung bis September konsequent fort und beließ danach ihre Leitzinssätze auf einem restriktiven Niveau, um sicherzustellen, dass die Inflation auf das mittelfristige Ziel von 2 % zurückkehrt (siehe Kapitel 2 Abschnitt 1). Der – risikofreie – zehnjährige Zinssatz für Tagesgeldsatz-Swaps (OIS-Satz) bewegte sich die meiste Zeit des Jahres über um 3 %. Im Oktober erreichte er mit 3,3 % einen Höchststand, bevor er auf durchschnittlich 2,5 % im Dezember sank (siehe Abbildung 1.10). Der Rückgang des zehnjährigen OIS-Satzes gegen Jahresende war eine Folge des starken Absinkens der Zinserwartungen am Finanzmarkt, zu dem es vor allem deshalb kam, weil niedrigere Inflationsergebnisse als erwartet veröffentlicht wurden. Der Rückgang der Erwartungen wurde nur zum Teil durch höhere Laufzeitprämien aufgewogen. Die Renditen langfristiger Staatsanleihen folgten sehr eng der Entwicklung des OIS-Satzes. Die Anleihespreads wurden durch den Prozess der Normalisierung der Eurosystem-Bilanz nicht sonderlich stark beeinflusst (siehe Kapitel 2 Abschnitt 1). Gegen Jahresende lagen sie praktisch auf demselben Niveau wie im Dezember 2022. Die BIP-gewichtete durchschnittliche Nominalrendite zehnjähriger Staatsanleihen im Euroraum lag im Dezember 2023 bei 2,7 % und damit 10 Basispunkte unter ihrem Vorjahresniveau.
Abbildung 1.10
Langfristige Zinssätze, Kosten der Kreditaufnahme von Unternehmen und Kosten von Wohnungsbaukrediten an private Haushalte
Aktienmärkte profitierten von niedrigeren Risikoprämien
Im Berichtsjahr konnten der nichtfinanzielle Sektor und im besonderen Maße auch der Bankensektor Kursgewinne verbuchen. Die trotz erhöhter geopolitischer Spannungen rückläufigen Aktienrisikoprämien kamen den Aktienkursen vor dem Hintergrund einer niedrigen und sinkenden Volatilität zugute. Die Erwartungen, dass die Erträge der Banken auf kurze wie auf lange Sicht steigen würden, beflügelten den Bankaktienindex im Euroraum zusätzlich. Von den Marktturbulenzen an den Bankensektoren in den USA und der Schweiz vom März 2023 ging ein deutlicher, aber temporärer negativer Effekt aus. Die Gesamtindizes für Aktien nichtfinanzieller Unternehmen und der Banken im Euroraum waren zum Jahresende 2023 rund 12 % bzw. 23 % höher als ihre Jahresendstände 2022. Die durchschnittlichen Renditen von Unternehmensanleihen gingen zurück und lagen im Dezember 2023 im Durchschnitt auf einem niedrigeren Niveau als im Dezember 2022. Dies traf sowohl auf das Investment-Grade-Segment als auch den Hochzinsbereich zu, da niedrigere risikofreie Zinssätze mit schrumpfenden Renditeabständen von Unternehmensanleihen einhergingen.
Weit gefasste Geldmenge und Intermediation der Banken spiegelten geldpolitische Straffung wider
Das Wachstum der weit gefassten Geldmenge M3 stagnierte, wofür vor allem die geldpolitische Straffung verantwortlich war. Die Jahresänderungsrate von M3 betrug im Dezember nur 0,1 %, nachdem sie im Jahresverlauf 2023 erheblich gesunken war und vorübergehend sogar im negativen Bereich gelegen hatte – zum ersten Mal seit Beginn der Währungsunion (siehe Abbildung 1.11). Grund für diesen Rückgang waren die gedämpfte Kreditschöpfung, hohe Opportunitätskosten für das Halten liquider Anlagen und die Verkürzung der Bilanz des Eurosystems. Zwar blieben die Bankbilanzen insgesamt robust, aber durch die Rückzahlung von Mitteln aus der dritten Reihe gezielter längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte und das schrumpfende Wertpapierportfolio des Eurosystems wurde die Überschussliquidität reduziert. Die Refinanzierungskosten der Banken erhöhten sich deutlich, wenn auch weniger stark als die Leitzinsen, da sich marktbasierte Refinanzierungsquellen verteuerten und die Institute aktiver um Kundeneinlagen konkurrierten, indem sie für diese Einlagen höhere Zinssätze boten.
Kreditzinsen der Banken für Unternehmen und private Haushalte angesichts restriktiverer Geldpolitik kräftig gestiegen
Die geldpolitische Straffung wirkte im Berichtsjahr weiterhin stark auf die allgemeinen Finanzierungsbedingungen durch. Aus der Umfrage zum Kreditgeschäft im Euroraum ging hervor, dass die Banken ihre Kreditrichtlinien (d. h. die internen Richtlinien oder Kriterien für die Kreditgewährung) für Ausleihungen an private Haushalte und Unternehmen weiter deutlich verschärften. Dies bestätigen auch die Umfrage zum Zugang von Unternehmen zu Finanzmitteln und die Umfrage zu den Verbrauchererwartungen für Unternehmen bzw. für private Haushalte. Die nominalen Kreditzinsen stiegen 2023 abermals steil an und erreichten ihren höchsten Stand seit knapp 15 Jahren. Die gewichteten Bankzinsen für Wohnungsbaukredite an private Haushalte lagen Ende 2023 bei 4,0 % und waren damit insgesamt rund 100 Basispunkte höher als Ende 2022. Der gewichtete Zinssatz für Kredite an nichtfinanzielle Unternehmen stieg um 180 Basispunkte auf 5,2 % und war folglich fast doppelt so stark gestiegen wie die Rate für Ausleihungen an private Haushalte (siehe Abbildung 1.10). Die Kreditzinsen erhöhten sich schneller und stärker als in vorangegangenen Phasen geldpolitischer Straffungen, was in erster Linie darauf zurückzuführen war, dass seit Juli 2022 die Leitzinsen rascher und stärker angehoben worden waren. Die Unterschiede zwischen den Kreditzinsen der einzelnen Länder hielten sich dabei weiterhin in Grenzen. Dies deutet darauf hin, dass die veränderte Geldpolitik der EZB im gesamten Eurogebiet problemlos auf die Kreditzinsen übertragen wurde.
Kreditvergabe an private Haushalte und Unternehmen merklich abgeschwächt
Die Kreditvergabe der Banken an private Haushalte und Unternehmen schwächte sich 2023 aufgrund der restriktiveren Kreditbedingungen merklich ab (siehe Abbildung 1.11). Die monatlichen Nettokreditströme lagen in den letzten drei Quartalen des Berichtsjahrs bei nahezu null. Die Jahreswachstumsrate der Bankkredite an private Haushalte sank und lag im Dezember bei 0,3 %. Verantwortlich hierfür war in erster Linie die Verlangsamung der Hypothekarkreditvergabe vor dem Hintergrund der 2023 erstmals seit 2014 sinkenden Wohnimmobilienpreise. Die jährliche Zuwachsrate der Bankkredite an Unternehmen sank ebenfalls und lag im Dezember bei 0,4 %. Zudem lag die Außenfinanzierung der Unternehmen (netto) insgesamt auf einem historischen Tiefstand (siehe Abbildung 1.12).
Abbildung 1.11
M3-Wachstum und Wachstum der Kredite an Unternehmen und private Haushalte
Abbildung 1.12
Außenfinanzierung der Unternehmen (netto)
Kasten 1
Die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels
Die EZB ist bestrebt, die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen des Klimawandels und der Maßnahmen zu dessen Begrenzung besser zu verstehen. Sie entspricht damit den Selbstverpflichtungen, die sie nach der Überprüfung ihrer geldpolitischen Strategie in den Jahren 2020-2021 eingegangenen ist.[11] Für das vorrangige Mandat der EZB, Preisstabilität zu gewährleisten, sind diese Bestrebungen von hoher Bedeutung. Die Komplexität des Klimawandels und seine nicht linearen, höchst unsicheren Auswirkungen erfordern eine Weiterentwicklung der makroökonomischen Analyse, um Prognosefehler zu begrenzen und die strukturellen Veränderungen, die der Klimawandel in der Wirtschaft hervorruft, zu erfassen.
Der Klimawandel hat bereits jetzt Auswirkungen auf die Inflation im Euroraum. Die EZB geht auf Grundlage ihrer Forschung davon aus, dass die extreme Hitze im Sommer 2022 die Teuerungsrate für Nahrungsmittel in Europa innerhalb eines Jahres (d. h. 2023) um rund 0,7 Prozentpunkte ansteigen ließ (siehe Abbildung A).[12] Heißere Sommer könnten auch den Preisauftrieb bei den Dienstleistungen beeinflussen, und zwar möglicherweise über den Effekt auf die Nahrungsmittelpreise und die Temperaturanfälligkeit tourismusbezogener Dienstleistungen.[13] Ist das Klima generell heißer, könnten sich höhere Sommertemperaturen noch stärker auf die Inflation auswirken. So könnte unter den Klimabedingungen des Jahres 2035 eine Hitzewelle ähnlich derjenigen des Jahres 2022 in einem pessimistischen Szenario dazu führen, dass sich Nahrungsmittel im Durchschnitt um 1 Prozentpunkt verteuern. Selbst in einem optimistischen Szenario wäre der Effekt einer vergleichbaren Hitzewelle mit 0,8 Prozentpunkten nur geringfügig schwächer. Der Temperaturanstieg wird sich in jenen Regionen stärker auswirken, die bereits jetzt ein heißeres Klima aufweisen. Dies impliziert in den einzelnen Euro-Ländern unterschiedliche Inflationseffekte, was neue Herausforderungen für die Transmission einer einheitlichen Geldpolitik mit sich bringen würde.
Abbildung A
Wachsender Einfluss von Hitzewellen auf die Verteuerung von Nahrungsmitteln in Europa
Durch extreme Wetterereignisse verringert sich auf kurze Sicht üblicherweise die Produktion. Ihre ökonomische Wirkung insgesamt geht allerdings über den direkten und sofortigen Effekt, der sich etwa aus der Zerstörung von Häusern, Fabriken und Maschinen ergibt, hinaus. Zu nennen sind hier u. a. Störungen in anderen Regionen oder Sektoren aufgrund von Lieferkettenverflechtungen oder Beschädigungen der Infrastruktur. Infolge der Einkommensverluste in den betroffenen Sektoren und der Produktionsrückgänge reduziert sich in der Regel die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen in den anderen Sektoren. Ein weiterer Effekt ist die erhöhte Unsicherheit, welche die privaten Haushalte und Unternehmen möglicherweise dazu bewegt, Katastrophenrisiken neu zu bewerten. Dies kann einen Ausgabenrückgang nach sich ziehen.
Auf längere Sicht kann der Klimawandel auch zu einer länger anhaltenden Verringerung des Produktionswachstums führen.[14] So wird durch geringere Schneefallmengen die wirtschaftliche Lebensfähigkeit zahlreicher europäischer Skigebiete bedroht. In einigen Mittelmeerregionen wiederum könnte es zu heiß für den Sommerurlaub werden, während einige Gebiete im Norden profitieren könnten. Bei den land- und forstwirtschaftlichen Erträgen dürfte es infolge höherer Durchschnittstemperaturen eher zu Einbußen kommen. Durch den Anbau anderer Nutzpflanzen lassen sich diese Effekte zwar zum Teil abmildern, aber wenig vorhersehbare Temperatur- und Niederschlagsmuster dürften die landwirtschaftliche Produktion ebenfalls belasten. Höhere Temperaturen, die über den Wohlfühlbereich von rund 19 bis 22°C hinausgehen – was in einem wärmeren Klima häufiger der Fall wäre –, senken die Produktivität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.
Durch Anpassungsmaßnahmen an ein wärmeres Klima könnten sich die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen eingrenzen lassen. Beispiele hierfür sind u. a. der Einbau von Klimaanlagen, um die Auswirkungen großer Hitze auf die Arbeitsproduktivität zu verringern, oder der Umstieg auf andere Anbaupflanzen, um landwirtschaftliche Produktivitätsverluste einzudämmen. Derartige Maßnahmen dürften sich jedoch auf die Staatshaushalte und den finanzpolitischen Spielraum auswirken.[15] Ein weiteres Anpassungsinstrument stellen Versicherungen dar. Allerdings klafft in der Klimaversicherung in Europa bereits eine beträchtliche Lücke.[16]
Um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen und eine katastrophalere Klimaerhitzung abzuwenden, müssen die Emissionen reduziert werden. Hierzu ist ein weitreichender struktureller Umbau der Wirtschaft erforderlich. Kapital und Arbeit müssen sektorübergreifend wie auch innerhalb der Sektoren und sogar innerhalb einzelner Unternehmen restrukturiert werden (z. B. werden Automobilhersteller ihre Fertigung umstellen und statt Autos mit Verbrennungsmotoren batteriebetriebene Elektrofahrzeuge produzieren müssen). Folgendes wird für den Erfolg dieser Neuverteilung maßgeblich sein: die Umsetzung wirksamer Maßnahmen zum ökologischen Wandel, die Flexibilität der Märkte und insbesondere die Fähigkeit der Wirtschaft, die erforderlichen beträchtlichen Kapitalinvestitionen zu finanzieren und zu absorbieren, die Entwicklung dekarbonisierter Technologien sowie die Verfügbarkeit von Fachkräften, die diese umsetzen.
Eine vorliegende Untersuchung, der zufolge sich die bislang ergriffenen Klimaschutzmaßnahmen günstig auf die Wirtschaft auswirken könnten, dürfte das Gesamtbild nicht vollständig erfassen.[17] Laut der verfügbaren modellbasierten Bewertungen haben CO2-Preispfade nur einen begrenzten Einfluss auf Produktion und Inflation.[18] Allerdings bleiben die berücksichtigten Messgrößen immer noch deutlich hinter dem Ziel der EU zur Emissionsreduzierung zurück, und es könnte sein, dass sich die weiterreichenden Auswirkungen des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft (Transition) – einschließlich der Effekte strengerer Regulierungen und Ziele – nicht so einfach quantifizieren lassen.
Die tatsächlichen wirtschaftlichen Auswirkungen hängen wesentlich vom Transitionstempo ab: Verzögert sich der Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft, so werden zu einem späteren Zeitpunkt schnellere und radikalere Eingriffe vonseiten der Politik erforderlich sein. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Wertverlusten (Stranded Assets) und höherer struktureller Arbeitslosigkeit kommt.[19] Darüber hinaus wirken sich die unterschiedlichen Transitionsmaßnahmen auch unterschiedlich auf die Produktivität aus.[20] Marktbasierte Maßnahmen (z. B. CO2-Steuern) beeinflussen die Produktivität kohlenstoffintensiver Unternehmen weniger stark als nicht-marktbasierte Maßnahmen (z. B. ein Verbot bestimmter Produkte oder Prozesse).
Die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Euroraums wird auch davon beeinflusst, welche Entscheidungen weltweit in Sachen Transitionsmaßnahmen getroffen werden. Hierzu zählen höhere Kohlenstoffpreise oder industriepolitische Maßnahmen wie der jüngst in den Vereinigten Staaten verabschiedete Inflation Reduction Act. Das EU-Emissionshandelssystem kann zu einer Verlagerung von Wirtschaftstätigkeiten und Emissionen in Regionen mit weniger strengen Emissionsanforderungen führen (Carbon Leakage). Eingedämmt werden kann diese Entwicklung durch eine sorgfältige Kalibrierung des CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism – CBAM) in Verbindung mit bereits bestehenden Mechanismen zur Vermeidung von Carbon Leakage.[21]
Insgesamt beeinflussen der Klimawandel und die damit verbundenen Eindämmungsmaßnahmen nahezu alle Aspekte der makroökonomischen Analyse seitens der Zentralbanken. Wichtige Fragen sind weiterhin offen – etwa wie genau die Transition verlaufen soll und welche strukturellen wirtschaftlichen Veränderungen daraus erwachsen. Auch Fragen zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen extremer Wetterereignisse und den Risiken infolge des beschleunigten Klimawandels sowie zur Bedeutung von Naturkapital und Ökosystemleistungen sind noch unbeantwortet.
Kasten 2
Bedeutung der Stückgewinne für den inländischen Preisdruck
Der vorliegende Kasten untersucht die Frage, wie die Stückgewinne zur Dynamik des inländischen Preisdrucks im Jahr 2023 beigetragen haben.
Der binnenwirtschaftliche Preisdruck war 2023 sehr stark, ließ aber im Lauf des Jahres angesichts sinkender Stückgewinne leicht nach
Der Anstieg des BIP-Deflators, der einen starken Gleichlauf mit der Entwicklung der HVPI-Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel (HVPIX) aufweist, lässt sich in die Beiträge der Lohnstückkosten, der Stückgewinne und der Steuern je BIP-Einheit (abzüglich Subventionen) aufschlüsseln (siehe Abbildung A).[22],[23] Das jährliche Wachstum des BIP-Deflators nahm 2023 weiter deutlich zu und lag bei durchschnittlich 6,0 % nach 4,7 % im Jahr 2022. In der Zeit von 1999 bis 2021 wurde eine Rate von durchschnittlich 1,6 % verzeichnet. Nach einem historischen Höchststand von 6,4 % im ersten Quartal 2023 begann sich die Wachstumsrate abzuschwächen und lag im vierten Quartal bei 5,3 %. Zum sprunghaften Anstieg des BIP-Deflators trugen 2022 und 2023 mehrere Quartale lang die Stückgewinne bei; auf sie entfiel mindestens rund die Hälfte der erhöhten Wachstumsrate. Von 1999 bis 2019 hatte ihr Beitrag im Schnitt bei etwas über einem Drittel gelegen. Im Jahresverlauf 2023 verringerte sich ihr Anteil deutlich, wodurch die Erhöhung des Beitrags der Lohnstückkosten im selben Zeitraum teilweise ausgeglichen wurde.
Abbildung A
Aufschlüsselung des BIP-Deflators nach Beiträgen
Kräftiger Anstieg der Stückgewinne 2022 und Anfang 2023 lässt sich durch außergewöhnliche Wirtschaftsentwicklung nach der Pandemie erklären
Die Stückgewinne bewegen sich üblicherweise in einem engen Gleichlauf mit der Entwicklung zyklischer Indikatoren wie dem realen BIP. Außerdem werden sie in der Regel von stärkeren Veränderungen der Terms of Trade, die beispielsweise aufgrund von starken Schwankungen der Einfuhr- oder Ölpreise eintreten, beeinflusst. Dies ist darauf zurückzuführen, dass es – falls die Nachfrage das Produktionspotenzial übersteigt – für die Preissetzer einfacher ist, Preise und Stückgewinne anzuheben, ohne Marktanteile einzubüßen. Sollten hingegen Schocks bei den Vorleistungskosten (z. B. aufgrund der Energiepreisentwicklung) auftreten, werden Gewinne üblicherweise zumindest vorübergehend dazu genutzt, eine vollständige Weitergabe des Kostenanstiegs an die Verkaufspreise zu vermeiden. Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Abkühlung im Verlauf der Jahre 2022 und 2023 (soweit dafür ein Rückgang der Nachfrage im Verhältnis zum Angebot verantwortlich war) sowie der massiven Verschlechterung der Terms of Trade im Jahr 2022 infolge der sprunghaft gestiegenen Importpreise hätten sich die Stückgewinne also schwächer entwickeln müssen, als es tatsächlich der Fall war (siehe Abbildung B). Dies lässt darauf schließen, dass im genannten Zeitraum möglicherweise andere Mechanismen und außergewöhnlichere Faktoren eine Rolle spielten. Eine Ursache für die Dynamik der Stückgewinne in dieser Zeit lag etwa in dem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage, das in vielen Wirtschaftszweigen zu beobachten war. Während Störungen der Lieferketten im Zuge der Pandemie zu weit verbreiteten Angebotsengpässen führten, sorgten schuldenfinanzierte staatliche Maßnahmen dafür, dass die Auswirkung des langsameren Wirtschaftswachstums auf die verfügbaren Einkommen begrenzt blieb. Dies trug wiederum zur hohen Ersparnisbildung bei. Als die Wirtschaft nach Aufhebung der Lockdowns wieder hochgefahren wurde, versetzten diese Ersparnisse und der damit einhergehende Nachfragestau der Nachfrage in vielen Wirtschaftsbereichen einen kräftigen Schub. In einem solchen Umfeld, das von einer im Verhältnis zum Angebot starken Gesamtnachfrage gekennzeichnet ist, können deutlich gestiegene Vorleistungskosten die Preissetzer dazu veranlassen, ihre Preise anzuheben, ohne dabei ihre Strategie zur Kalkulation von Gewinnaufschlägen ändern zu müssen. Dies lässt auf eine Überwälzung der Vorleistungskosten sowie darauf schließen, dass die Stückgewinne wesentlich zum binnenwirtschaftlichen Preisdruck beigetragen haben – wie kürzlich zu beobachten war.[24]
Abbildung B
Stückgewinne, reales BIP und Importdeflator
Mit Abschwächung der außergewöhnlichen Faktoren passten sich die Stückgewinne dem Konjunkturzyklus wieder an und übernahmen ihre übliche Pufferfunktion
Da sich die angebotsseitigen Ungleichgewichte nach der Pandemie allmählich auflösten und der Kostendruck bei Energie und sonstigen Vorleistungen im Jahresverlauf 2023 deutlich nachließ, begann das Wachstum der Stückgewinne zu sinken und kehrte schrittweise auf ein normaleres Niveau zurück. Da die Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage zurückgingen, wurde es schwieriger, Margen ohne Einbußen von Marktanteilen anzuheben. Dies trug dazu bei, dass der Anstieg der Stückgewinne verhaltener ausfiel. Mit dem sinkenden Kostendruck bei den Vorleistungen schwächte sich wiederum die Verkaufspreisdynamik ab. Damit geht das Wachstum der Stückgewinne auch dann zurück, wenn die Unternehmen ihre Vorleistungskosten weiterhin überwälzen und Aufschläge festsetzen. Auch dürften die Unternehmen wegen des geringeren Kostendrucks bei den Vorleistungen nun den Arbeitskostendruck leichter abfedern können. Die schwächere Entwicklung der Stückgewinne entspricht auch dem relativ schwachen konjunkturellen Umfeld im Jahr 2023. Insgesamt haben die Stückgewinne ihre typische Pufferfunktion wieder eingenommen und wirken einer umfangreicheren Weitergabe des hohen Drucks der Lohnstückkosten auf die inländischen Preise entgegen.
2 Geldpolitik auf restriktivem Kurs
Die EZB setzte 2023 ihren Kurs fort: Sie hob die Leitzinsen weiter an und hielt sie auf einem hinreichend restriktiven Niveau, um eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen 2 %-Ziel zu gewährleisten. In den ersten neun Monaten des Berichtsjahrs erhöhte die EZB die Leitzinsen um 200 Basispunkte, wodurch der Zinssatz für die Einlagefazilität auf 4 % stieg. Ausschlaggebend für die Zinsschritte war der von den hohen Energiekosten ausgehende außergewöhnlich starke Inflationsdruck, der sich auf die gesamte Wirtschaft ausweitete, und auch die hohen Nahrungsmittelpreise spielten eine wesentliche Rolle. Hinzu kam, dass die Auswirkungen der Lieferengpässe und des Nachfragestaus nach Aufhebung der pandemiebedingten Beschränkungen zwar schwächer wurden, aber noch immer die Preise nach oben trieben, und sich auch das Lohnwachstum beschleunigte. Die Beschlüsse der EZB folgten einem datengestützten Ansatz und basierten auf der Einschätzung der mittelfristigen Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts- und Finanzdaten, der Entwicklung der zugrunde liegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission. Im Jahresverlauf spiegelten die verfügbaren Informationen zunehmend das starke Durchwirken der Zinserhöhungen auf die Wirtschaft wider. Darüber hinaus ließ sich aus den jeweils eingehenden Daten ablesen, dass der Disinflationsprozess weiterhin an Fahrt gewann; vor allem der Rückgang der Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation deutete darauf hin. Auf seinen Sitzungen im Oktober und Dezember beschloss der EZB-Rat schließlich, die Leitzinsen unverändert zu belassen.
Die Bilanz des Eurosystems schrumpfte im Zuge der 2022 begonnenen geldpolitischen Normalisierung weiter. Das änderte sich auch nicht mit dem Beitrag aus der Bilanz der Hrvatska narodna banka in Höhe von 45 Mrd. €, der zur Eurosystem-Bilanz hinzukam, nachdem Kroatien am 1. Januar 2023 den Euro eingeführt hatte. Die Bilanzsumme des Eurosystems belief sich zum Jahresende auf 6,9 Billionen €, d. h., sie hatte sich binnen Jahresfrist um mehr als 1 Billion € und gegenüber ihrem Höchststand Mitte 2022 um fast 2 Billionen € verringert. Grund hierfür waren in erster Linie die Fälligkeit und vorzeitige Rückzahlung langfristiger Mittel, die Banken im Rahmen der dritten Reihe gezielter längerfristiger Refinanzierungsgeschäfte (GLRG III) aufgenommen hatten. Zusätzlich wurde die Bilanzreduktion dadurch gestützt, dass sowohl die vollständige als auch die partielle Wiederanlage von Mitteln aus dem Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) mit März bzw. Juli beendet wurde. Im Dezember beschloss der EZB-Rat, die weitere Normalisierung der Eurosystem-Bilanz voranzutreiben, und bekundete die Absicht, die Wiederanlage von Mitteln aus dem Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP) ab Juli 2024 schrittweise einzustellen. Das Eurosystem widmete sich 2023, wie im Dezember 2022 angekündigt, der Überarbeitung seines Handlungsrahmens zur Steuerung der kurzfristigen Zinssätze und schloss diese im März 2024 ab.
Außerdem setzte die EZB 2023 die im Vorjahr eingeleitete graduelle Rücknahme ihrer pandemiebedingten Maßnahmen zur Lockerung der Sicherheitenkriterien fort, und das Rating der Hellenischen Republik wurde auf Investment-Grade-Niveau angehoben. Das Eurosystem forcierte im Verlauf des gesamten Berichtsjahrs sein Risikomanagement, um eine effiziente Umsetzung der Geldpolitik sicherzustellen, und diversifizierte hierzu u. a. seine zugelassenen Bonitätsbeurteilungsquellen. Durch das Anheben der Leitzinsen zur Senkung der Inflation ergab sich ein negativer Zinsertrag und somit ein Verlust für die EZB. Dieser konnte zum Teil durch zuvor geschaffene finanzielle Puffer aufgefangen werden. Es ist zu erwarten, dass die monetären Einkünfte der EZB in Zukunft wieder steigen und somit die operative Effizienz unterstützen werden.
2.1 Durch restriktive Geldpolitik soll Inflation wieder auf den Zielwert von 2 % sinken
Im Januar lag die Inflation noch bei 8,6 %, die Konjunktur blieb trotz zunehmender Herausforderungen aber resilient
Das Wirtschaftswachstum im Euroraum stagnierte Anfang 2023, nachdem ab Mitte 2022 ein markanter Abschwung verzeichnet worden war. Jedoch zeigte sich die Wirtschaft durchaus robust, bedenkt man die erheblichen Herausforderungen im Zusammenhang mit der schwachen Weltkonjunktur, den geopolitischen Unsicherheiten aufgrund des Kriegs Russlands gegen die Ukraine und der hohen Inflation bei zugleich restriktiveren Finanzierungsbedingungen. Die Gesamtinflation ging im Januar aufgrund niedrigerer Energiepreise zurück, blieb aber nicht zuletzt wegen der hohen Nahrungsmittelpreise hoch (8,6 %). Zurückzuführen war dies zum Teil auf die in sämtlichen Wirtschaftsbereichen spürbaren Auswirkungen der hohen Energiekosten, die sich auch in den Lebensmittelpreisen niederschlugen, sowie auf anhaltende – wiewohl nachlassende – pandemiebedingte Faktoren wie Lieferkettenstörungen und Nachfragestau. Parallel dazu legte auch das Lohnwachstum zu.
EZB-Rat hob im Februar die Zinsen an und bekundete seine Absicht, sie weiter zu erhöhen
In Anbetracht der mittelfristigen Inflationsaussichten bekräftigte der EZB-Rat seine Absicht, einen restriktiven geldpolitischen Kurs zu verfolgen, und hob auf seiner Sitzung im Februar die drei EZB-Leitzinssätze um jeweils 50 Basispunkte an. Darüber hinaus erklärte er seine Absicht, auf der Sitzung im März die Zinsen um weitere 50 Basispunkte zu erhöhen und anschließend den weiteren geldpolitischen Pfad zu bewerten. Der EZB-Rat hob die Zinsen weiter konsequent in gleichmäßigem Tempo auf ein Niveau an, das hinreichend restriktiv war, um eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen 2 %-Ziel zu gewährleisten. Die Beibehaltung eines restriktiven Zinsniveaus sollte die Inflation allmählich senken, indem die Nachfrage gedämpft und einer nachhaltigen Erhöhung der Inflationserwartungen vorgebeugt wurde.
Auf seiner Sitzung im Februar legte der EZB-Rat außerdem die Modalitäten für die Verringerung der APP-Wertpapierbestände des Eurosystems fest. Dem vorangegangen war der Beschluss im Dezember 2022, ab März 2023 die Tilgungsbeträge von Wertpapieren bei Fälligkeit nicht mehr vollumfänglich wieder anzulegen, sodass die APP-Bestände von März bis Juni 2023 monatlich im Durchschnitt um 15 Mrd. € reduziert würden; das weitere Tempo des Abbaus sollte zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden. Wiederanlagen von Unternehmensanleihen wurden stärker auf Emittenten mit besserer Klimabilanz ausgerichtet. Diese Strategie zielte darauf ab, unter Beibehaltung der Ausrichtung auf das Preisstabilitätsziel der EZB klimabezogene finanzielle Risiken in der Eurosystem-Bilanz besser zu berücksichtigen und die allmähliche Dekarbonisierung der Unternehmensanleihebestände zu erreichen. Dies entspricht dem sekundären Ziel der EZB, die allgemeine Wirtschaftspolitik in der EU, und somit auch die Bemühungen zur Abmilderung der Auswirkungen des Klimawandels, zu unterstützen (siehe Kasten 8).
Turbulenzen im US-Bankensektor nährten Unsicherheit in Europa und unterstrichen Notwendigkeit datengestützter Zinsentscheidungen
Vor dem Hintergrund der Turbulenzen im Bankensektor in den USA und der Schweiz nahmen im März die Spannungen an den Finanzmärkten massiv zu, wodurch sich die Unsicherheiten im Zusammenhang mit den Konjunktur‑ und Inflationsaussichten im Euroraum erhöhten. Darüber hinaus sagten die Fachleute der EZB in ihren gesamtwirtschaftlichen Projektionen vom März ein anhaltend hohes Inflationsniveau voraus, vor allem bei der Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel. Allerdings wurde für die kommenden Jahre ein Rückgang der Teuerung erwartet. Angesichts der Projektion, wonach die Inflation zu lange zu hoch bleiben würde, beschloss der EZB-Rat, die drei Leitzinssätze der EZB um jeweils 50 Basispunkte anzuheben. Die erhöhte Unsicherheit unterstrich zudem, wie wichtig es ist, dass der EZB-Rat bei seinen Leitzinsbeschlüssen einen datengestützten Ansatz verfolgt. Das Gremium präzisierte daher auch die Reaktionsfunktion, wonach die Zinsbeschlüsse von drei Faktoren abhängig gemacht werden: den Inflationsaussichten vor dem Hintergrund aktueller Wirtschafts‑ und Finanzdaten, der Entwicklung der zugrunde liegenden Inflation und der Stärke der geldpolitischen Transmission. Der EZB-Rat beobachtete auch weiterhin die Marktspannungen genau und war bereit, so zu reagieren, wie es erforderlich war, um im Euroraum die Preisstabilität zu wahren und zur Finanzstabilität beizutragen. In den folgenden Monaten erwies sich der Bankensektor des Euroraums gegenüber den von anderen Regionen oder Ländern ausgehenden Spannungen als robust.
Großer Einfluss der restriktiven Geldpolitik auf Finanzierungsbedingungen im Euroraum wurde zunehmend sichtbar
Im weiteren Jahresverlauf zeigte sich immer mehr, dass die restriktive Zinspolitik des EZB-Rats einen erheblichen Einfluss auf die Wirtschaft hatte. Die bisherigen Zinserhöhungen schlugen stark auf die monetären und Finanzierungsbedingungen im Euroraum durch (d. h. in den ersten Stufen der der geldpolitischen Transmission), und allmählich waren ihre Effekte in der gesamten Wirtschaft zu beobachten. Allerdings war weiterhin unklar, mit welcher Verzögerung und wie stark die geldpolitischen Impulse auf die Realwirtschaft durchwirkten. Im April erreichten die Zinsen für Unternehmens‑ und Hypothekenkredite den höchsten Stand seit mehr als zehn Jahren. Der daraus resultierende Rückgang der Kreditnachfrage führte zusammen mit der Verschärfung der Kreditrichtlinien zu einer kontinuierlichen Verlangsamung des Kreditwachstums. Ferner zahlten die Banken im Juni den größten Teil der im Rahmen der GLRG III aufgenommenen Mittel zurück, wodurch sich die Überschussliquidität deutlich reduzierte. Dieser Rückgang führte zu keiner Beeinträchtigung der reibungslosen Transmission der Leitzinsanpassungen auf die risikofreien Zinssätze an den Geldmärkten. Bei der Reaktion des Spreads zwischen dem €STR (Euro Short-Term Rate) und dem EZB-Zinssatz für die Einlagefazilität war indes eine Asymmetrie zu beobachten: Der Spread verkleinerte sich mit der Verringerung der Liquidität nicht, hatte sich bei Zunahme der Liquidität aber vergrößert (siehe Kasten 3).
In Anbetracht des anhaltend hohen zugrunde liegenden Preisdrucks erhöhte der EZB-Rat die Leitzinsen weiter ...
Die Gesamtinflation ging deutlich zurück. Nach 8,5 % im Februar, 6,9 % im März und 7,0 % im April war im Mai nur mehr ein Wert von 6,1 % zu verzeichnen. Man ging davon aus, dass die Inflation zwar weiter in Richtung ihres Zielwerts sinken würde, vor allem weil die parallel dazu beobachtete Verschärfung der Finanzierungsbedingungen zunehmend die Nachfrage drückte; trotzdem würde der Preisdruck zu lange zu stark bleiben. Daher beschloss der EZB-Rat, die Zinsen im Mai bzw. Juni erneut um je 25 Basispunkte anzuheben.
... und stellte im Juli die Wiederanlage von APP-Mitteln ein
Nachdem im März das Tempo der Wiederanlage zurückgefahren worden war, wurde die Wiederanlage von APP-Mitteln im Juli vollständig eingestellt. Die Wiederanlage von Mitteln aus dem Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP) sollte noch bis mindestens Ende 2024 fortgesetzt werden. Unterdessen stützten die seit der vorangegangenen EZB-Ratssitzung beobachteten Entwicklungen die Erwartung, dass die Inflation im restlichen Jahresverlauf weiter sinken, aber für einen längeren Zeitraum über dem Zielwert bleiben wird. Dies war die Grundlage für die Entscheidung des EZB-Rats, den eingeschlagenen Kurs weiterzuverfolgen und die Zinsen im Juli neuerlich um 25 Basispunkte anzuheben.
Mindestreserven wurden wieder mit 0 % verzinst, wodurch die Effizienz der Geldpolitik verbessert wurde
Außerdem beschloss der EZB-Rat im Juli, die Mindestreserven nicht mehr zum Satz für die Einlagefazilität, sondern nur noch mit 0 % zu verzinsen. Dieser Beschluss zielte darauf ab, die Wirksamkeit der Geldpolitik zu wahren, indem die Kontrolle über den geldpolitischen Kurs beibehalten und das vollständige Durchwirken der Zinsbeschlüsse auf die Geldmärkte sichergestellt wird. Zugleich wurde die Effizienz der Geldpolitik gesteigert, da die insgesamt für Reserven anfallenden Zinsaufwendungen sanken, während ein gleichbleibendes Maß an geldpolitischer Straffung erreicht wurde.
Auf seiner September-Sitzung hob der EZB-Rat die Leitzinsen abermals um 25 Basispunkte an. Grundlage dieser Entscheidung war die Tatsache, dass im August fast kein weiterer Rückgang der Inflation gegenüber dem Juli-Niveau (5,3 %) verzeichnet worden war und Fachleute der EZB in ihren Projektionen im September die Inflationsprognose für 2023 und 2024 – hauptsächlich aufgrund des Aufwärtstrends bei den Energiepreisen – nach oben revidiert hatten. Das Gesamtausmaß der Zinserhöhungen 2023 erreichte somit 200 Basispunkte, und der Zinssatz für die Einlagefazilität lag bei 4 % (siehe Abbildung 2.1).
Abbildung 2.1
Entwicklung der EZB-Leitzinssätze
EZB-Rat: Wird das aktuelle Leitzinsniveau lange genug beibehalten, trägt es erheblich dazu bei, die Inflation zeitnah zum Zielwert zurückzuführen
Allerdings wurde erwartet, dass die Konjunktur nach der Stagnation in der ersten Jahreshälfte in den folgenden Monaten noch gedämpft bleiben würde. Die zunehmenden Auswirkungen der vom EZB-Rat vorgenommenen geldpolitischen Straffung auf die Binnennachfrage führten im Zusammenspiel mit dem schwierigen internationalen Handelsumfeld dazu, dass die EZB-Fachleute ihre Projektionen zur Konjunkturentwicklung im September 2023 deutlich nach unten korrigierten. Zugleich zeigten die meisten Inflationsindikatoren erste Anzeichen einer Entspannung (auch wenn der zugrunde liegende Preisdruck nach wie vor hoch blieb), und die projizierte Entwicklung der Inflation ohne Energie und Lebensmittel wurde ebenfalls etwas nach unten revidiert. Auf Basis der neuen Lagebeurteilung kam der EZB-Rat zu dem Schluss, dass die Leitzinsen der EZB ein Niveau erreicht hatten, das – wenn es lange genug aufrechterhalten wird – einen erheblichen Beitrag zur zeitnahen Rückführung der Inflation zum Zielwert leisten wird.
Längste Zinserhöhungsphase in der Geschichte des Euro endete im Oktober
Nach zehn aufeinanderfolgenden Zinsanhebungen beschloss der EZB-Rat auf seiner Sitzung im Oktober, die Leitzinsen unverändert zu belassen. Von Beginn der Zinsanhebungen im Juli 2022 bis September 2023 hatte die EZB den Zinssatz für die Einlagefazilität von ‑0,50 % auf 4 % angehoben. Es wurde zwar damit gerechnet, dass die Inflation aufgrund des robusten binnenwirtschaftlichen Preisdrucks weiterhin hoch bleiben würde, doch war im September erneut ein deutlicher Rückgang (auf 4,3 %) zu verzeichnen. Begleitet wurde dieser von sinkenden Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation. Die ab Oktober im Zusammenhang mit dem Konflikt im Nahen Osten gestiegenen geopolitischen Risiken unterstrichen einmal mehr die Bedeutung des datengestützten Ansatzes, auf dessen Grundlage der EZB-Rat seine Entscheidungen über das angemessene Ausmaß und die angemessene Dauer des restriktiven Leitzinsniveaus trifft.
Inflation fiel im November auf 2,4 %
Der Rückgang der Inflation setzte sich in den letzten Monaten des Jahres fort. Im November lag die Inflationsrate bei 2,4 %. Aufgrund von Basiseffekten war eine temporäre neuerliche Zunahme auf kurze Sicht aber wahrscheinlich, befand der EZB-Rat auf seiner Dezember-Sitzung. Die zugrunde liegende Inflation hatte weiter nachgelassen. In ihren gesamtwirtschaftlichen Projektionen gingen die Fachleute des Eurosystems davon aus, dass 2024 wieder ein allmählicher Inflationsrückgang einsetzen würde. Allerdings würde der binnenwirtschaftliche Preisdruck aufgrund des kräftigen Wachstums der Lohnstückkosten erhöht bleiben.
EZB-Rat beließ die Leitzinsen unverändert und beschloss, die Normalisierung der Bilanz des Eurosystems voranzutreiben
Vor diesem Hintergrund beschloss der EZB-Rat auf seiner Dezember-Sitzung zum einen, die Leitzinsen unverändert zu belassen, und zum anderen, die Normalisierung der Bilanz des Eurosystems voranzutreiben. Er bekundete die Absicht, die Tilgungsbeträge der im Rahmen des PEPP erworbenen Wertpapiere bei Fälligkeit bis Mitte 2024 vollständig wieder anzulegen, anschließend bis Jahresende die Bestände monatlich im Durchschnitt um 7,5 Mrd. € zu reduzieren und danach die Wiederanlage vollständig einzustellen.
2.2 Die Bilanz des Eurosystems vor dem Hintergrund der weiteren geldpolitischen Straffung
Allmähliche Verkleinerung der Eurosystem-Bilanz durch Ende der APP-Wiederanlagen und Fälligkeit von GLRG-III-Geschäften
Die 2022 mit der Normalisierung der Geldpolitik begonnene allmähliche Verkleinerung der Eurosystem-Bilanz wurde 2023 fortgesetzt. Mit Beendigung der vollständigen und der partiellen Wiederanlage von APP-Beständen im Februar bzw. Juni verringerte sich die Bilanz weiter. Im Rahmen des PEPP wurde die Wiederanlage in vollem Umfang weitergeführt. Bis Ende 2023 war die Bilanzsumme auf 6,9 Billionen € geschrumpft. Verantwortlich hierfür waren vor allem fällig werdende GLRG-III-Geschäfte und vorzeitige Rückzahlungen. Auch der beginnende Abbau der APP-Bestände spielte eine gewisse Rolle.
Die aus geldpolitischen Gründen erworbenen Vermögenswerte in der Bilanz des Eurosystems beliefen sich Ende 2023 auf 5,1 Billionen €, d. h., gegenüber Ende 2022 war ein Rückgang um 1,2 Billionen € zu verzeichnen. Forderungen an Kreditinstitute im Euroraum machten 6 % der Bilanzsumme aus (nach 17 % Ende 2022) und zu geldpolitischen Zwecken gehaltene Wertpapiere 68 % (verglichen mit 62 % Ende 2022). Die sonstigen Finanzanlagen verteilten sich hauptsächlich auf Fremdwährungsanlagen und Gold sowie auf nicht geldpolitische Anlageportfolios in Euro.
Auf der Passivseite verringerten sich bis Ende 2023 die Reserveguthaben der Kreditinstitute und die Inanspruchnahme der Einlagefazilität auf 3,5 Billionen € (verglichen mit 4,0 Billionen € zum Jahresende 2022). Dies entsprach einem Anteil von 51 % aller Verbindlichkeiten (2022: 50 %). Der Banknotenumlauf blieb mit 1,6 Billionen € praktisch unverändert und machte 23 % der gesamten Verbindlichkeiten aus (nach 20 % im Jahr davor).
Das Eurosystem widmete sich 2023, wie im Dezember 2022 angekündigt, der Überarbeitung seines Handlungsrahmens zur Steuerung der kurzfristigen Zinssätze und schloss diese im März 2024 ab.
Abbildung 2.2
Entwicklung der konsolidierten Bilanz des Eurosystems
Durch die Einführung des Euro in Kroatien am 1. Januar 2023 und die Integration der Bilanz der Hrvatska narodna banka in die konsolidierte Bilanz des Eurosystems erhöhte sich letztere um 45 Mrd. €.
APP- und PEPP-Portfoliostruktur und Länderanteile
Abbau der Ankaufprogramme wurde vom Markt gut absorbiert
Das APP besteht aus vier Teilprogrammen: dem dritten Programm zum Ankauf gedeckter Schuldverschreibungen (CBPP3), dem Programm zum Ankauf von Asset-Backed Securities (ABSPP), dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (PSPP) und dem Programm zum Ankauf von Wertpapieren des Unternehmenssektors (CSPP). Das PEPP wurde 2020 als Reaktion auf den Ausbruch der Covid-19-Pandemie aufgelegt. Alle für das APP zugelassenen Wertpapierkategorien können auch im Rahmen des PEPP erworben werden; für von der Hellenischen Republik begebene Wertpapiere wurde bezüglich der PEPP-Zulassungskriterien vorübergehend eine Ausnahmeregelung gewährt.[25]
Im Dezember 2021 bekräftigte der EZB-Rat seine Absicht, mittels Drosselung des Ankauftempos im Rahmen des PEPP – und in weiterer Folge des APP – die graduelle Normalisierung seines geldpolitischen Kurses einzuleiten. Er kündigte die Einstellung der PEPP-Nettoankäufe an und gab im März 2022 das voraussichtliche Enddatum für Nettoankäufe im Rahmen des APP bekannt. Mit dem 1. April 2022 stellte das Eurosystem die PEPP-Nettoankäufe ein, Tilgungsbeträge von im Rahmen des Programms erworbenen Wertpapieren wurden weiterhin bei Fälligkeit (vollumfänglich) wieder angelegt. Mit Wirkung vom 1. Juli 2022 wurden die APP-Nettoankäufe beendet, ab diesem Zeitpunkt wurden nur mehr Tilgungsbeträge von im Rahmen des Programms erworbenen Wertpapieren bei Fälligkeit (vollumfänglich) wieder angelegt. Das Eurosystem beschloss danach, seine APP-Bestände von März bis Juni 2023 in einem maßvollen und vorhersehbaren Tempo zu verringern, indem die Tilgungsbeträge fällig werdender Wertpapiere nur teilweise wieder angelegt wurden. Damit wurde die kontinuierliche Marktpräsenz des Eurosystems im Rahmen des APP über diesen Zeitraum sichergestellt. Am 15. Juni 2023 bestätigte der EZB-Rat schließlich, dass die Wiederanlage im Rahmen des APP ab Juli 2023 eingestellt wird. Beim PEPP wurden Tilgungsbeträge bis Ende 2022 und auch im Gesamtjahr 2023 weiterhin in vollem Umfang wieder angelegt. Am 14. Dezember 2023 kündigte der EZB-Rat seine Absicht an, im ersten Halbjahr 2024 Tilgungsbeträge der im Rahmen des PEPP erworbenen Wertpapiere bei Fälligkeit weiterhin vollumfänglich wieder anzulegen und die PEPP-Bestände monatlich im Durchschnitt um 7,5 Mrd. € zu reduzieren; Ende 2024 soll die Wiederanlage im Rahmen des PEPP eingestellt werden. Die Wertpapierankäufe im Zuge der Wiederanlage verliefen weiterhin reibungslos und standen im Einklang mit den jeweils vorherrschenden Marktbedingungen.
Der Umfang der APP-Bestände blieb während der vollumfänglichen Wiederanlage von Juli 2022 bis Februar 2023 stabil. Während der partiellen Wiederanlage von März bis Juni 2023, d. h. vor Beginn der vollständigen Einstellung im Juli 2023, schrumpften die Bestände um 60 Mrd. € und damit im Schnitt um 15 Mrd. € pro Monat. Insgesamt gingen die APP-Bestände von 3,254 Billionen € (zu fortgeführten Anschaffungskosten) Ende 2022 auf 3,026 Billionen € Ende 2023 zurück. Der Großteil davon entfiel mit 2,403 Billionen € bzw. 79 % des gesamten APP-Portfolios zum Jahresende auf PSPP-Bestände. Im Rahmen des PSPP wurden Tilgungsbeträge generell in dem Land wieder angelegt, in dem die Tilgungszahlungen fällig wurden. Einige nationale Zentralbanken erwarben außerdem Wertpapiere supranationaler Institutionen der EU. Die gewichtete Durchschnittslaufzeit der PSPP-Bestände lag Ende 2023 bei 7,0 Jahren, wobei dieser Wert innerhalb des Euroraums etwas variierte. Das ABSPP zeichnete zum Jahresende für weniger als 1 % (13 Mrd. €) des gesamten APP-Bestands verantwortlich, das CBPP3 für 9 % (286 Mrd. €) und das CSPP für 11 % (324 Mrd. €). Die Ankäufe von Unternehmensanleihen und gedeckten Schuldverschreibungen orientierten sich an Benchmarks, welche die Marktkapitalisierung aller ankauffähigen ausstehenden Unternehmensanleihen bzw. gedeckten Schuldverschreibungen widerspiegeln. Das Eurosystem richtete seine Ankäufe von Unternehmensanleihen weiterhin stärker auf Emittenten mit einer besseren Klimabilanz aus und veröffentlichte seine ersten Offenlegungen zu klimabezogenen Finanzinformationen in Bezug auf das Unternehmensanleiheportfolio im Rahmen des CSPP und des PEPP sowie in Bezug auf das nicht zu geldpolitischen Zwecken gehaltene Portfolio (siehe Kapitel 11 Abschnitt 5). Die Wertpapierankäufe im Rahmen des APP im ersten Halbjahr 2023 verliefen reibungslos. Die partielle Wiederanlage und die Einstellung der Ankäufe wurden von den Finanzmärkten gut absorbiert und führten zu keinen größeren Beeinträchtigungen.
Die PEPP-Bestände beliefen sich zum Jahresende 2023 auf 1,7 Billionen € (zu fortgeführten Anschaffungskosten). Davon entfielen weniger als 1 % (6 Mrd. €) auf gedeckte Schuldverschreibungen, 3 % (46 Mrd. €) auf Unternehmensanleihen und 97 % (1 614 Mrd. €) auf Wertpapiere des öffentlichen Sektors.[26] Die gewichtete Durchschnittslaufzeit der im Rahmen des PEPP gehaltenen Wertpapiere des öffentlichen Sektors lag Ende 2023 bei 7,3 Jahren, wobei dieser Wert innerhalb des Euroraums etwas variierte.
Tilgungen von im Rahmen des APP und des PEPP erworbenen Wertpapieren des privaten Sektors beliefen sich im Berichtsjahr auf 80 Mrd. €; Tilgungen von Wertpapieren des öffentlichen Sektors, die im Rahmen des PSPP und des PEPP erworben worden waren, beliefen sich auf 438 Mrd. €. Das Volumen der wieder angelegten Tilgungsbeträge im Rahmen des APP und des PEPP betrug 36 Mrd. € bei Wertpapieren des privaten Sektors und 271 Mrd. € bei Wertpapieren des öffentlichen Sektors. Angesichts der umfangreichen und ungleich verteilten Tilgungen wurde die Wiederanlage von Papieren des öffentlichen Sektors geografisch und zeitlich geglättet, um eine regelmäßige und ausgewogene Marktpräsenz zu gewährleisten. Dabei wurden Marktpreisbildung und Funktionsfähigkeit der Märkte entsprechend berücksichtigt. Diese Glättung führte bei den PEPP-Beständen zu zusätzlichen vorübergehenden Abweichungen von der Zuteilung gemäß dem Kapitalschlüssel des Eurosystems. Diese wurden aber zum Ende der Glättungsphase, also des Kalenderjahrs, in dem die Tilgungen erfolgten, weitgehend rückgängig gemacht.
Im Zuge des PSPP, des CSPP, des CBPP3 und des PEPP erworbene Wertpapiere wurden wie bisher für Wertpapierleihgeschäfte zur Verbesserung der Liquidität am Anleihe- und Repomarkt zur Verfügung gestellt. Die Bedingungen am Repomarkt verbesserten sich 2023 im Vergleich zum Vorjahr deutlich, was sich in geringeren Kreditvolumen niederschlug.
Entwicklung der Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems
Das Volumen an ausstehenden Refinanzierungsgeschäften des Eurosystems belief sich Ende 2023 auf 410 Mrd. €, das sind 914 Mrd. € weniger als Ende 2022. Zurückzuführen ist diese Abnahme hauptsächlich auf freiwillige vorzeitige Rückzahlungen (312,5 Mrd. €) und fällig werdende Geschäfte im Rahmen der GLRG-III-Serie (612,9 Mrd. €). Die gewichtete Durchschnittslaufzeit der ausstehenden Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems sank von rund 10,5 Monaten Ende 2022 auf 5,2 Monate Ende 2023.
Pandemiebedingte Maßnahmen zur Lockerung der Sicherheitenkriterien schrittweise zurückgenommen
Im März 2022 kündigte die EZB die allmähliche Rücknahme der pandemiebedingten befristeten Maßnahmen zur Lockerung der Sicherheitenkriterien an. Diese Maßnahmen waren ein zentrales Element der geldpolitischen Reaktion der EZB auf die Pandemie: Sie erleichterten den Geschäftspartnern den Zugang zu den Kreditgeschäften des Eurosystems, indem das Volumen an notenbankfähigen Sicherheiten erhöht wurde. Der Fokus lag dabei auf der vorübergehenden Herabsetzung der Bewertungsabschläge für alle Sicherheitenkategorien um pauschal 20 % und der temporären Ausweitung des bei einigen nationalen Zentralbanken geltenden Rahmenwerks für die Hereinnahme zusätzlicher Kreditforderungen (ACC).
Die sukzessive Rücknahme der Maßnahmen begann im Juli 2022. Am 29. Juni 2023 startete dann die zweite Phase: Die temporäre Herabsetzung der Bewertungsabschläge für marktfähige und nicht marktfähige Sicherheiten wurde durch die Einführung neuer Bewertungsabschläge vollständig zurückgenommen, womit die EZB wieder jenes Risikotoleranzniveau für Kreditgeschäfte einführte, das vor der Pandemie gegolten hatte.[27]
In einem dritten Schritt soll der ACC-Rahmen einer umfassenden Überprüfung unterzogen werden. Einzelne nationale Zentralbanken setzten ihren nationalen ACC-Rahmen bereits im Lauf des Berichtsjahrs oder früher teilweise oder zur Gänze außer Kraft.[28] Im November 2023 verkündete der EZB-Rat das Ende der Zulassung von kurzfristigen Schuldverschreibungen als Sicherheiten im Rahmen der Leitlinie über zeitlich befristete Maßnahmen[29] in Bezug auf Sicherheiten sowie die Außerkraftsetzung einiger spezifischer Bestimmungen des ACC-Rahmenwerks. Darüber hinaus beschloss der EZB-Rat die Wiedereinführung des Mindestbetrags von 25 000 € für heimische Kreditforderungen, die im Inland als Sicherheiten zugelassen werden, und die Verlängerung der Gültigkeit der ACC-Rahmenwerke mit ihren verbleibenden Bestimmungen bis mindestens Ende 2024. Diese Beschlüsse sollen 2024 umgesetzt werden.
Im September 2023 wurde die relevante Bonitätseinstufung der Hellenischen Republik von Stufe 4 der harmonisierten Ratingskala des Eurosystems auf Stufe 3 (von BB+ auf BBB‑) heraufgesetzt, wodurch sämtliche von der Hellenischen Republik begebenen Schuldtitel Investment-Grade-Status erreichten.[30] Somit unterliegen diese Schuldtitel, für die zuvor eine in der Leitlinie über zeitlich befristete Maßnahmen in Bezug auf Sicherheiten enthaltene Ausnahmeregelung gegolten hatte, seit September 2023 den Zulassungskriterien des allgemeinen Sicherheitenrahmens.
Entwicklung der notenbankfähigen und eingesetzten Sicherheiten
Das Nominalvolumen marktfähiger, als Sicherheiten zugelassener Vermögenswerte erhöhte sich 2023 um 1,2 Billionen € und betrug zum Jahresende 18,3 Billionen € (siehe Abbildung 2.3). Die größte Anlageklasse bildeten dabei nach wie vor die Wertpapiere von Zentralstaaten (9,9 Billionen €). Zu den notenbankfähigen Sicherheiten zählten ferner Unternehmensanleihen (1,9 Billionen €), besicherte Bankanleihen (1,8 Billionen €) und unbesicherte Bankanleihen (2 Billionen €). Einen vergleichsweise kleinen Anteil an den notenbankfähigen Sicherheiten stellten Wertpapiere regionaler Gebietskörperschaften (603 Mrd. €), Asset-Backed Securities (600 Mrd. €) und sonstige marktfähige Vermögenswerte (1,4 Billionen €).
Abbildung 2.3
Entwicklung markt- und notenbankfähiger Sicherheiten
Die Geschäftspartner zahlten zwischen November 2022, als die für die GLRG III geltenden Zinssätze angepasst wurden, und dem Ende des Berichtsjahrs 80 % ihrer ausstehenden Kredite zurück, womit ein erheblicher Rückgang der eingesetzten Sicherheiten (um mehr als 900 Mrd. €) einherging (siehe Abbildung 2.4). Nach den vorzeitigen Rückzahlungen von November 2022 bis Januar 2023 reduzierten die Geschäftspartner insbesondere den Einsatz von Staatsanleihen, die mit relativ hohen Opportunitätskosten verbunden sind und bei privaten Repofinanzierungen genutzt werden können. Zusätzlich dazu verringerten sie 2023 den Einsatz von gedeckten Schuldverschreibungen und Asset-Backed Securities im Umfang von mehr als 250 Mrd. €. Mit dem Fälligwerden des GLRG-III-Geschäfts im Juni 2023 reduzierten sich die eingesetzten Sicherheiten beträchtlich, und zwar um rund 300 Mrd. €. Dies entsprach 60 % der an diesem Tag zurückgezahlten Nettoforderungen. Allerdings waren zwei Drittel dieses Rückgangs auf das partielle Auslaufen der pandemiebedingten Maßnahmen zur Lockerung der Sicherheitenkriterien zurückzuführen, insbesondere auf den Wegfall bestimmter ACC-Pools in Frankreich und die Rücknahme der noch bestehenden Absenkung der Bewertungsabschläge um 10 %.
Abbildung 2.4
Entwicklung eingesetzter Sicherheiten
2.3 Steuerung der finanziellen Risiken geldpolitischer Instrumente
Das Eurosystem steuert laufend die finanziellen Risiken, die mit der Durchführung seiner geldpolitischen Geschäfte einhergehen. Mit dieser Risikosteuerung soll Risikoeffizienz hergestellt werden, d. h. die geldpolitischen Ziele sollen mit dem geringstmöglichen Risiko erreicht werden.[31]
Verluste aufgrund von inkongruenten Zinssensitivitäten von Aktiva und Passiva
Die EZB hob 2023 ihre Leitzinsen wiederholt an, um die Inflation zurück auf das vom EZB-Rat angestrebte mittelfristige Ziel von 2 % zu bringen. Dadurch erhöhten sich die Kosten der Verbindlichkeiten in den Bilanzen der Zentralbanken des Eurosystems, während die durch die APP- und PEPP-Wertpapierbestände und die GLRG-III-Geschäfte generierten Erträge niedrig blieben. Das Resultat ist ein negatives Zinsergebnis, das mit Hilfe der in den vergangenen Jahren aufgebauten Finanzpuffer zum Teil ausgeglichen werden kann. Sind diese Puffer aufgebraucht, werden etwaige noch vorhandene Verluste in den Bilanzen ausgewiesen. Diese können jedoch gegen künftige Gewinne verrechnet werden; die effektive Arbeit der Zentralbanken des Eurosystems ist davon nicht betroffen. Es wird erwartet, dass die Inkongruenz zwischen Aktiva und Passiva im Eurosystem mit der Zeit abnimmt, wodurch sich die Ertragslage verbessern wird.[32]
Der Risikosteuerungsrahmen des Eurosystems wurde 2023 vor allem dahingehend angepasst, dass die zur Bonitätsbeurteilung zugelassenen Quellen noch weiter diversifiziert und die Ankäufe von Wertpapieren des Unternehmenssektors stärker auf Emittenten mit einer besseren Klimabilanz ausgerichtet wurden.
Weitere Diversifizierung der Bonitätsbeurteilungsquellen
Im Berichtsjahr wurden neue Rating-Quellen gemäß dem Rahmenwerk für Bonitätsbeurteilungen im Eurosystem (ECAF) zugelassen. Das Eurosystem verwendet das ECAF, um das Kreditrisiko von Vermögenswerten, die in geldpolitischen Geschäften eingesetzt werden, zu minimieren. Das ECAF legt die Verfahren, Regeln und Methoden fest, die sicherstellen, dass die hohen Bonitätsanforderungen für alle zugelassenen Vermögenswerte durchweg erfüllt werden. Darunter fallen auch die Bewertung, Zulassung und Beobachtung verschiedener Arten von Rating-Quellen.
Internes Bonitätsanalyseverfahren der Bank of Greece als Rating-Quelle zugelassen
Im April 2023 beschloss der EZB-Rat, das interne Bonitätsanalyseverfahren der Bank of Greece als Rating-Quelle zuzulassen. Dieses liefert Bewertungen griechischer juristischer Personen im nichtfinanziellen Sektor. Diese Bewertungen können nun herangezogen werden, um zu entscheiden, ob Kreditforderungen gegenüber griechischen nichtfinanziellen Unternehmen als Sicherheiten für Kreditgeschäfte des Eurosystems zugelassen werden bzw. welche Bewertungsabschläge zur Anwendung kommen. Das interne Bewertungssystem der Bank of Greece ist eines von neun Bonitätsanalyseverfahren von nationalen Zentralbanken, die aktuell vom EZB-Rat akzeptiert werden.
Scope Ratings GmbH als neue externe Ratingagentur zugelassen
Im November beschloss der EZB-Rat, die Ratingagentur Scope Ratings GmbH als externe Ratingagentur (ECAI) zuzulassen. Das Eurosystem hatte davor die Bewerbung der Agentur eingehend auf Grundlage der Zulassungskriterien für ECAI geprüft. Dabei wurden quantitative und qualitative Kriterien sowie alle relevanten aufsichtlichen Rückmeldungen der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) berücksichtigt. Sobald die Integration von Scope Ratings in die IT-Infrastruktur des Eurosystems abgeschlossen ist, werden die Bonitätsbeurteilungen der Agentur gemeinsam mit jenen der bereits zugelassenen externen Ratingagenturen (DBRS Morningstar, Fitch Ratings, Moody's und S&P Global Ratings) herangezogen, um über die Zulassung von Sicherheiten für geldpolitische Operationen sowie über vorzunehmende Bewertungsabschläge zu entscheiden.
Risikomanagement bei Ankäufen von Vermögenswerten im Rahmen des APP und PEPP
Finanzielle Risiken beim Ankauf von Vermögenswerten werden weiterhin auf Grundlage spezifischer Rahmenregelungen für jede Vermögensklasse gesteuert
Im Rahmen des PEPP wurden Tilgungsbeträge aus fällig werdenden Wertpapieren zu geldpolitischen Zwecken 2023 weiterhin wieder angelegt. Für das APP war das nur bis Ende Juni der Fall. Die finanziellen Risiken dieser Programme werden auf Grundlage spezifischer Rahmenregelungen gesteuert, die die geldpolitischen Ziele des jeweiligen Programms sowie die Merkmale und Risikoprofile der verschiedenen erworbenen Anlagekategorien berücksichtigen. Die Regelungen umfassen Zulassungskriterien, Verfahren zu Bonitätsbeurteilungen und Due-Diligence-Prüfungen, Preisrahmen, Benchmarks und Limite. Sie galten für den Nettoerwerb von Vermögenswerten und gelten nach wie vor für die Wiederanlage der Tilgungsbeträge aus fällig gewordenen Beständen und das derzeit gehaltene Portfolio, solange es in der Bilanz des Eurosystems ausgewiesen wird. Die wesentlichen Elemente dieser Rahmenwerke blieben auch im Berichtsjahr gültig; einen Überblick bietet die in Kapitel 2 Abschnitt 3 des EZB-Jahresberichts 2022 veröffentlichte Tabelle 2.1. Die Wiederanlage von Tilgungsbeträgen aus fällig werdenden Wertpapieren des Unternehmenssektors richtete das Eurosystem ab März 2023 (mit Beginn der partiellen Wiederanlage im Rahmen des APP) stärker auf Emittenten mit einer besseren Klimabilanz aus.
Kasten 3
Die Entwicklung der Überschussliquidität und ihre Auswirkungen auf den unbesicherten Euro-Geldmarkt
Im vorliegenden Kasten werden die Auswirkungen der Verringerung der Bilanz des Eurosystems auf den Euro-Geldmarkt beleuchtet. Die Verringerung der Überschussliquidität im Zuge der Bilanzverkleinerung verursachte keine Störung der Weitergabe von EZB-Leitzinsänderungen an den unbesicherten Geldmarkt. Allerdings entwickelte sich der Spread zwischen dem €STR (Euro Short-Term Rate) und dem EZB-Zinssatz für die Einlagefazilität 2023 asymmetrisch, d. h., er reagierte auf die Reduktion von Überschussliquidität weniger stark als auf die vorherige Liquiditätszufuhr. Erste Analysen deuten darauf hin, dass es sich hierbei um ein vorübergehendes Phänomen handeln dürfte.
Neue geldpolitische Straffung verringerte Liquidität
Nachdem der Zinssatz für die Einlagefazilität nicht mehr negativ war und die GLRG-III-Bedingungen rekalibriert worden waren, verringerte sich die Überschussliquidität, und zwar von 4,4 Billionen € am 27. Juli 2022 auf 3,3 Billionen € am 31. Dezember 2023 (siehe Abbildung A, Grafik a). Diese Verringerung um 1,1 Billionen € ergab sich primär aus der Rückzahlung von 1,7 Billionen €, die Banken im Rahmen der GLRG III aufgenommen hatten. Auch das Fälligwerden von APP-Beständen des Eurosystems trug dazu bei, da durch Tilgungsbeträge, die nicht wieder angelegt wurden, Liquidität in Höhe von 0,3 Billionen € abgezogen wurde. Im Gegenzug sorgten autonome Faktoren dafür, dass 0,9 Billionen € an Überschussliquidität wieder ins System gelangten, was darauf zurückzuführen war, dass institutionelle Geschäftspartner ihre nicht geldpolitischen Einlagen beim Eurosystem reduzierten. Diese Reduktion spiegelte die Änderungen bei der Verzinsung dieser Einlagen wider und vollzog sich schrittweise.
Geringere Liquidität hat den Spread zwischen dem €STR und dem Zinssatz für die Einlagefazilität nicht verkleinert
Historische Daten legen den Schluss nahe, dass ein deutlicher Rückgang der Überschussliquidität den Spread zwischen dem €STR und dem Zinssatz für die Einlagefazilität verringern sollte. Allerdings hat die aktuelle Reduktion der Überschussliquidität keine Verkleinerung des Spreads nach sich gezogen (siehe Abbildung A, Grafik b). Vielmehr zeigte sich bis ins zweite Halbjahr 2022 eine Ausweitung und anschließend (ab November 2022) eine Stabilisierung bei rund ‑10 Basispunkten. Diese Abweichung von historischen Mustern wirft die Frage auf, ob es sich um ein vorübergehendes Phänomen oder um eine strukturelle Verschiebung handelt.
Abbildung A
Entwicklung der Überschussliquidität
a) Überschussliquidität und ihre Komponenten | b) Überschussliquidität und Spread zwischen €STR und Einlagesatz |
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Quellen: EZB (Marktoperationen-Datenbank), Bloomberg und Eurosystem-Berechnungen.
Anmerkung: Grafik a): Die Phase des negativen Einlagesatzes endete am 26. Juli 2022; am 27. Juli stieg der Zinssatz von ‑0,50 % auf 0,00 %. Grafik b): Die Phase des negativen Einlagesatzes, die hier dargestellt wird, dauerte vom 1. Oktober 2019 bis zum 26. Juli 2022. In der Zeit vom 27. Juli bis zum 13. September 2022 lag der Einlagesatz bei 0 %. Die Phase des positiven Einlagesatzes begann am 14. September 2022 mit seiner Anhebung von 0,00 % auf 0,75 %.
Antriebsfaktoren
Durch das faktische Außerkraftsetzen des zweistufigen Systems für die Verzinsung von Überschussreserven der Banken im Juli 2022 standen zusätzlich 1 Billion € an Überschussliquidität für den Handel zur Verfügung (siehe Abbildung B, Grafik a). In der Phase negativer Einlagesätze – nach Einführung des zweistufigen Systems im Oktober 2019 – war die für den Handel effektiv verfügbare Überschussliquidität geringer als die Überschussliquidität insgesamt, da für Teile der beim Eurosystem gehaltenen Überschussliquidität eine günstige Verzinsung galt (d. h. diese Teile waren von der negativen Verzinsung ausgenommen). Diese Bevorzugung fiel mit der Beendigung der Negativzinsphase im Juli 2022 weg. Das Freiwerden zusätzlicher handelbarer Mittel belebte u. a. den Handel der Banken mit unbesicherten täglich fälligen Einlagen.
Der Geldmarktstatistik (MMSR) zufolge stieg die Mittelaufnahme im unbesicherten Segment gegen Ende 2023 im Schnitt auf täglich 210 Mrd. €, nachdem sie während der Negativzinsphase 2021 und 2022 im Schnitt 120 Mrd. € pro Tag betragen hatte. Die Zunahme war in allen Geschäftspartnersektoren zu beobachten (siehe Abbildung B, Grafik b). Die Anhebung der Zinsen in den positiven Bereich und das Ende des zweistufigen Systems führten also zu einer beträchtlichen Angebotsausweitung im unbesicherten Segment.
Die Banken profitierten insofern, als ihnen dieses Überangebot größere Marktmacht bei Zinsverhandlungen mit Kunden verlieh. Darauf deutet die größere Streuung bei den für die Berechnung des €STR herangezogenen Zinssätzen hin, wobei der Großteil den €STR nach unten drückte. Während Anleger kurze Laufzeiten bevorzugten, weil sie mit Zinsanhebungen durch die EZB rechneten, zeigten die Banken nur beschränkt Interesse an Einlagen mit kurzen Laufzeiten, die für die regulatorischen Liquiditätskennzahlen keinen Nutzen bringen und zugleich die Bilanz auf kostspielige Weise vergrößern. Die Banken verlangen daher tendenziell von Einlegern eine Prämie, um den negativen Effekt solcher Einlagen auf ihre Verschuldungsquote auszugleichen. Dadurch ergab sich insbesondere zu den Quartals- und Jahresend-Meldestichtagen Abwärtsdruck auf den €STR.
Abbildung B
Handelsaktivität
a) Handelbare Überschussliquidität und Spread zwischen €STR und Einlagesatz | b) Unbesicherte Kreditaufnahme nach Geschäftspartnersektor |
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Quellen: EZB (Marktoperationen-Datenbank, MMSR), Bloomberg und Eurosystem-Berechnungen.
Anmerkung: Grafik a): Die Phase des negativen Einlagesatzes endete am 26. Juli 2022; am 27. Juli stieg der Zinssatz von ‑0,50 % auf 0,00 %. „Befreite Überschussreserven“ bezieht sich auf jenen Teil der Überschussliquidität, der im zweistufigen System von der negativen Verzinsung ausgenommen ist. Grafik b): Die Phase des positiven Einlagesatzes begann am 14. September 2022 mit seiner Anhebung von 0,00 % auf 0,75 %. Der in der Abbildung dargestellte Umsatz umfasst alle täglich fälligen Einlagen, Einlagen von nichtfinanziellen Unternehmen, Tagesgeldkonten und einige andere Ausleihungen mit einer Laufzeit von bis zu einem Jahr, die in die Berechnung des €STR einfließen. „Sonstige“ umfasst Investmentfonds (ohne Geldmarktfonds), Pensionsfonds und Versicherungsfonds sowie andere Sektoren.
Spread möglicherweise nur vorübergehend nicht verkleinert
Die Tatsache, dass sich der Spread zwischen dem €STR und dem Zinssatz für die Einlagefazilität nicht verkleinert hat, könnte also ein temporäres Phänomen sein. Es hängt offenbar damit zusammen, dass die Banken bei einem Überangebot an Liquidität ihre Marktmacht in Verhandlungen um den Zinssatz für kurzfristige Einlagen dazu nutzen, die Auswirkungen auf regulatorische Kennzahlen auszugleichen. Mit dem weiteren Rückgang der Überschussliquidität und einer möglicherweise daraus resultierenden Veränderung im Kräfteverhältnis zwischen Geldnachfrage und -angebot könnte es aber doch noch zu einer Annäherung von €STR und Einlagesatz kommen.
3 Der europäische Finanzsektor: resilient in einem fragilen Finanzstabilitätsumfeld
Die Banken im Euroraum erwiesen sich 2023 als resilient, insbesondere auch nach den Bankenschieflagen in den Vereinigten Staaten und in der Schweiz. Dabei kamen ihnen Fortschritte in mehreren Bereichen sowie der laufende Austausch mit der Aufsicht zugute. Dennoch blieb das Finanzstabilitätsumfeld fragil, da die verschärften Finanzierungsbedingungen eine Herausforderung für die Realwirtschaft und den Finanzsektor darstellten. Zur Stärkung des Bankensektors setzten die nationalen Behörden weiter auf die Umsetzung bzw. Verschärfung von makroprudenziellen Puffern. Außerdem wurden die regulatorischen Rahmenwerke für die Banken sowie für die Finanzinfrastruktur und -innovationen weiter verbessert, um die langfristige Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu steigern.
3.1 Finanzstabilitätslage im Jahr 2023
Finanzstabilitätsumfeld im Euroraum blieb fragil
Das Finanzstabilitätsumfeld im Euroraum blieb über das Jahr 2023 hindurch fragil. Zurückzuführen war dies auf eine Kombination von Herausforderungen im Zusammenhang mit hoher Inflation, verschärften Finanzierungsbedingungen, schwächeren Wachstumsaussichten und den jüngsten geopolitischen Spannungen im Nahen Osten, die die Auswirkungen des andauernden Kriegs Russlands gegen die Ukraine noch verschärften. Im März 2023 führten Bankenschieflagen in den Vereinigten Staaten und in der Schweiz zu einem schweren Finanzschock, der dank entschlossener Maßnahmen letzten Endes jedoch von kurzer Dauer war. So verlagerten sich die Bedenken hinsichtlich der Finanzstabilität schnell auf andere Herausforderungen, etwa die Auswirkungen der höheren Zinsen und die Abwärtsrisiken für das Wachstum. Die steigenden Leitzinsen der EZB ließen die Finanzierungskosten für alle Wirtschaftssektoren weiter allmählich ansteigen. Die längeren Zinsbindungsfristen bei in den vergangenen Jahren vergebenen Neukrediten, die robuste Arbeitsmarktlage sowie angehäufte Ersparnisse dämpften jedoch im gesamten Jahresverlauf die Auswirkungen der höheren Kreditkosten auf das Kreditrisiko. Insgesamt blieb die Aktivaqualität der Banken im Euroraum robust. Dennoch verzeichneten die Banken einen Anstieg von Kreditausfällen (wenn auch von einem niedrigen Ausgangsniveau), und Finanzintermediäre außerhalb des Bankensektors (NBFI) sahen sich angesichts vermehrter Ratingherabstufungen in ihren Anleiheportfolios weiterhin einem erhöhten Kreditrisiko gegenüber.
Verschärfte Finanzierungsbedingungen und höhere Schuldendienstkosten für private Haushalte, Unternehmen und Staaten
Nachdem die Staaten des Euroraums sich in den vergangenen Jahren niedrige Zinsen sichern konnten und in dieser Hinsicht auch vom EZB-Instrument zur Absicherung der Transmission profitierten, verzeichneten sie im Jahr 2023 einen breit angelegten Anstieg der Finanzierungskosten; diesbezüglich waren in den einzelnen Ländern im Jahresverlauf nur begrenzt Unterschiede erkennbar. Die Staaten müssen nun fällig werdende Schulden zu höheren Zinssätzen refinanzieren, und die Finanzierungskosten orientieren sich nach wie vor sehr stark an der Entwicklung der finanzpolitischen Fundamentaldaten, insbesondere am Risiko von finanzpolitischen Fehlentwicklungen. Dies könnte Bedenken hinsichtlich der Tragfähigkeit der Staatsverschuldung wieder aufleben lassen. Die Flexibilität bei der Wiederanlage im Rahmen des Pandemie-Notfallankaufprogramms und das Instrument zur Absicherung der Transmission ermöglichen es aber der EZB, bei Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen einer ungerechtfertigten, ungeordneten Dynamik an den Staatsanleihemärkten entgegenzuwirken.
Auch der Unternehmenssektor profitierte vor und während der Pandemie von den niedrigen Zinsen; seine Ertragssituation blieb im Jahr 2023 robust. Mit dem Nachlassen der Auswirkungen der Erholung, der Verschärfung der Kreditbedingungen und dem Anstieg der Schuldendienstkosten nahm die Verwundbarkeit der Unternehmen zu. Bei den Unternehmensinsolvenzen wurde im Lauf des Jahres ein erster Anstieg verzeichnet, allerdings auf einem im Allgemeinen noch niedrigen Niveau. Die Immobilienunternehmen waren wegen des anhaltenden Abschwungs an den Gewerbeimmobilienmärkten im Euroraum besonders gefährdet.
Die privaten Haushalte sahen sich im Jahr 2023 mit einer Verschlechterung der Schuldendienstfähigkeit konfrontiert, was auf steigende Zinssätze und die anhaltende Korrektur an den Wohnimmobilienmärkten zurückzuführen war. Der kräftige Anstieg der Kreditkosten seit Beginn der geldpolitischen Straffung hatte eindeutig negative Auswirkungen auf die Hypothekennachfrage. Dessen ungeachtet trugen eine gute Arbeitsmarktlage zusammen mit Engpässen beim Wohnungsangebot dazu bei, dass die Abkühlung an den Wohnimmobilienmärkten geordnet ablief. Dennoch deuten weiterhin erhöhte Bewertungen darauf hin, dass die Schwachstellen zum Tragen kommen könnten, falls die Preiskorrekturen ungeordnet werden.
Finanzmärkte weiterhin anfällig für negative Überraschungen
Abgesehen von mehreren Phasen der Volatilität im Jahr 2023 schienen die Preise an den Finanzmärkten im Berichtsjahr auf optimistischen Erwartungen hinsichtlich der makrofinanziellen Aussichten zu beruhen und galten daher als anfällig für negative Überraschungen. Während die Risikoprämien am Markt für Unternehmensanleihen offenbar weitgehend den historischen Verlaufsmustern entsprachen, waren sie am Aktienmarkt deutlich gesunken. Wegen der ungewöhnlich verhaltenen Reaktion der Aktienkurse auf die steigenden Zinsen erschienen die Aktien anfällig für abrupte Neubewertungen, falls die negativen Auswirkungen der Konjunkturabkühlung auf die Ertragssituation der Unternehmen stärker ausfallen würden als von den Anlegern erwartet. Darüber hinaus reagierte die Risikostimmung an den Märkten nach wie vor sehr sensibel auf unerwartete Entwicklungen bei den Wachstums‑ und Inflationsaussichten und infolgedessen im Hinblick auf den künftigen geldpolitischen Kurs.
Die harte Kernkapitalquote (CET1-Quote) der Banken im Euroraum lag im dritten Quartal 2023 bei 15,6 %. Damit lag sie nahe am höchsten Stand seit Beginn der europäischen Bankenaufsicht, was mit der höheren Rentabilität und dem Abbau von Risiken in den Bankenportfolios im Zusammenhang stand. Während der Spannungen infolge der Bankenschieflagen in den Vereinigten Staaten und in der Schweiz Anfang des Jahres trugen hohe Kapital‑ und Liquiditätspuffer dazu bei, das Vertrauen in das Bankensystem im Euroraum aufrechtzuerhalten. Außerdem stieg die Eigenkapitalrendite der Banken im Euroraum weiter und erreichte mit 10,0 % ihr höchstes Niveau seit mehr als zehn Jahren. Dies ergab sich aus höheren Nettozinsmargen: Die Renditen der Aktiva stiegen stärker als die Refinanzierungskosten. Diesen für die Ertragslage positiven Faktoren standen jedoch drei potenziell risikobehaftete negative Faktoren gegenüber: a) Die Kombination aus höherer Inflation, steigenden Schuldendienstkosten und einer sich eintrübenden Konjunktur, die sich negativ auf die Qualität der Bankaktiva auswirken könnte; diese Situation zeichnete sich mit dem beginnenden Anstieg von Ausfallquoten und Zahlungsrückständen bereits ab. b) Restriktivere Kreditrichtlinien, die die Kreditnachfrage verringern; die Neukreditvergabe ist auf den niedrigsten Stand seit 2015 gefallen. c) Eine sich anbahnende Erhöhung der Finanzierungskosten; die aggregierten Einlagenzinsen – insbesondere für Termineinlagen – und die Refinanzierungskosten an den Märkten begannen zu steigen. Ungeachtet dieser Herausforderungen bestätigten die Ergebnisse des von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA) im Jahr 2023 durchgeführten EU-weiten Stresstests, dass die Banken gegenüber schwerwiegenden negativen Schocks resilient bleiben dürften.
NBFI weiterhin anfällig gegenüber Liquiditäts‑ und Kreditrisiken
Die Lage des NBFI-Sektors war 2023 relativ stabil; Fonds für Staats‑ und Investment-Grade-Unternehmensanleihen verzeichneten anhaltende Zuflüsse. Dies trug dazu bei, dass die von Staaten und Unternehmen begebenen Schuldtitel besser absorbiert werden konnten. Gleichzeitig bauten die NBFI-Unternehmen ihre Gesamtkreditrisikoposition im Lauf des Jahres aktiv ab. Im Zuge einer laufenden Risikosenkung kam es zu einer Umschichtung der Portfolios hin zu vergleichsweise sicheren Anlageformen. Dennoch blieb ihre Anfälligkeit gegenüber Kreditrisiken bestehen. Vor dem Hintergrund der hohen wirtschaftlichen Unsicherheit und der verschärften Finanzierungsbedingungen stellten Neubewertungsverluste durch Ratingherabstufungen in Anleiheportfolios und Ausfälle ein potenzielles Risiko für den NBFI-Sektor dar. Darüber hinaus sah sich der Sektor nach wie vor Liquiditätsrisiken gegenüber. Angesichts der sich verschärfenden Finanzierungsbedingungen blieben die Liquiditätspolster der Aktien- und Rentenfonds niedrig. Da die Liquiditätsbestände in sämtlichen Segmenten des NBFI-Sektors weiterhin gering waren, bestand das Risiko, dass plötzliche Mittelabflüsse aus Investmentfonds, hohe Nachschussforderungen oder Stornos von Versicherungsverträgen zu Zwangsverkäufen von Vermögenswerten führen würden. Speziell Immobilienfonds waren von potenziellen Neubewertungsverlusten und Mittelabzügen der Anleger bedroht, was vor allem auch mit den Herausforderungen im Gewerbeimmobiliensektor in Zusammenhang stand. Die Instabilität dieses Segments war besonders besorgniserregend, da es für den Immobiliensektor insgesamt von großer Bedeutung ist und die Risiken in diesem Segment verstärken kann.
Der Klimawandel stellte die Banken, Fonds und Versicherer im Euroraum auch im Jahr 2023 vor Herausforderungen. Auch die Cyberrisiken mussten genau überwacht werden. Die zunehmende Häufigkeit von Naturkatastrophen infolge des Klimawandels und das steigende Ausmaß der damit verbundenen Schäden trieb die Versicherungsprämien in die Höhe; dazu kommt, dass klimabedingte Gefahren nur in begrenztem Ausmaß von Versicherungen abgedeckt werden können.[33] Dies verdeutlichte das Risiko, dass häufigere Klimaschocks die Herausforderungen der Nichtlebensversicherer hinsichtlich der Rentabilität verstärken und die bestehenden Deckungslücken – den Anteil der nicht durch Versicherungen gedeckten wirtschaftlichen Schäden – vergrößern, was sich negativ auf die gesamtwirtschaftliche Lage und die Finanzstabilität auswirken könnte.
3.2 Makroprudenzielle Politik: Sicherstellung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors in einem turbulenten makrofinanziellen Umfeld
Weitere Einführung bzw. Verschärfung makroprudenzieller Puffer durch nationale Behörden
Zu den Aufgaben der EZB zählt die Überprüfung der makroprudenziellen Kapitalmaßnahmen, die von den nationalen Behörden für Banken in Ländern, die am Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) teilnehmen, vorgeschlagen werden. Die EZB ist insbesondere auch befugt, bei Bedarf strengere Kapitalmaßnahmen zu ergreifen. Dafür wurde im Rahmen der genauen Beobachtung der nationalen makroprudenziellen Politik durch die EZB im Jahr 2023 kein Bedarf festgestellt. Mehrere Länder hatten bereits makroprudenzielle Maßnahmen ergriffen oder verschärft, um ihre Bankensysteme resilienter gegenüber bestehenden Anfälligkeiten und Abwärtsrisiken zu machen.
Wahrung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems und Förderung gezielter makroprudenzieller Maßnahmen
Makroprudenzielle Puffer sollten beibehalten werden, um die Widerstandsfähigkeit der Banken im Falle einer Verschlechterung der Lage im Bankensektor zu bewahren
Für Bedenken hinsichtlich der Finanzstabilität sorgten 2023 zunehmend die Auswirkungen der höheren Zinssätze und der Abwärtsrisiken für das Wachstum. Aus makroprudenzieller Sicht führten die verschärften Finanzierungsbedingungen zu einem anhaltenden Abschwung im Finanzzyklus, doch systemische Risiken traten nicht ein. Insbesondere war die Kapitalausstattung der Banken nach wie vor hoch, wenngleich zwischen den einzelnen Banken und Ländern Unterschiede beim Kapitalspielraum bestanden, und die Kreditangebotsbeschränkungen standen nicht im Zusammenhang mit den Kapitalanforderungen für Banken. In Zukunft könnten allerdings höhere Schuldendienstkosten und die sich eintrübende Konjunktur eine Herausforderung für die Schuldendienstfähigkeit des nichtfinanziellen Sektors darstellen und die Aktivaqualität der Banken sukzessive beeinträchtigen. Zusammen mit einem geringeren Kreditvergabevolumen und steigenden Refinanzierungskosten könnte sich dies negativ auf die Ertragslage und Widerstandsfähigkeit der Banken auswirken.
Vor diesem Hintergrund wurde 2023 die makroprudenzielle Politik auf nationaler Ebene weiter verschärft, um die Widerstandsfähigkeit der Banken zu verbessern. Diese Verschärfung war nicht zuletzt deshalb möglich, weil die Banken trotz des herausfordernden makrofinanziellen Umfelds im Durchschnitt weiter über eine gute Ertragslage und einen großen Kapitalspielraum verfügten. In einigen Ländern wurde außerdem der antizyklische Kapitalpuffer aktiviert, um Schwachstellen im Zusammenhang mit dem Aufbau von Kreditrisiken zu bekämpfen und zusätzlichen makroprudenziellen Spielraum in Form von freisetzbaren Kapitalpuffern zu schaffen. Im Jahr 2023 wurde in acht Ländern der antizyklische Kapitalpuffer eingeführt oder verschärft. Damit hatten bis zum Jahresende insgesamt schon 14 Länder eine positive Quote für den antizyklischen Kapitalpuffer umgesetzt oder angekündigt. Zudem hatten insgesamt elf Länder einen breiten oder sektoralen Systemrisikopuffer umgesetzt oder angekündigt,[34] während bei Banken in zehn Ländern eine Erhöhung der Puffer für andere systemrelevante Institute (A-SRI) vorgenommen wurde, was zum Teil auf die überarbeitete EZB-Methodik zur Untergrenze zurückzuführen war.[35] 15 Länder behielten kreditnehmerbezogene Maßnahmen bei, um zu verhindern, dass Banken bei der Kreditvergabe an private Haushalte übermäßige Risiken eingehen.
Die EZB kommunizierte im Jahr 2023 ihre Analysen und Positionen zu makroprudenziellen Themen. In den Kapiteln zur makroprudenziellen Politik im Financial Stability Review vom Mai bzw. November hob die EZB die Bedeutung der Beibehaltung von makroprudenziellen Puffern für den Fall einer Verschlechterung der Lage im Bankensektor hervor.[36] Ferner erläuterte die EZB, warum die bestehenden kreditnehmerbezogenen Maßnahmen aufrechterhalten und weiterhin als strukturelle Sicherungsmechanismen dienen müssen: Damit werde gewährleistet, dass sich die Kreditvergabestandards nicht verschlechtern und die Kreditnehmer resilient bleiben. Eine gute Ertragslage des Bankensektors könnte in einigen Ländern die Möglichkeit für zusätzliche gezielte Erhöhungen der makroprudenziellen Puffer bieten, sofern dabei prozyklische Effekte vermieden werden. Nicht zuletzt veröffentlichte die EZB Stellungnahmen, warum die Erhebung von Sondersteuern auf Kreditinstitute in einigen Ländern negative Auswirkungen auf die Finanzstabilität haben könnte.[37]
Erfahrungen aus der Pandemie legen nahe, dass die Rolle freisetzbarer makroprudenzieller Puffer gestärkt werden sollte
In einer Ausgabe ihres Macroprudential Bulletin erörterte die EZB die mögliche Umsetzung einer positiven neutralen Quote für den antizyklischen Kapitalpuffer. Die Erfahrungen aus der Pandemie legen insgesamt nahe, dass die Rolle freisetzbarer makroprudenzieller Kapitalpuffer gestärkt werden muss. So kann negativen systemischen Schocks wirksam begegnet werden, die unabhängig von der Position eines Landes im Finanz- oder Konjunkturzyklus auftreten können. Bis Ende 2023 hatten bereits sechs Länder Rahmen für die Festlegung einer positiven neutralen Quote umgesetzt oder angekündigt.[38] Diese Rahmen basierten auf unterschiedlichen Ansätzen; dadurch ergaben sich auch unterschiedliche positive neutrale Quoten. Mittelfristig erscheint eine bessere Abstimmung bei der Festlegung positiver neutraler Quoten in den Ländern der Bankenunion wünschenswert, da dies für mehr Einheitlichkeit sorgen und die Wirksamkeit der Maßnahmen verbessern würde, und gleichzeitig ausreichend Flexibilität auf nationaler Ebene verbleibt. Mit Blick auf den NBFI-Sektor forderte die EZB weiterhin ein umfassendes Maßnahmenpaket, um Schwachstellen in diesem Sektor ganzheitlich zu begegnen. Diese Maßnahmen sollten die bestehenden Rahmen berücksichtigen und international gut koordiniert sein.
Zusammenarbeit mit dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken
ESRB analysierte weiterhin mögliche Ursachen systemischer Risiken und veröffentlichte eine Empfehlung zu Gewerbeimmobilien
Die EZB leistete im Jahr 2023 dem Sekretariat des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) analytische, statistische, logistische und administrative Unterstützung. Insbesondere führte die EZB den Co-Vorsitz in der Arbeitsgruppe Instrumente (IWG), in der Arbeitsgruppe Analyse (AWG) und in der Taskforce für Stresstests des ESRB sowie im Projektteam der EZB und des ESRB für die Überwachung von Klimarisiken. Darüber hinaus führte sie den Co-Vorsitz in den agilen Teams der AWG/Gruppe Makroprudenzielle Analyse (MPAG) und der IWG/Gruppe Makroprudenzielle Politik (MPPG) zu den Auswirkungen höherer Inflation und steigender Zinsen auf die Finanzstabilität sowie im agilen Team der AWG/MPAG zur systemischen Liquidität.
Die EZB unterstützte ferner die Aktivitäten des ESRB in den Bereichen: a) makroprudenzielle Instrumente für die Cyberresilienz;[39] b) systemische Auswirkungen und mögliche Maßnahmen in Bezug auf Kryptowerte und dezentrale Finanzanwendungen;[40] c) Überwachung der Anfälligkeiten im Zusammenhang mit NBFI;[41] d) mögliche Maßnahmen zur Eindämmung von Risiken bei Investmentfonds für Unternehmensschuldtitel und Immobilien;[42] e) Anfälligkeiten im Gewerbeimmobiliensektor, zu denen der ESRB eine Empfehlung veröffentlichte;[43] und f) makroprudenzielle Rahmen für die Steuerung von Klimarisiken.[44] Weitere Informationen zum ESRB finden sich auf dessen Website und in dessen Jahresberichten.
3.3 Mikroprudenzielle Aufsichtsaktivitäten zur Gewährleistung sicherer und solider Finanzinstitute
Aufgrund der Fortschritte der vergangenen Jahre und des kontinuierlichen Austausches mit der Aufsicht blieben die Banken resilient
Trotz des schwierigen gesamtwirtschaftlichen Umfelds blieben die europäischen Banken im gesamten Jahr 2023 resilient. Das galt auch nach den Turbulenzen im März, die durch die Schieflage einiger regionaler Banken in den Vereinigten Staaten ausgelöst worden waren und in Europa in der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS unter Aufsicht der schweizerischen Behörden gipfelten. Gemäß einer speziellen Datenerhebung der EZB und der EBA verzeichneten die Banken in ihren Anleihebeständen (zu fortgeführten Anschaffungskosten) unrealisierte Verluste in Höhe von netto 73 Mrd. €. Im Vergleich zu dem in den Vereinigten Staaten ermittelten Wert wurde dieser Betrag als überschaubar erachtet. Dank höherer Aktivaqualität und Rentabilität konnten die Banken im EZB-Stresstest 2023 dem schweren Konjunkturabschwung im adversen Szenario standhalten. Zurückzuführen ist diese allgemeine Widerstandsfähigkeit auf die jahrelangen einschlägigen Anstrengungen der Banken sowie ihre diversifizierte Refinanzierungsstruktur und das gute Liquiditätsumfeld. Ein weiterer Faktor ist der kontinuierliche Austausch mit der EZB, z. B. im Rahmen der Arbeiten zum Zinsänderungsrisiko im Anlagebuch seit 2021. Im aufsichtlichen Überprüfungs- und Bewertungsprozess (SREP) für 2023 blieb der Gesamtscore weitgehend unverändert. Die Säule-2-Anforderungen für das harte Kernkapital (CET1) wurden auf durchschnittlich 1,2 % festgelegt, nach 1,1 % im Jahr 2022.
Trotz der SREP-Ergebnisse und der Rekorderträge der europäischen Banken im Jahr 2023 sieht die EZB keinen Anlass, sich mit dem Erreichten zufrieden zu geben. Die Nachhaltigkeit der hohen Gewinne könnte durch das zunehmende Durchschlagen der Leitzinsänderungen auf die Einlagenzinsen, den Anstieg der Refinanzierungskosten der Banken auf breiter Front und eine Verschlechterung der Aktivaqualität im Immobiliensektor und in anderen zinssensiblen Sektoren gefährdet werden. Die Aufsichtstätigkeit der EZB konzentriert sich nach wie vor auf weiter bestehende Schwächen in den Bereichen Risikomanagement, Governance und interne Kontrollen sowie auf neu auftretende Risiken.
Aufsicht wurde stärker risikobasiert und wirksamer
Die EZB-Bankenaufsicht wurde im Lauf des Jahres 2023 stärker risikobasiert und wirksamer. Auf Grundlage interner Arbeiten und der Empfehlungen der Expertengruppe hat die EZB einen neuen Risikotoleranzrahmen umgesetzt. Dieser ermöglicht es den Aufsichtsbehörden, ihre Tätigkeit gemäß der individuellen Lage der beaufsichtigten Bank anzupassen und zu priorisieren, anstatt undifferenziert vorzugehen. Ebenso hat die EZB einen neuen mehrjährigen Bewertungsrahmen für den SREP eingeführt, mit dem die Aufsichtsbehörden das Ausmaß und die Häufigkeit ihrer Analysen besser abstimmen können. Außerdem begann die EZB, schlagkräftigere Eskalationsprozesse für zeitnäheres Handeln zu entwickeln. Diese nutzen das gesamte Spektrum der Aufsichtsinstrumente, darunter auch periodische Bußgelder, z. B. im Zusammenhang mit Klima- und Umweltrisiken.[45]
Die EZB belegte 2023 drei Banken mit Sanktionen.[46]
Im Dezember 2023 veröffentlichte die EZB die Aufsichtsprioritäten für die Jahre 2024-2026. Diese umfassen: a) Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber unmittelbaren makrofinanziellen und geopolitischen Schocks; b) Beschleunigung der effektiven Beseitigung von Mängeln in der Governance und beim Management von Klima- und Umweltrisiken; sowie c) Förderung der digitalen Transformation und Erstellung robuster Rahmen für die operative Widerstandsfähigkeit.
Im Rahmen ihrer laufenden Bestrebungen zur Verbesserung der Transparenz veröffentlichte die EZB im Jahr 2023 a) einen vierstufigen Ansatz zur Festlegung der Säule-2-Anforderung auf Grundlage der einzelnen Risiken („risk-by-risk“); b) die Kreditrisiko-SREP-Methodik und die Marktrisiko-SREP-Methodik zur Anwendung im SREP-Zyklus 2024; und c) den Leitfaden zu Verfahren für qualifizierte Beteiligungen; außerdem gab die EZB im Januar 2024 eine aktualisierte Version des Aufsichtshandbuchs heraus. Dieses war zuletzt im Jahr 2018 veröffentlicht worden.
Ein von der Europäischen Kommission vorgeschlagenes Gesetzespaket zur Änderung des europäischen Rahmens für das Krisenmanagement und die Einlagensicherung wurde von der EZB und dem Einheitlichen Abwicklungsausschuss im April 2023 begrüßt.
Im Oktober 2023 wurde Claudia Buch im Rahmen des bestehenden institutionellen Auswahlverfahrens zur neuen Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums der EZB ernannt.
Weitere Erläuterungen finden sich auf der EZB-Website zur Bankenaufsicht und im EZB-Jahresbericht zur Aufsichtstätigkeit 2023.
3.4 Beitrag der EZB zu Initiativen auf EU- und internationaler Ebene
Meilensteine bei Verbesserung des Regulierungsrahmens
Bei der Verbesserung des Regulierungsrahmen für den Finanzsektor wurden 2023 weitere Fortschritte erzielt. Die wichtigsten Erfolge waren a) die Einigung über die Umsetzung der finalen Basel-III-Reformen durch die EU; b) die Initiativen zur Bekämpfung klimabezogener Risiken; und c) der Vorschlag zur Stärkung des EU-Rahmens für das Krisenmanagement und die Einlagensicherung. Wichtige Fortschritte wurden auch bei der Regulierung von Kryptowerten und bei der Verbesserung der Regulierung der Marktinfrastrukturen erzielt, beispielsweise im Hinblick auf das zentrale Clearing.
Verbesserung des Regulierungsrahmens für Banken
Fokus auf Umsetzung von Basel III, EU-Agenda für ein nachhaltiges Finanzwesen und Krisenmanagement
Auch im Jahr 2023 unterstützte die EZB die Verhandlungen über das EU-Bankenpaket, das eine Reihe von Änderungen der Eigenkapitalverordnung (CRR)[47] und der Eigenkapitalrichtlinie (CRD)[48] zur Umsetzung der finalen Basel-III-Reformen in der EU umfasst. Im Dezember billigten die Vorbereitungsgremien des Europäischen Parlaments und des EU-Rats das EU-Bankenpaket. Die endgültigen Fassungen der CRR und der CRD können voraussichtlich bis Ende April 2024 nach Abschluss der juristischen Überarbeitung verabschiedet werden. Ziel der Reformen ist es, die Widerstandsfähigkeit des EU-Bankensystems weiter zu stärken. Insbesondere werden die Kapitalanforderungen zur Unterlegung von Kredit‑ und Marktrisikopositionen sowie von operationellen Risikopositionen erhöht. Außerdem wird das Aufsichtsinstrumentarium verbessert, etwa im Hinblick auf den Umgang mit Klima- und anderen Nachhaltigkeitsrisiken.[49] Darüber hinaus leistete die EZB Beiträge zur EU-Agenda für ein nachhaltiges Finanzwesen, u. a. indem sie Stellungnahmen zu einer Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und eine Verordnung zu Rating-Tätigkeiten in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG) veröffentlichte.[50]
Im Mittelpunkt der Diskussionen über die Vollendung der Bankenunion stand die Verbesserung des EU-Rahmens für das Krisenmanagement und die Einlagensicherung. Am 18. April 2023 veröffentlichte die Europäische Kommission einen Gesetzesvorschlag zur Stärkung des Bankenkrisenmanagements in der EU. Damit sollen insbesondere den Behörden bessere Instrumentarien für den Umgang mit insolventen kleineren und mittelgroßen Banken an die Hand gegeben werden. Die EZB begrüßte in einer Stellungnahme[51] das Gesetzespaket ausdrücklich und betonte, dass für das Krisenmanagement bessere Instrumente und Finanzierungsmöglichkeiten notwendig seien. Neben dem vorgeschlagenen Gesetzespaket brauche es weitere Schritte zur Vollendung der Bankenunion, etwa die Schaffung eines europäischen Einlagensicherungssystems und eines europäischen Rahmens für die Liquidität im Abwicklungsfall.
Fertigstellung eines Regulierungsrahmens für Kryptowerte und die Bekämpfung von Geldwäsche
Wichtige Fortschritte bei der Regulierung von Kryptowerten und der Verbesserung des Rahmens zur Geldwäschebekämpfung
Die EZB unterstützte auch im Jahr 2023 sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene die Finalisierung und Umsetzung des Regulierungsrahmens für Kryptowerte. Nach dem Inkrafttreten der EU-Verordnung über Märkte für Kryptowerte[52] im Juni leistete die EZB Beiträge zu einer Reihe technischer Standards im Hinblick auf die Umsetzung der Verordnung, die von der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde und der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde koordiniert wurden. Auf internationaler Ebene trug die EZB zu den in internationalen Gremien wie dem Financial Stability Board (FSB), dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht (BCBS) und dem Ausschuss für Zahlungsverkehr und Marktinfrastrukturen (CPMI) erzielten Fortschritten bei. Der FSB finalisierte seinen globalen Regulierungsrahmen für Aktivitäten im Zusammenhang mit Kryptowerten. Dieser enthält allgemeine Empfehlungen für die Regulierung von Kryptowerten und ‑märkten sowie für globale Stablecoin-Arrangements. Diese Empfehlungen wurden in den umfassenderen G‑20-Fahrplan zu Kryptowerten aufgenommen. Der Fahrplan, zu dem auch die EZB Beiträge geliefert hatte, wurde im Oktober verabschiedet. Darüber hinaus unterstützte die EZB die Arbeit des BCBS zur Verschärfung und Klärung von Aspekten des Standards zum Engagement von Banken in Kryptowerten. Durch diese Anpassungen werden insbesondere die Kriterien für eine bevorzugte regulatorische Behandlung von Stablecoins verschärft.
Die EZB beteiligte sich auch im Berichtsjahr aktiv an der Finalisierung des von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Gesetzespakets zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (AML/CFT). Darin vorgesehen ist unter anderem die Einrichtung einer EU-Behörde zur Bekämpfung von Geldwäsche. Wie in ihren Stellungnahmen[53] dargelegt, befürwortet die EZB eine enge Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den für die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung zuständigen Aufsichtsbehörden und der europäischen Bankenaufsicht sowie ganz allgemein ein effektives EU-Regelwerk zur Bekämpfung des Missbrauchs des EU-Finanzsystems für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.
Vorantreiben der Kapitalmarktunion und Stärkung des NBFI-Rechtsrahmens
Weitere Anstrengungen zur Verwirklichung der Kapitalmarktunion und zur Regulierung des NBFI-Sektors
Die Arbeiten an Gesetzesinitiativen zur Vertiefung der Kapitalmarktintegration im Rahmen des Aktionsplans 2020 der Europäischen Kommission zur Kapitalmarktunion wurden im Jahr 2023 fortgesetzt. Mit verschiedenen Publikationen und Reden leistete die EZB einen Beitrag zur öffentlichen Diskussion über die Zukunft der Kapitalmarktunion.[54] Außerdem veröffentlichte die EZB-Präsidentin gemeinsam mit dem Präsidenten der Euro-Gruppe, dem Präsidenten der Europäischen Investitionsbank, dem Präsidenten des Europäischen Rates und der Präsidentin der Europäischen Kommission einen Gastkommentar über die Bedeutung der Kapitalmarktunion für die Nutzung von Europas Ersparnissen für Wachstum. Zudem beteiligte sich die EZB aktiv an den Diskussionen in der Euro-Gruppe über die Zukunft der europäischen Kapital- und Finanzmärkte und leistete einen Beitrag zum Gesetzgebungsprozess im Zusammenhang mit der Überprüfung der Verordnung über Europäische Marktinfrastrukturen.[55]
Außerdem betonte die EZB weiterhin die Wichtigkeit, strukturelle Anfälligkeiten der NBFI abzubauen und den entsprechenden Handlungsrahmen aus makroprudenzieller Perspektive weiterzuentwickeln. Im Financial Stability Review und im Macroprudential Bulletin wurde untersucht, welche Implikationen die jüngsten Stressphasen im NBFI-Sektor für Maßnahmen in Bezug auf die Liquiditätsvorsorge und den Verschuldungsgrad in diesem Sektor haben.[56] Außerdem unterstützte die EZB den FSB bei der Bewertung der Frage, wie sich der Verschuldungsgrad der NBFI auf die Finanzstabilität auswirkt, und beteiligte sich aktiv an den laufenden Arbeiten zur Verbesserung der Widerstandsfähigkeit der NBFI.[57] Die EZB leistete zudem einen Beitrag zur Überarbeitung der Empfehlungen des FSB zur Verringerung struktureller Liquiditätsinkongruenzen bei offenen Fonds.[58]
4 Reibungsloser Betrieb der Marktinfrastrukturen und des Zahlungsverkehrs
Das Eurosystem spielt eine zentrale Rolle bei der Entwicklung, dem Betrieb und der Überwachung von Marktinfrastrukturen und Zahlungsverkehr. Im Jahr 2023 erneuerte es mit Erfolg sein Großbetragszahlungssystem und setzte die Weiterentwicklung der TARGET-Dienste fort. Um Integration und Innovation an den europäischen Zahlungsverkehrs- und Wertpapiermärkten weiter voranzutreiben, aktualisierte das Eurosystem seine Strategie für den Massenzahlungsverkehr und begann damit, die potenziellen Auswirkungen neuer Technologien auf die Abwicklung von Großbetragszahlungen zu analysieren. Darüber hinaus schloss das Eurosystem im Berichtsjahr die Untersuchungsphase zu einem möglichen digitalen Euro ab und startete die Vorbereitungsphase.
4.1 TARGET-Dienste
Erfolgreicher Start des neuen Großbetragszahlungssystems T2
Am 20. März 2023 nahm das Eurosystem mit Erfolg sein neues Großbetragszahlungssystem T2 in Betrieb. T2 löste TARGET2 ab, das seit November 2007 in Betrieb war. Der Umstieg auf T2 bringt folgende Neuerungen: ein Echtzeit-Bruttoabwicklungssystem (RTGS-System) sowie eine zentrale Liquiditätsmanagementfunktion, die das Liquiditätsmanagement über alle TARGET-Dienste hinweg optimiert und eine Reihe einheitlicher Komponenten zur gemeinsamen Nutzung durch sämtliche TARGET-Services sowie verlängerte Betriebszeiten bietet. Die Migration auf das neue System fand zwischen 17. und 20. März 2023 statt. Ab Montag, dem 20. März 2023, begannen alle Banken, Großbetragszahlungen in T2 abzuwickeln („Big Bang“). Das neue System entspricht der internationalen Norm für die Nachrichtenübermittlung zwischen Finanzinstitutionen (ISO 20022) und bringt erhebliche Effizienzgewinne. Außerdem können die Marktteilnehmer in der neuen T2-Umgebung ihre Liquidität für Euro-Transaktionen im Großbetrags- und Massenzahlungsverkehr sowie für die Wertpapierabwicklung in Form von Zentralbankgeld auf harmonisierte Weise steuern.
T2 wird von rund 1 000 Banken genutzt, um Transaktionen in Euro – entweder im eigenen Namen oder im Auftrag ihrer Kundinnen und Kunden – zu veranlassen. Insgesamt sind weltweit mehr als 40 000 Banken (einschließlich Zweigstellen und Tochterbanken) über T2 erreichbar. Pro Tag wurden im Jahr 2023 in T2 bzw. in seinem Vorläufersystem TARGET2 im Durchschnitt 409 444 Zahlungen mit einem durchschnittlichen Gesamtwert von 2,2 Billionen € durchgeführt. Damit stieg das tägliche Zahlungsvolumen gegenüber dem im Vorjahr in TARGET2 verzeichneten Vergleichswert um 2,9 %.
Im Gefolge der Einführung des Euro in Kroatien migrierte der kroatische Finanzsektor mit 1. Januar 2023 von seinem nationalen RTGS-System auf TARGET2 bzw. T2. Die Anbindung des kroatischen Marktes an die TARGET-Services setzte sich im Juni mit der Umstellung auf TARGET Instant Payment Settlement (TIPS) fort; die Anbindung des kroatischen Wertpapier-Zentralverwahrers an TARGET2-Securities (T2S) erfolgte schließlich im September 2023.
In dieser Migrationswelle wurden fünf Zentralverwahrer erfolgreich an die T2S-Plattform angebunden. Neben dem kroatischen Zentralverwahrer Središnje klirinško depozitarno društvo d.d. (SKDD) waren dies: die Euroclear Bank, einer der größten Zentralverwahrer weltweit, das Bulgarian National Bank Government Securities Settlement System, der zweite bulgarische Zentralverwahrer Central Depository AD und Euroclear Finland. Die T2S-Plattform wird von 24 Zentralverwahrern aus 23 europäischen Finanzmärkten genutzt und ermöglicht die Abwicklung von Wertpapiertransaktionen in Euro und dänischer Krone. Diese Migrationswelle war aus operativer, geschäftlicher und strategischer Sicht eine wichtige Entwicklung für T2S und das Eurosystem. Insbesondere die erfolgreiche Aufnahme eines Zentralverwahrers (Euroclear Finland), der Konten von Endanlegern führt, bestätigt erneut, dass die Marktinfrastrukturen des Eurosystems sämtliche Märkte und Länder der EU unterstützen können. Auch aus geschäftlicher Sicht ist dies ein Fortschritt: Mit der Migration der Euroclear Bank werden nun Eurobond-Instrumente direkt in T2S und ab 2024 im einheitlichen Sicherheitenmanagement-System des Eurosystems (ECMS) abgewickelt. Im Jahr 2023 wurden über T2S im Tagesdurchschnitt 699 868 Transaktionen im Wert von 790,3 Mrd. € durchgeführt.
Mit dem Beitritt weiterer Banken und sonstiger Akteure aus den Mitgliedstaaten im Berichtsjahr spielte TIPS bei der Weiterentwicklung von Echtzeitzahlungen in Euro weiterhin eine wichtige Rolle. Die höhere Zahl an TIPS-Teilnehmern führte gegenüber 2022 zu einem Anstieg des Transaktionsvolumens um mehr als 127 %, wobei im Dezember 2023 mit 28 Millionen Echtzeitzahlungen ein Höchststand erreicht wurde (gegenüber 18,7 Millionen im Dezember 2022). Die Tests hinsichtlich der Anbindung der Sveriges riksbank und der schwedischen Krone an TIPS im Jahr 2024 konnten erfolgreich abgeschlossen werden. Die Zusammenarbeit zwischen dem Eurosystem und der Danmarks Nationalbank zur Anbindung der dänischen Krone an TIPS (und T2) im Jahr 2025 ging reibungslos weiter.
Die im Juli 2023 vom Eurosystem veröffentlichte neue Gebührenstruktur für TIPS trat am 1. Januar 2024 in Kraft. Damit ist sichergestellt, dass der Dienst auf Kostendeckungsbasis funktioniert, ohne Gewinne zu erzielen. Zugleich soll dadurch die Nutzung von Echtzeitzahlungen in Europa unterstützt werden. Hier ist mit einem Anstieg zu rechnen, nachdem die Europäischen Kommission einen Gesetzesvorschlag vorgelegt hat, demzufolge Echtzeitzahlungen in Euro allen Menschen und Unternehmen ermöglicht werden sollen, die über ein Bankkonto in der EU bzw. in den EWR-Ländern verfügen.
Zusätzlich zu den bestehenden drei Abwicklungsdiensten (T2, T2S und TIPS) arbeitet das Eurosystem derzeit an der Entwicklung eines weiteren TARGET-Dienstes: Das einheitliche Sicherheitenmanagement-System ECMS sollen alle Euro-Länder zur Verwaltung von Vermögenswerten nutzen können, die als Sicherheiten für Kreditgeschäfte des Eurosystems hinterlegt werden. Der Start des ECMS wurde vom April 2024 auf November 2024 verschoben, damit die Nutzerinnen und Nutzer mehr Zeit zur Verfügung haben, um die Tests der ECMS-Funktionen in einem stabilen Umfeld abzuschließen.
4.2 Projekt digitaler Euro
Start der Vorbereitungsphase für das Projekt zum digitalen Euro
Die zweijährige Untersuchungsphase des Projekts digitaler Euro wurde im Oktober 2023 abgeschlossen. Die Bestandsaufnahme der in der Untersuchungsphase durchgeführten Arbeiten bildete die Grundlage für den Beschluss des EZB-Rats, die Vorbereitungsphase einzuleiten. Dieser Schritt impliziert noch keinen Beschluss darüber, ob tatsächlich ein digitaler Euro ausgegeben wird. Einen solchen Beschluss kann der EZB-Rat erst nach Verabschiedung eines Rechtsrahmens für den digitalen Euro auf EU-Ebene in Betracht ziehen.
Während der Untersuchungsphase wurden im Eurosystem die hohen Gestaltungs- und technischen Anforderungen für einen digitalen Euro definiert. Zur technischen Validierung der vorgeschlagenen Gestaltung führte die EZB Prototypen-Tests durch. Um Einblick in die Präferenzen und Erwartungen potenzieller Nutzerinnen und Nutzer zu erhalten, wurden auch Fokusgruppen[59] eingesetzt. Durch eine enge und transparente Zusammenarbeit mit Marktteilnehmern, anderen EU-Institutionen und der Politik wurde sichergestellt, dass sämtliche Beteiligte Rückmeldungen zu Gestaltungs- und Bereitstellungsoptionen abgeben konnten. Marktuntersuchungen zu technischen Aspekten haben gezeigt, dass es einen ausreichend großen Pool europäischer Anbieter gibt, die Lösungen für den digitalen Euro entwickeln können, und dass im Hinblick auf Architektur und Technologie zahlreiche Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Die erste Stufe der Vorbereitungsphase, die am 1. November 2023 begann, wird zwei Jahre dauern und den Grundstein für die mögliche Ausgabe eines digitalen Euro legen. Der Schwerpunkt dieser Phase wird darauf liegen, das Regelwerk für den digitalen Euro fertigzustellen und Anbieter auszuwählen, die eine Plattform und eine Infrastruktur für einen digitalen Euro entwickeln könnten. Damit ein digitaler Euro den höchsten Ansprüchen an Qualität, Sicherheit, Datenschutz und Benutzerfreundlichkeit genügt, wird das Eurosystem außerdem weitere Tests und Experimente durchführen und auch weiterhin sämtliche Interessengruppen, einschließlich der Öffentlichkeit, konsultieren.
Über mögliche weitere Schritte wird der EZB-Rat auf Grundlage der Ergebnisse der ersten Stufe der Vorbereitungsphase und der Entwicklungen im Gesetzgebungsverfahren entscheiden.
4.3 Marktinfrastrukturen und Zahlungsverkehr: Innovation und Integration
Strategie des Eurosystems für den Massenzahlungsverkehr aktualisiert
Angesichts der bedeutenden Veränderungen im Zahlungsverkehr, die in den vier Jahren seit der Einführung der Strategie für den Massenzahlungsverkehr eingetreten sind, veröffentlichte das Eurosystem im November 2023 eine aktualisierte Fassung dieser Strategie. Insbesondere durch Big-Tech-Unternehmen kommt es zu einer vermehrten Aktivität im Bereich Zahlungsverkehr. Dies könnte sich potenziell negativ auf Europas strategische Autonomie im Zahlungsverkehr auswirken. Russlands Krieg gegen die Ukraine zeigte außerdem auf, welche Bedeutung (Cyber-)Risiken für kritische Infrastrukturen in Europa und damit auch für Zahlungsdienste haben. Darüber hinaus wurden beim Projekt zum digitalen Euro erhebliche Fortschritte erzielt.
Die aktualisierte Strategie behält die bisherigen Kernziele bei: die Entwicklung europaweiter Zahlungslösungen am Point of Interaction, d. h. an der physischen Verkaufsstelle sowie im mobilen und elektronischen Handel, und die weitere Stärkung des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (SEPA), vor allem durch die flächendeckende Nutzung von Echtzeitzahlungen. Ein neues Ziel besteht darin, die Widerstandsfähigkeit von Massenzahlungen zu erhöhen, u. a. durch die Verfügbarkeit alternativer Zahlungslösungen für Notfälle. In der aktualisierten Fassung wird auch das Zusammenspiel zwischen der Strategie des Eurosystems für den Massenzahlungsverkehr und dem Projekt zum digitalen Euro betont, insbesondere die verschiedenen Möglichkeiten, wie ein digitaler Euro die Erreichung der in der Strategie festgelegten Ziele unterstützen könnte. So würde ein digitaler Euro für sich genommen schon eine europaweite Zahlungslösung bieten und auch dazu beitragen, dass Massenzahlungslösungen des privaten Sektors eine gesamteuropäische Reichweite erzielen.
Finanzmarktintegration im Bereich des Nachhandels machte Fortschritte
Ziel der Beratungsgruppe des Eurosystems zu Marktinfrastrukturen für Wertpapiere und Sicherheiten (AMI-SeCo) ist es, die Integration der europäischen Finanzmärkte im Nachhandelsbereich voranzutreiben und zur Verwirklichung der Kapitalmarktunion beizutragen. In diesem Sinne berichtete die AMI-SeCo weiterhin über die Fortschritte der in der Gruppe vertretenen Märkte (EWR, Vereinigtes Königreich, Schweiz) bei der Einhaltung von Vorgaben in den folgenden Bereichen: T2S-Harmonisierung, einheitliches Regelwerk für das Sicherheitenmanagement in Europa (SCoRE, auch für die Interaktion mit dem ECMS erforderlich) sowie Corporate-Events-Compliance (einschließlich Standards zur Feststellung der Identität von Aktionären). Die Erfüllungsquote in Bezug auf die T2S-Harmonisierungsstandards betrug weiterhin insgesamt rund 90 %. Auch die fünf neuen Zentralverwahrer, die im September 2023 an T2S angebunden wurden, weisen diesbezüglich einen hohen Erfüllungsgrad auf. Der Corporate Events Compliance Report 2023 lieferte den Nachweis, dass auch in diesem Bereich Fortschritte erzielt wurden. Hinsichtlich der Einhaltung der geltenden SCoRE-Standards stellte die AMI-SeCo in ihrem SCoREBoard-Bericht für das zweite Halbjahr 2023 jedoch einige Verzögerungen seitens der Beteiligten fest. Da die Inbetriebnahme des ECMS auf November 2024 verschoben wurde, kam die Beratungsgruppe überein, den Stichtag für die Einhaltung der betreffenden SCoRE-Standards zu verschieben.
Um die verbleibenden Hindernisse für die Integration der Wertpapiernachhandelsmärkte in der EU zu identifizieren, startete die AMI-SeCo im November 2023 eine Umfrage unter ihren eigenen Mitgliedern und den Vertreterinnen und Vertretern der nationalen Märkte. Gegenüber der Europäischen Kommission und dem Europäischen Rat äußerte sich die Beratungsgruppe auch zu Aspekten des Nachhandels im Vorschlag der Europäischen Kommission für effizientere grenzüberschreitende Quellensteuerverfahren. Nicht zuletzt bezog die AMI-SeCo gegenüber der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) Stellung zur möglichen Verkürzung des regulären T+2‑Wertpapierabwicklungszyklus.
Aktuell untersucht das Eurosystem auch die möglichen Auswirkungen neuer Technologien wie der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) auf die Abwicklung von Großbetragszahlungen (siehe Kasten 4).
4.4 Das Überwachungsmandat des Eurosystems und seine Rolle als emittierendes Zentralbanksystem
Beginn einer umfassenden Bewertung der TARGET-Dienste
Für das Eurosystem hat bei der Erfüllung seiner Überwachungsfunktion das sichere und effiziente Funktionieren der Finanzmarktinfrastrukturen (FMIs) und des Zahlungsverkehrs im Euroraum weiterhin Priorität. Als für die Ausgabe des Euro zuständiges Zentralbanksystem ist das Eurosystem außerdem in Kooperationsvereinbarungen für FMIs außerhalb des Euroraums eingebunden, die einen bedeutenden Teil ihrer Geschäfte in Euro abwickeln.
Im Hinblick auf die Überwachung der TARGET-Dienste des Eurosystems (siehe Kapitel 4 Abschnitt 1) lag das Hauptaugenmerk unter anderem auf dem Projekt der T2-T2S-Konsolidierung im Vorfeld der Inbetriebnahme im März 2023 sowie auf der Anbindung neuer Märkte. Darüber hinaus wurden im Oktober 2023 umfassende Bewertungen von T2/TIPS und T2S eingeleitet. Die Bewertung von T2/TIPS erfolgt dabei auf Grundlage der Verordnung zu den Anforderungen an die Überwachung systemrelevanter Zahlungsverkehrssysteme (SIPS) und jene von T2S anhand der von CPMI-IOSCO formulierten Prinzipien.
Das Eurosystem überwacht auch andere systemrelevante Zahlungsverkehrssysteme, darunter EURO1, STEP2-T und das MasterCard Clearing Management System (MCMS). Im Jahr 2023 lag der Fokus auf dem Abschluss der ersten umfassenden Bewertung des MCMS auf Grundlage der SIPS-Verordnung, auf der Einleitung neuer umfassender Bewertungen von EURO1 und STEP2-T anhand der SIPS-Verordnung, auf der Bewertung des MCMS anhand des Katalogs von Erwartungen zur Überwachung der Cyberresilienz (CROE) für Finanzmarktinfrastrukturen und auf dem Monitoring der Migration von EURO1 auf den ISO 20022-Standard.
Im Hinblick auf den Überwachungsrahmen des Eurosystems für elektronische Zahlungsinstrumente, ‑verfahren und ‑arrangements (PISA) erreichte das Eurosystem 2023 einen wichtigen Meilenstein bei der Identifizierung von Zahlungsarrangements, die gemäß dem PISA-Rahmenwerk zu überwachen bzw. zu monitoren sind. Neben der Berücksichtigung neu überwachter Unternehmen im Rahmen von PISA führte das Eurosystem eine umfassende Bewertung der ersten Gruppe europaweiter Zahlungsverfahren durch und setzte seine Arbeit im Bereich des Monitorings von Kartenbetrug fort.
Als für die Ausgabe des Euro zuständiges Zentralbanksystem ist das Eurosystem außerdem in die kooperative Überwachung von FMIs, die einen bedeutenden Teil ihrer Geschäfte in Euro abwickeln, sowie in die entsprechenden Krisenmanagementvereinbarungen eingebunden. In Bezug auf zentrale Gegenparteien brachte sich das Eurosystem bei der Beurteilung von Änderungen im Risikomanagement, Vorschlägen zur Ausweitung von Dienstleistungen, Sanierungsplänen sowie Abwicklungsplänen ein. Im Bereich der Wertpapierabwicklung trug es weiterhin zur regelmäßigen Bewertung von Zentralverwahrern gemäß Zentralverwahrerverordnung bei sowie zur Vorbereitung der künftigen Zulassung von Unternehmen, die DLT-basierte Marktinfrastrukturen gemäß Verordnung (EU) 2022/858 (Verordnung über eine DLT-Pilotregelung) betreiben.
Im Hinblick auf Cyberresilienz wurde die Überprüfung der diesbezüglichen Strategie des Eurosystems für FMIs abgeschlossen. Einzelheiten zu Verbesserungen und Überarbeitungen sollen Anfang 2024 bekannt gegeben werden. Darüber hinaus führte das ESZB bei 80 FMIs in der EU seine regelmäßige Umfrage zum Thema Cyberresilienz durch und leitete daraus mit den betreffenden Überwachungsorganen und überwachten Unternehmen Folgemaßnahmen ab.
Auf globaler Ebene brachte sich die EZB zu verschiedenen überwachungsbezogenen Initiativen ein (z. B. zu den Ein- und Nachschusszahlungen zentraler Gegenparteien, zur Absicherung von FMIs gegen finanzielle Risiken, die nicht mit dem Ausfall von Teilnehmern zusammenhängen, und zu Stablecoin-Arrangements). Auch unterstützte die EZB den von der ESMA koordinierten EU-weiten aufsichtlichen Stresstest für zentrale Gegenparteien. Ferner veröffentlichte sie einen Überblick über die Modelle für Einschusszahlungen zentraler Gegenparteien in der EU und verfolgte laufend die Auswirkungen der gestiegenen Marktvolatilität auf zentrale Gegenparteien und deren Mitglieder. Außerdem organisierte die EZB gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank und der Federal Reserve Bank of Chicago die fünfte Joint Conference zum Risikomanagement zentraler Gegenparteien als Diskussionsplattform für Bankensektor, Aufsichtsbehörden und Wissenschaft.
Das Eurosystem beteiligt sich regelmäßig an der Ausarbeitung neuer EU-Regelungen für FMIs und den Zahlungsverkehr. Insbesondere lieferte es im Jahr 2023 Beiträge zur Stellungnahme der EZB hinsichtlich der Überprüfung der Verordnung über europäische Marktinfrastrukturen. Darüber hinaus leistete die EZB aktive Unterstützung bei der Ausarbeitung von sekundärrechtlichen Vorschriften hinsichtlich der Verordnung über die digitale operationale Resilienz im Finanzsektor, insbesondere im Bereich bedrohungsgeleiteter Penetrationstests, die im Einklang mit dem europäischen Rahmenwerk für bedrohungsgeleitetes ethisches Hacking (TIBER-EU) entwickelt werden.
Kasten 4
Neue Technologien für die Abwicklung von Großbetragszahlungen in Zentralbankgeld
Das Eurosystem untersucht aktuell die potenziellen Auswirkungen neuer Technologien wie der Distributed-Ledger-Technologie (DLT) auf die Abwicklung von Großbetragszahlungen (Wholesale-Transaktionen). Im Rahmen umfassenderer Bemühungen des Eurosystems sollen diese Arbeiten gewährleisten, dass die Zentralbanken mit den digitalen Innovationen in der Zahlungs- und Wertpapierabwicklung Schritt halten und selbst dazu beitragen können.
Die Finanzwirtschaft zeigt zunehmend Interesse an potenziellen Anwendungen von DLT – etwa auch für Transaktionen, die derzeit in Zentralbankgeld abgewickelt werden. Sollte der Finanzsektor DLT in größerem Umfang zu nutzen beginnen, müssten die Zentralbanken möglicherweise Maßnahmen ergreifen, um zu gewährleisten, dass die Zahlungsverkehrssysteme weiterhin reibungslos funktionieren und Zentralbankgeld ein starker monetärer Anker für die Stabilität, Integration und Effizienz des europäischen Finanzsystems bleibt.
Das Eurosystem hat vier Lösungsansätze ermittelt, die eine Abwicklung von Wholesale-Transaktionen in Zentralbankgeld ermöglichen könnten – etwa wenn die Abwicklung der Wertpapierseite einer Transaktion über eine DLT-basierte Infrastruktur erfolgt (siehe Schaubild 1).
Schaubild A
Lösungsansätze für die Abwicklung von auf DLT-Plattformen erfassten Wholesale-Transaktionen in Zentralbankgeld
Das Eurosystem plant, Sondierungsarbeiten zu DLT durchzuführen. Diese umfassen Tests, bei denen echte Transaktionen in Zentralbankgeld abgewickelt werden (sogenannte Trials) sowie Experimente, bei denen fiktive Transaktionen in einer Testumgebung abgewickelt werden. Für die Sondierungsarbeiten sollen drei Eurosystem-Lösungen herangezogen werden, die die Abwicklung von auf DLT-Plattformen erfassten Wholesale-Transaktionen in Zentralbankgeld ermöglichen: die Trigger-Lösung der Deutschen Bundesbank und die TIPS Hash-Link-Lösung der Banca d’Italia (beides Beispiele für Lösungsansatz 1) sowie die Full DLT Interoperability-Lösung der Banque de France (Lösungsansatz 2). Die Marktteilnehmer wurden eingeladen, ihr Interesse hinsichtlich der Teilnahme an Trials und Experimenten zu bekunden. Diese sollen zwischen Mai und November 2024 stattfinden. Parallel dazu werden die anderen beiden Lösungsansätze im Eurosystem intern weiter analysiert.
Zur Unterstützung der Sondierungsarbeiten des Eurosystems wurde eigens eine DLT-Marktkontaktgruppe eingerichtet. Diese Gruppe liefert fachlichen Input und hält das Eurosystem über Fortschritte bei der Nutzung von DLT und anderen neuen Technologien im Wholesale-Bereich der Finanzmärkte auf dem Laufenden.
5 Marktoperationen und für andere Institutionen erbrachte Finanzdienstleistungen
Das Eurosystem genehmigte im August 2023 einen neuen Rahmen für die Bereitstellung von Euro-Liquiditätslinien an Zentralbanken außerhalb des Euroraums und behielt mehrere Liquiditätslinien mit Zentralbanken außerhalb des Euroraums bei. Damit wurde für eine Absicherung der marktbasierten Refinanzierung gesorgt. Den Geschäftspartnern im Euroraum bot die EZB weiterhin regelmäßig Geschäfte in US-Dollar an. Es gab keine Interventionen der EZB am Devisenmarkt. Die EZB war weiterhin für die Verwaltung verschiedener Finanzgeschäfte im Auftrag der EU zuständig und nahm im Rahmen der Dienstleistungen des Eurosystems im Bereich der Währungsreservenverwaltung eine koordinierende Rolle wahr.
5.1 Entwicklung der Marktoperationen
Liquiditätslinien in Euro und Fremdwährungen
Die Swap‑ und Repo-Linien des Eurosystems sind geldpolitische Instrumente, die dazu beitragen, dass die Wirksamkeit der geldpolitischen Transmission im Euroraum nicht durch Spannungen an den internationalen Refinanzierungsmärkten beeinträchtigt wird. In Tabelle 5.1 sind die per 31. Dezember 2023 operativen Liquiditätslinien aufgelistet.
Die EZB stellte 2023 in Abstimmung mit den anderen Zentralbanken des Swap Line Network – dem Federal Reserve System, der Bank of Canada, der Bank of England, der Bank of Japan und der Schweizerischen Nationalbank – weiterhin wöchentlich Liquidität in US-Dollar mit einer Laufzeit von sieben Tagen zur Verfügung. Vom 20. März bis zum 30. April 2023 wurde die Versorgung mit US-Dollar-zuführenden Operationen – in Koordination mit den Zentralbanken des Swap Line Network – täglich angeboten. Damit sollte in einer von erhöhtem Druck auf die Refinanzierungsbedingungen in US-Dollar geprägten Phase die Absicherungsfunktion und die Wirksamkeit dieser Geschäfte gestärkt werden. Die Mittelaufnahme durch Geschäftspartner im Euroraum blieb das ganze Jahr hindurch begrenzt.
Tabelle 5.1
Überblick: bestehende Liquiditätslinien
Geschäftspartner außerhalb des Euroraums | Art der Vereinbarung | Wechselseitig | Obergrenze der Mittelaufnahme (in Mio. €) |
---|---|---|---|
Danmarks Nationalbank | Swap-Vereinbarung | nein | 24 000 |
Sveriges riksbank | Swap-Vereinbarung | nein | 10 000 |
Bank of Canada | Swap-Vereinbarung | ja | unbegrenzt |
People’s Bank of China | Swap-Vereinbarung | ja | 45 000 |
Bank of Japan | Swap-Vereinbarung | ja | unbegrenzt |
Schweizerische Nationalbank | Swap-Vereinbarung | ja | unbegrenzt |
Bank of England | Swap-Vereinbarung | ja | unbegrenzt |
Federal Reserve System | Swap-Vereinbarung | ja | unbegrenzt |
Narodowy Bank Polski | Swap-Vereinbarung | nein | 10 000 |
Magyar Nemzeti Bank | Repo-Linie | nein | 4 000 |
Banca Naţională a României | Repo-Linie | nein | 4 500 |
Bank von Albanien | Repo-Linie | nein | 400 |
Andorranische Finanzbehörde | Repo-Linie | nein | 35 |
Nationalbank der Republik Nordmazedonien | Repo-Linie | nein | 400 |
Zentralbank der Republik San Marino | Repo-Linie | nein | 100 |
Quelle: EZB.
Anmerkung: Dies ist eine Liste der Zentralbank-Liquiditätslinien des Eurosystems (Stand: 31. Dezember 2023). Die Tabelle enthält keine im Rahmen der Eurosystem Repo Facility for Central Banks (EUREP) mit Zentralbanken außerhalb des Euroraums eingerichteten Repo-Linien, bei denen die EZB ihre Geschäftspartner nicht offenlegte. Seit dem 16. Januar 2024 legt die EZB alle Liquiditätslinien im Zusammenhang mit ihrem neuen Rahmen offen.
Nach eingehender Prüfung des bisherigen Rahmens und auf Grundlage der Erfahrungen der letzten Jahre genehmigte der EZB-Rat am 3. August 2023 einen neuen Rahmen für die Bereitstellung von Euro-Liquiditätslinien an Zentralbanken außerhalb des Euroraums. Der neue Rahmen trat am 16. Januar 2024 in Kraft. Wie in der Vorgängerregelung wird darin die Rolle von Liquiditätslinien als geldpolitisches Instrument festgeschrieben. Die grundlegenden Elemente des bisherigen Rahmens wurden übernommen, allerdings wurde er verschlankt, und die vorhandenen Repo-Fazilitäten wurden in einem einheitlichen dauerhaften Rahmen namens EUREP zusammengefasst. Die Swap-Vereinbarungen werden Ländern mit höchster Bonität bzw. systemischer Bedeutung für den Euroraum zur Verfügung gestellt. Der Zugang zu Euro-Liquiditätslinien kann in Phasen akuter, umfassender Schwierigkeiten an den Finanzmärkten vom Normalzustand abweichen. Dann kann die Einrichtung vorsorglicher Liquiditätslinien mit einem breiteren Länderkreis gerechtfertigt sein. Über Anträge auf Gewährung von Liquiditätslinien wird der EZB-Rat weiterhin im Einzelfall entscheiden.
Berichterstattung über Devisenmarktinterventionen
Die EZB hat 2023 nicht am Devisenmarkt interveniert. Seit Einführung des Euro gab es bisher zwei Devisenmarktinterventionen durch die EZB, und zwar in den Jahren 2000 und 2011. Die Daten zu Devisenmarktinterventionen werden vierteljährlich mit einer zeitlichen Verzögerung von einem Quartal auf der Website der EZB und im Statistical Data Warehouse veröffentlicht. Die in den vierteljährlichen Tabellen publizierten Informationen werden außerdem in Tabelle 5.2 zusammengefasst. Wenn keine Devisenmarktinterventionen während des vierteljährlichen Betrachtungszeitraums erfolgt sind, wird auch dies in der Tabelle explizit festgehalten.
Tabelle 5.2
Devisenmarktinterventionen der EZB
Zeitraum | Datum | Art der Intervention | Währungspaar | Gekaufte Währung | Bruttobetrag (in Mio. €) | Nettobetrag (in Mio. €) |
---|---|---|---|---|---|---|
Q3 2000 | 22.9.2000 | koordiniert | EUR/USD | EUR | 1 640 | 1 640 |
22.9.2000 | koordiniert | EUR/JPY | EUR | 1 500 | 1 500 | |
Q4 2000 | 3.11.2000 | unilateral | EUR/USD | EUR | 2 890 | 2 890 |
3.11.2000 | unilateral | EUR/JPY | EUR | 680 | 680 | |
6.11.2000 | unilateral | EUR/USD | EUR | 1 000 | 1 000 | |
9.11.2000 | unilateral | EUR/USD | EUR | 1 700 | 1 700 | |
9.11.2000 | unilateral | EUR/JPY | EUR | 800 | 800 | |
Q1 2011 | 18.3.2011 | koordiniert | EUR/JPY | EUR | 700 | 700 |
Q1 bis Q4 2021 | - | - | - | - | - | - |
Q1 bis Q4 2022 | - | - | - | - | - | - |
Q1 bis Q4 2023 | - | - | - | - | - | - |
Quelle: EZB.
Der Berichtsrahmen umfasst neben den Devisenmarktinterventionen, die die EZB unilateral oder in Abstimmung mit anderen internationalen Behörden getätigt hat, auch Interventionen an den Interventionspunkten („at the margin“) im Rahmen des Wechselkursmechanismus (WKM II).
5.2 Verwaltung von Anleihe- und Darlehensgeschäften der EU
EZB wickelte Zahlungen im Zusammenhang mit diversen Kreditprogrammen der EU ab
Die EZB ist für die Verwaltung der Konten und die Zahlungsabwicklung für jene Anleihe‑ und Darlehensgeschäfte zuständig, die von der EU im Rahmen der Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands (MTFA)[60], des Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM)[61], des Europäischen Instruments zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage (SURE)[62], des Programms Next Generation EU (NGEU)[63] und des Programms Makrofinanzhilfe Plus für die Ukraine (MFA+)[64] abgeschlossen wurden. Die EZB ist auch für die Verwaltung bestimmter Zahlungen im Zusammenhang mit Geschäften im Rahmen der Europäischen Finanzstabilitätsfazilität (EFSF)[65] und des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)[66] sowie für die Abwicklung sämtlicher Zahlungen im Zusammenhang mit der Kreditrahmenvereinbarung für Griechenland[67] zuständig. Im Jahr 2023 schloss die EZB ihre Vorbereitungen zur Erbringung von Zahlstellendienstleistungen für die Europäische Kommission ab, wodurch die laufenden Dienstleistungen der EZB als Fiskalagent ausgeweitet werden.
Zum 31. Dezember 2023 beliefen sich die gesamten Außenstände im Rahmen der MTFA auf ein Nominalvolumen von 200 Mio. €, im Rahmen des EFSM auf 42,8 Mrd. €, im Rahmen von SURE auf 98,4 Mrd. € und im Rahmen der Kreditrahmenvereinbarung für Griechenland auf 39,54 Mrd. €. Die EZB wickelte 2023 ferner Auszahlungen und Zinszahlungen von NGEU-Darlehen und ‑Zuschüssen an verschiedene und von verschiedenen Mitgliedstaaten sowie von Darlehen unter der Makrofinanzhilfe Plus an die Ukraine ab.
5.3 Dienstleistungen des Eurosystems im Bereich der Währungsreservenverwaltung
Eine Reihe von nationalen Zentralbanken im Eurosystem erbrachte ERMS-Finanzdienstleistungen
Seit 2005 können Kunden des Eurosystems ihre auf Euro lautenden Währungsreserven vom Eurosystem verwalten lassen, wofür auch 2023 ein breites Spektrum an Finanzdienstleistungen im Rahmen der Eurosystem Reserve Management Services (ERMS) zur Verfügung stand. Eine Reihe von nationalen Zentralbanken des Eurosystems bietet für außerhalb des Euroraums ansässige Zentralbanken, Währungs- und Regierungsbehörden sowie internationale Organisationen ERMS-Finanzdienstleistungen zu harmonisierten Geschäftsbedingungen gemäß marktüblichen Standards an. Die EZB nimmt eine allgemeine Koordinierungsrolle ein, überwacht den reibungslosen Betrieb der ERMS-Dienstleistungen, fördert Änderungen zur Verbesserung des ERMS-Rahmens und bereitet entsprechende Berichte an die Beschlussorgane der EZB vor.
Die Anzahl der gemeldeten ERMS-Kundenkonten lag Ende 2023 bei 273 gegenüber 270 Ende 2022. Der vom Eurosystem im Rahmen der ERMS verwaltete aggregierte Vermögensbestand (darunter Barvermögen und Wertpapiere) verringerte sich im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr um etwa 20 %.
6 Bargeld bleibt das von der europäischen Bevölkerung am meisten genutzte Zahlungsmittel; Fälschungsaufkommen weiterhin niedrig
Die Leitzinserhöhungen der EZB haben sich auf den Euro-Banknotenumlauf ausgewirkt: Bargeld wurde in geringerem Umfang zur Wertaufbewahrung genutzt. Eine deutliche Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger Europas findet es wichtig, in bar bezahlen zu können. Entsprechend ist die EZB bestrebt, den freien Zugang zu Bargeld sowie dessen Akzeptanz im Euroraum zu gewährleisten.
Darüber hinaus setzt sich das Eurosystem dafür ein, dass Bargeld so nachhaltig und umweltfreundlich wie möglich bleibt, und hat den ökologischen Fußabdruck von Banknoten als Zahlungsmittel überprüft. Die Vorbereitungen zur Entwicklung einer neuen Euro-Banknotenserie bieten die Gelegenheit, die Euro-Banknoten für alle Menschen in Europa noch ansprechender zu gestalten. Daher kann die Öffentlichkeit während des gesamten Gestaltungsprozesses ihre Meinung einbringen.
6.1 Umlauf von Euro-Banknoten und Gewährleistung der Zugänglichkeit und Akzeptanz von Bargeld
Zinserhöhungen wirken sich auf Euro-Banknotenumlauf aus
Ende 2023 waren 29,8 Milliarden Euro-Banknoten mit einem Gesamtwert von 1,57 Billionen € im Umlauf. Seit die EZB im Juli 2022 begonnen hat, die Leitzinsen anzuheben, wird Bargeld in geringerem Umfang zur Wertaufbewahrung genutzt. Das liegt daran, dass Banknoten keine Zinsen einbringen. Dementsprechend fielen im Jahr 2023 die mengen- und wertmäßigen Jahreswachstumsraten des Euro-Banknotenumlaufs mit 1,2 % bzw. ‑0,3 % sehr niedrig aus.
Abbildung 6.1
Mengen- und wertmäßiger Euro-Banknotenumlauf
Um das Vertrauen in die umlaufenden Euro-Banknoten und deren Qualität zu sichern, bearbeiteten die nationalen Zentralbanken des Eurosystems im Berichtsjahr 25,3 Milliarden Euro-Banknoten und ersetzten 3,3 Milliarden nicht mehr umlauffähige Banknoten durch neu gedruckte.
Auch der Wert der im Umlauf befindlichen Euro-Münzen stieg im Berichtsjahr an – um 3,2 % im Jahresvergleich – und belief sich zum Jahresende auf 33,5 Mrd. €. Das entsprach insgesamt 148,2 Milliarden Stück.
Im Jahr 2022 führte die EZB eine Studie zum Zahlungsverhalten der Verbraucherinnen und Verbraucher im Euroraum durch. Es zeigte sich, dass 60 % der Bevölkerung es wichtig finden, in bar bezahlen zu können. Um den freien Zugang zu Bargeld und dessen Akzeptanz zu gewährleisten, hat die Europäische Kommission am 28. Juni 2023 einen Vorschlag für eine Verordnung über Euro-Banknoten und Euro-Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel angenommen. In ihrer Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission sprach sich die EZB nachdrücklich für die Einführung klarer Regeln hinsichtlich der Verpflichtung zur Annahme von Euro-Bargeld aus und gegen die Verweigerung der Bargeldannahme im Einzelhandel (z. B. durch Hinweise wie „Nur Kartenzahlung möglich“ am Ladeneingang). Ein guter Zugang zu Bargeld und dessen allgemeine Akzeptanz sind die Schlüsselkomponenten der Bargeldstrategie 2030 des Eurosystems. Die Strategie soll sicherstellen, dass Euro-Bargeld auch in Zukunft weithin verfügbar ist und ein verlässliches und wettbewerbsfähiges Zahlungs- und Wertaufbewahrungsmittel bleibt.
6.2 Studie zum ökologischen Fußabdruck von Euro-Banknoten
Umweltfußabdruck von Banknoten berücksichtigt gesamten Lebenszyklus (Rohstoffe, Herstellung, Verteilung, Entsorgung)
Anhand einer Studie zum Umweltfußabdruck von Euro-Banknoten überprüfte die EZB den produktspezifischen ökologischen Fußabdruck (Product Environmental Footprint – PEF), den die Verwendung von Euro-Banknoten pro Person und Jahr verursacht. Dies soll sicherstellen, dass das Euro-Bargeld so nachhaltig und umweltfreundlich wie möglich bleibt.
Laut den Ergebnissen der Studie entspricht dieser jährliche Fußabdruck einer Autofahrt von acht Kilometern. Die Verwendung von Euro-Banknoten verursacht lediglich 0,01 % der jährlichen Umweltauswirkungen der Konsumaktivitäten insgesamt.
Auch bisherige Fortschritte waren Gegenstand der PEF-Studie
Banknoten, die sich im Umlauf befinden, werden mehrmals wiederverwendet. Der Großteil ihres ökologischen Fußabdrucks entsteht bei ihrer Verteilung, einschließlich Energieverbrauch und Transport. Durch den Einsatz von nachhaltiger Baumwolle statt konventioneller Baumwolle aus nicht nachhaltigen Quellen bei der Herstellung von Banknotenpapier konnten die Umweltauswirkungen der Euro-Banknoten um fast 50 % und der Gesamtfußabdruck der Bezahlung mit Euro-Banknoten um 3,6 % verringert werden. Hier sind voraussichtlich weitere Verbesserungen möglich, sobald ein höherer Anteil an Bio-Baumwolle zum Einsatz kommt. Zudem befassen sich derzeit umfangreiche Forschungs- und Entwicklungsarbeiten mit der Suche nach alternativen Methoden der Banknotenentsorgung, etwa durch Recycling und Wiederverwendung von Abfallmaterial.
6.3 Entwicklung des Fälschungsaufkommens bei Euro-Banknoten
Fälschungsaufkommen 2023 wieder sehr niedrig
Im Jahr 2023 wurden 467 000 gefälschte Euro-Banknoten aus dem Umlauf sichergestellt. In Relation zum Gesamtumlauf an Euro-Banknoten ist dies einer der niedrigsten je gemessenen Werte (siehe Abbildung 6.2). Er entspricht 16 Fälschungen je Million im Umlauf befindlicher echter Banknoten. Selbst wenn dies ein sehr geringer Anteil ist, liegt er doch über dem Vergleichswert von 2022, als im Gefolge der Covid-19-Pandemie außergewöhnlich wenige Fälschungen sichergestellt wurden. Für die Bevölkerung besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, mit gefälschten Euro-Banknoten in Berührung zu kommen. Die meisten Fälschungen sind von geringer Qualität und weisen keine oder nur dilettantisch nachgeahmte Sicherheitsmerkmale auf. Nach dem Prinzip „FÜHLEN-SEHEN-KIPPEN“, das auf der EZB-Website unter Sicherheitsmerkmale sowie auf den Websites der NZBen des Euroraums vorgestellt wird, lassen sich Euro-Banknoten ganz einfach auf ihre Echtheit überprüfen.
Abbildung 6.2
Anzahl der pro Jahr identifizierten Fälschungen je Million im Umlauf befindlicher echter Euro-Banknoten
6.4 Vorbereitungsarbeiten für künftige Euro-Banknoten
Die EZB arbeitet derzeit an der Entwicklung einer neuen Euro-Banknotenserie. Die neuen Banknoten sollen ihren hohen Grad an Fälschungssicherheit beibehalten und gleichzeitig möglichst umweltfreundlich sein. Der Neugestaltungsprozess steht im Einklang mit dem Bekenntnis des Eurosystems zum Bargeld. Er bietet die Gelegenheit, die Euro-Banknoten so zu gestalten, dass sich alle Europäerinnen und Europäer noch stärker mit ihnen identifizieren können.
Entscheidung über Neugestaltung unter Einbeziehung der Bevölkerung
Eine interdisziplinäre Beratungsgruppe, in der sämtliche Euro-Länder vertreten waren, legte eine erste engere Themenauswahl vor, die auf Beiträgen aus der Öffentlichkeit beruhte. Der EZB-Rat traf daraus eine Vorauswahl von sieben Themen, zu denen die Bevölkerung im weiteren Verlauf ihre Präferenzen angeben konnte. Anhand der Ergebnisse zweier öffentlicher Umfragen vom Sommer 2023 wählte der EZB-Rat „Europäische Kultur“ und „Flüsse und Vögel“ als zwei mögliche Themen für künftige Euro-Banknoten aus.
Endgültiges Design und Zeitplan für Herstellung und Ausgabe der neuen Banknoten sollen 2026 feststehen
Zudem beschloss der EZB-Rat die Einrichtung einer Beratungsgruppe, die bis Ende 2024 Motive für die ausgewählten Themen vorschlagen soll. Danach wird ein Designwettbewerb für die neuen Banknoten stattfinden. Auch hier werden die Menschen in Europa Gelegenheit haben, ihre Präferenzen zu verschiedenen möglichen Entwürfen zu äußern. Die EZB wird voraussichtlich 2026 über das endgültige Design der neuen Banknoten sowie über den Zeitplan für ihre Herstellung und Ausgabe entscheiden. Nach dieser Entscheidung werden noch mehrere Jahre bis zur Ausgabe der ersten neuen Banknoten vergehen.
7 Statistiken
Die EZB konzipiert, erhebt, erstellt und veröffentlicht mit Unterstützung der nationalen Zentralbanken eine breite Palette von Statistiken und Daten. Diese werden als Grundlage für die Geldpolitik der EZB sowie zur Erfüllung finanzstabilitätsbezogener und verschiedener anderer Aufgaben des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken (ESRB) benötigt. Außerdem werden sie von öffentlichen Stellen, internationalen Organisationen, Finanzmarktteilnehmern, den Medien und der Bevölkerung genutzt und tragen dazu bei, die Arbeit der EZB noch transparenter zu machen.
Im Jahr 2023 konzentrierte sich die EZB auf neue Euroraum-Statistiken, vornehmlich auf detaillierte Meldungen zu den außenwirtschaftlichen Statistiken und eine genauere Aufschlüsselung der Staatsverschuldung im Hinblick auf die Komponenten Kredit, Bargeld und Einlagen. Ferner beschloss die EZB, den Kreis der Berichtspflichtigen für die Geldmarktstatistik zu erweitern, und veröffentlichte eine neue Statistik zu den Finanzierungsrechnungen, in der die Ansprüche aus Rückstellungen bei Lebensversicherungen und Alterssicherungssystemen nach Anlagerisiko untergliedert sind. Im Rahmen ihres Maßnahmenplans zur Berücksichtigung von Klimaschutzaspekten veröffentlichte die EZB auf ihrer Website klimabezogene Indikatoren. Darüber hinaus führte das Eurosystem eine Umfrage durch, um festzustellen, welche Themen in den Anwendungsbereich des integrierten Berichtsrahmens IReF aufgenommen werden könnten.
7.1 Neue und verbesserte Euroraum-Statistiken und sonstige Entwicklungen
Zu den außenwirtschaftlichen Statistiken sind nun detailliertere Daten verfügbar
Im Einklang mit der geänderten Leitlinie der EZB zu außenwirtschaftlichen Statistiken veröffentlicht die EZB seit April 2023 zusätzliche Details zu den außenwirtschaftlichen Statistiken. Sie trägt somit dem Bedarf der Nutzerinnen und Nutzer nach detaillierteren grenzüberschreitenden Statistiken Rechnung. Die neuen Datenreihen weisen Informationen zu Investmentfonds, Versicherungsgesellschaften und Pensionseinrichtungen, sonstigen Finanzinstituten, nichtfinanziellen Unternehmen sowie zu privaten Haushalten und privaten Organisationen ohne Erwerbszweck gesondert aus. Auch die Art der für Direktinvestitionen eingesetzten Schuldtitel wird angegeben. Ferner sind zusätzliche Daten zu Schuldverschreibungen, Krediten, Handelskrediten und Anzahlungen sowie zur geografischen Aufschlüsselung nach Geschäftspartnern verfügbar.
Veröffentlichung stärker aufgeschlüsselter Daten zu Kredit-, Bargeld- und Einlagenkomponenten der Staatsverschuldung
Außerdem veröffentlicht die EZB nunmehr eine neu aufgeschlüsselte Darstellung der Kredit-, Bargeld- und Einlagenkomponenten der Staatsverschuldung der EU-Mitgliedsländer. Dies ermöglicht eine genauere Bewertung der öffentlichen Finanzierung. Wiewohl Schuldverschreibungen in der Regel den größten Teil der Staatsverschuldung ausmachen, sind auch Kredite und Einlagen relevant. Im Jahr 2022 entsprachen diese beiden Komponenten 16 % des BIP im Euroraum und 17,5 % der Staatsverschuldung insgesamt. Die neuen Daten geben Auskunft über die unterschiedlichen Finanzierungsquellen der öffentlichen Haushalte und sind nach Gläubigerkategorien untergegliedert: u. a. Geschäftsbanken, multilaterale Institutionen (z. B. der Internationale Währungsfonds) und EU-Institutionen (z. B. die Europäische Investitionsbank).
Kreis der Berichtspflichtigen für die Euro-Geldmarktstatistik erweitert
Im April 2023 beschloss die EZB, den 46 Banken umfassenden Kreis der Berichtspflichtigen für die Geldmarktstatistik (Money Market Statistical Reporting – MMSR) um zusätzliche 24 Banken zu erweitern. Die neuen Berichtspflichtigen werden ab dem 1. Juli 2024 mit ihren Datenmeldungen beginnen. Durch die so gewonnenen Informationen werden die von der EZB veröffentlichten MMSR-Daten noch repräsentativer werden. In die Berechnung des €STR (Euro Short-Term Rate) werden die Daten der neuen Berichtspflichtigen erst zu einem späteren Zeitpunkt einfließen, sobald sichergestellt ist, dass die neu gemeldeten Daten von ausreichend hoher Qualität sind. Durch die Erweiterung des Berichtskreises wird der Referenzzinssatz noch repräsentativer, robuster und zuverlässiger.
Neue EZB-Statistiken zur Finanzierungsrechnung untergliedern Ansprüche aus Rückstellungen bei Lebensversicherungen und Alterssicherungssystemen nach Anlagerisiko
Nach der Änderung ihrer Leitlinie über die statistischen Berichtsanforderungen im Bereich der vierteljährlichen Finanzierungsrechnungen veröffentlicht die EZB für alle EU-Mitgliedstaaten und den Euroraum seit Oktober 2023 neue Untergliederungen für Ansprüche aus Rückstellungen bei Lebensversicherungen und Alterssicherungssystemen nach Anlagerisiko. Diese Ansprüche sind wesentliche Bestandteile des Geldvermögens der privaten Haushalte und werden in den Finanzierungsrechnungen als Verbindlichkeiten von Versicherungsgesellschaften und Pensionseinrichtungen (sowie, in weit geringerem Maße, als Verbindlichkeiten der sonstigen Sektoren) erfasst. Die neuen Daten zeigen, inwieweit die privaten Haushalte das Anlagerisiko der in ihrem Namen investierten Prämien und Beiträge tragen.
7.2 Veröffentlichung neuer klimabezogener statistischer Indikatoren
Im Januar 2023 veröffentlichte die EZB auf ihrer Website eine erste Reihe experimenteller und analytischer klimabezogener statistischer Indikatoren. Diese Indikatoren wurden in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Zentralbanken des ESZB zusammengestellt und sind Teil des umfassenderen Maßnahmenplans zur Berücksichtigung von Klimaschutzaspekten der EZB.
Die experimentellen Indikatoren für nachhaltige Finanzinstrumente geben einen Überblick über die Schuldtitel mit Nachhaltigkeitsmerkmalen, die von Ansässigen im Euroraum begeben bzw. gehalten werden. Sie liefern Informationen über die Mittelbeschaffung für nachhaltige Projekte und damit über die Fortschritte beim Übergang zu einer treibhausgasneutralen Wirtschaft.
Die analytischen CO2-Emissionsindikatoren für Finanzinstitute liefern Informationen über die Kohlenstoffintensität der Wertpapier- und Kreditportfolios dieser Institute. So lässt sich besser beurteilen, welche Rolle der Finanzsektor bei der Finanzierung des Übergangs zur Treibhausgasneutralität spielt und welche Risiken damit verbunden sind. Die Indikatoren geben etwa Aufschluss darüber, in welchem Ausmaß Banken gegenüber Geschäftspartnern exponiert sind, die in hohem Maße von CO2-intensiven Geschäftsmodellen abhängig sind.
Die analytischen Indikatoren zu physischen Risiken von Kredit- und Wertpapierportfolios bewerten Risiken, die sich aus klimabedingten Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Waldbränden für die Wertentwicklung von Krediten, Anleihen und Aktien ergeben. Anhand dieser Indikatoren lassen sich physische Risiken über Länder, Sektoren und Gefahrenkategorien hinweg vergleichen.
Die Arbeiten an allen drei Datensätzen wurden fortgesetzt, um die Qualität der verfügbaren Daten und Aufschlüsselungen – einschließlich geografischer, sektoraler und sonstiger Details – weiter zu verbessern.
7.3 Effizientere Meldung von Bankdaten
Der integrierte Berichtsrahmen (Integrated Reporting Framework – IReF) zielt darauf ab, die geltenden statistischen Datenanforderungen des ESZB für Banken so weit wie möglich in einem einheitlichen, standardisierten Berichtsrahmen für das gesamte Euro-Währungsgebiet zusammenzuführen.
Der IReF ist ein erster Schritt hin zu einer umfassenderen Initiative für ein integriertes Meldewesen für statistische, aufsichtsrechtliche und abwicklungsbezogene Daten in der EU, wie vom europäischen Bankensektor, dem Europäischen Parlament und dem Rat gefordert. Um die Integration zu vertiefen, arbeiten die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA), die EZB, der Einheitliche Abwicklungsausschuss (SRB) und die Europäische Kommission in einer informellen Koordinierungsgruppe zusammen. Im Jahr 2023 erörterte diese Gruppe die Arbeitsmodalitäten für einen gemeinsamen Ausschuss unter Mitwirkung der zuständigen europäischen und nationalen Behörden sowie des Bankensektors (Joint Bank Reporting Committee – JBRC). Dieser Ausschuss wird voraussichtlich 2024 eingerichtet.
Das ESZB arbeitet außerdem eng mit dem Bankensektor zusammen, um mithilfe des Banks’ Integrated Reporting Dictionary (BIRD) das Meldewesen zu optimieren und den Meldeaufwand insgesamt zu verringern. An dieser freiwilligen und kollaborativen Initiative sind die nationalen Zentralbanken des ESZB sowie Geschäftsbanken beteiligt. BIRD ist kostenfrei zugänglich und unterstützt die Banken dabei, statistische, aufsichtliche und abwicklungsbezogene Meldungen zu generieren, die den in den europäischen Rechtsvorschriften festgelegten Meldeanforderungen entsprechen. BIRD beruht auf einem einheitlichen Datenmodell, das sämtliche den Meldepflichten zugrunde liegenden Konzepte redundanzfrei definiert und beschreibt. Auf dieser Grundlage können die Banken besser entscheiden, welche Daten sie aus ihren internen Systemen extrahieren und wie sie diese verarbeiten sollen.
Der erste direkte Nutzen, der sich aus BIRD für die Banken ergibt, ist die einfachere Einhaltung des IReF-Berichtsrahmens. Als neuer Rahmen für die Datenerhebung wird der IReF für alle Euro-Länder einheitlich gelten. Die meldepflichtigen Banken werden BIRD für statistische Meldungen gemäß IReF sowie zur Erfüllung sonstiger Meldepflichten nutzen können. Dadurch wird ihr Meldeaufwand sinken und die Qualität der an die zuständigen Behörden gemeldeten Daten steigen.
Kasten 5
Distributional Wealth Accounts: neue Statistik zur Verteilung des Vermögens der privaten Haushalte
Eine neue experimentelle Statistik liefert vierteljährliche Informationen zur Vermögensverteilung der privaten Haushalte im Euroraum, die im Einklang mit den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen stehen.
Die von der EZB neu veröffentlichte Statistik zur verteilungsbasierten Vermögensbilanz (Distributional Wealth Accounts – DWA) gibt Aufschluss darüber, wie sich das Vermögen auf die privaten Haushalte im Euroraum und in einzelnen Euro-Ländern verteilt. Sie ist konsistent mit den aggregierten vierteljährlichen Sektorkonten und unterstützt die Analysen der EZB zur Wirtschafts- und Geldpolitik sowie zur Finanzstabilität. Der DWA-Datensatz steht in Verbindung mit der 2021 überarbeiteten geldpolitischen Strategie der EZB, der zufolge die Wechselwirkung zwischen der Einkommens- und Vermögensverteilung und der Geldpolitik systematisch bewertet werden soll. Die verteilungsbasierte Vermögensbilanz wird neue Einblicke in den geldpolitischen Transmissionsprozess ermöglichen. Mit der Veröffentlichung folgt die EZB den Empfehlungen der G20 Data Gaps Initiative, Datensätze zur Verteilung von Einkommen, Konsum, Ersparnissen und Vermögen der privaten Haushalte im Einklang mit den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zu entwickeln.
Für die Entwicklung der Methode und die Zusammenstellung der Ergebnisse zeichnet das Europäische System der Zentralbanken verantwortlich. Der gemeinsame Ansatz lässt sich auf nationaler Ebene weiter verfeinern, sodass zusätzliche, lokal verfügbare Datenquellen berücksichtigt werden können. Einige nationale Zentralbanken haben bereits derartige Verbesserungen umgesetzt. Die DWA-Daten verknüpfen die aggregierten Daten der vierteljährlichen Sektorkonten mit Informationen aus der Haushaltsbefragung zu Finanzen und Konsum (Household Finance and Consumption Survey – HFCS) vom Zeitraum zwischen 2010 und 2021 sowie aus anderen Quellen. Die Ergebnisse für die Quartale nach 2021 werden anhand der jeweils letzten verfügbaren Daten der Sektorkonten und der zuletzt veröffentlichten HFCS-Erhebung bzw. der in einigen Ländern von den nationalen statistischen Ämtern erhobenen Daten geschätzt. Der neue Datensatz wird vierteljährlich erstellt und fünf Monate nach Ablauf des Beobachtungszeitraums veröffentlicht. Ergebnisse liegen für den Euroraum, 19 einzelne Euro-Länder (sämtliche Länder des Euroraums mit Ausnahme Kroatiens) sowie Ungarn vor.
Die DWA liefern Angaben zu Nettovermögen, Gesamtvermögen und Gesamtverbindlichkeiten sowie zu den einzelnen Vermögenskomponenten. Die privaten Haushalte werden dabei in die oberen fünf Dezile und die unteren 50 % der Nettovermögensverteilung unterteilt. Zudem erfolgt eine Einordnung nach Beschäftigung und Wohnsituation. Ebenfalls im neuen Datensatz enthalten sind der Gini-Koeffizient des Nettovermögens, Daten zum Median und zum Mittelwert des Nettovermögens, der Anteil des Nettovermögens, den die unteren 50 %, die oberen 10 % und die oberen 5 % der Verteilung halten, sowie das Verhältnis von Verschuldung zu Vermögen je Nettovermögensdezil.
Abbildung A
Entwicklung des Wohnimmobilienvermögens je Dezil der Nettovermögensverteilung sowie Anteil der oberen 5 % am Nettovermögen, Euroraum
a) Wohnimmobilienvermögen | b) Anteil der oberen 5 % am Nettovermögen |
---|---|
Quelle: DWA.
Kasten 6
Zahlungsverkehrsstatistik ‒ erweiterter Umfang und höhere Frequenz
Am 1. Januar 2022 trat die Änderung der Verordnung der EZB zur Zahlungsverkehrsstatistik in Kraft. Die Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Rechtsrahmen spiegeln sowohl Entwicklungen im Zahlungsverkehr als auch relevante Änderungen des EU-Rechts wider. Außerdem erfolgen Datenerhebungen nun häufiger als zuvor, nämlich halb- und vierteljährlich statt jährlich. Die ersten gemäß dem geänderten Rechtsrahmen erhobenen Zahlungsverkehrsdaten wurden am 9. November 2023 über das Data Portal der EZB veröffentlicht. Sie umfassten Angaben zu allen Quartalen des Jahres 2022, zu den ersten beiden Quartalen 2023 sowie zum ersten und zweiten Halbjahr 2022.
Die halbjährlich verfügbare Zahlungsverkehrsstatistik enthält nun auch Informationen über innovative Zahlungsdienste im Massenzahlungsverkehr, z. B. zu Zahlungen über mobile Endgeräte, zu kontaktlosen Zahlungen, zum elektronischen Handel und zu neuen Arten von Zahlungsdiensten im Sinne der überarbeiteten Zahlungsdiensterichtlinie (PSD2). Zu jeder halbjährlichen Datenveröffentlichung erscheint eine Pressemitteilung. Im Rahmen der erweiterten Datenerhebung lassen die im Data Portal der EZB verfügbaren Daten unter anderem eine starke Nachfrage nach kontaktlosen Kartenzahlungen erkennen: In der ersten Hälfte 2023 entfielen 57 % aller Kartenzahlungen im Euroraum auf diese Kategorie (siehe Abbildung A).
Abbildung A
Anteil kontaktloser Kartenzahlungen an allen Kartenzahlungen im Euroraum im ersten Halbjahr 2023
Darüber hinaus werden Daten zu betrügerischen Zahlungsvorgängen, zu Authentifizierungsmethoden für Zahlungsvorgänge und zu Zahlungssystemen erhoben. Zum Zweck der Überwachung des grenzüberschreitenden Handels werden vierteljährlich Daten zu Kartenzahlungen erfasst und in einer weltweiten Aufschlüsselung nach Ländern sowie untergliedert nach Händlerkategorie-Codes dargestellt.
8 Die Forschungstätigkeit der EZB
Im Jahr 2023 konzentrierten sich die Forschungsarbeiten der EZB unter anderem auf die Inflationsentwicklung, die geldpolitische Transmission, den Klimawandel und den strukturellen Wandel. Konkret richteten die Leiterinnen und Leiter der Forschungsabteilungen des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) das Challenges for Monetary Policy Transmission in a Changing World (ChaMP) Research Network ein. Anhand umfassender granularer Datensätze soll das Forschungsnetzwerk analysieren, wie stark, rasch und unterschiedlich die geldpolitischen Transmissionskanäle im Euroraum angesichts beispielloser Schocks, struktureller Veränderungen und einer wechselnden Inflationsdynamik wirken. Neue Erkenntnisse über die Auswirkungen der Inflation auf die heterogenen privaten Haushalte im Euroraum lieferte weiterhin das Household Finance and Consumption Network (HFCN). Die mittlerweile fest etablierte Umfrage zu den Verbrauchererwartungen (Consumer Expectations Survey – CES) gewährt für die Arbeit und Forschung der EZB wertvolle Einblicke in die Erwartungsbildung der privaten Haushalte. Ein wichtiges Forschungsthema der EZB blieb auch im Berichtsjahr der Klimawandel. Zudem arbeitete die EZB im Rahmen der ESZB-Forschungscluster eng mit den nationalen Zentralbanken zusammen und organisierte gemeinsam mit diesen jährliche Workshops, in denen die dringlichsten Themen der verschiedenen Fachgebiete erörtert wurden.
8.1 Neues zu den Forschungsinitiativen des ESZB
Im Mai 2023 nahm das ChaMP-Netzwerk seine Arbeit auf
Im Mai 2023 nahm das ChaMP-Netzwerk seine Arbeit auf. Die Tätigkeit des Netzwerks ist auf zwei Jahre anberaumt und kann um ein weiteres Jahr verlängert werden. In zwei getrennten Workstreams befasst sich das Netzwerk mit der geldpolitischen Transmission über das Finanzsystem (WS1) bzw. über die Realwirtschaft (WS2). Das Arbeitsprogramm umfasste zu Beginn 180 Forschungsprojekte von mehr als 250 Autorinnen und Autoren aus den meisten Zentralbanken im ESZB. Die ersten ChaMP-Workshops fanden am 25. Oktober 2023 in Brüssel (WS2) und am 31. Oktober 2023 in Lissabon (WS1) statt. Die Präsentationen im Rahmen des Workshops des WS1 behandelten die Übertragung geldpolitischer Impulse auf Unternehmen und private Haushalte über die Banken sowie die Rolle von Finanzintermediären aus dem Nichtbankensektor. Im Workshop des WS2 wurde untersucht, welche Bedeutung Produktionsnetzwerke zwischen Unternehmen (z. B. im Hinblick auf Angebotsengpässe und sonstige Schocks) sowie strukturelle Veränderungen (z. B. Digitalisierung, (De-)Globalisierung und Klimawandel) für die Transmission der Geldpolitik haben. Das erste persönliche Treffen des Leitungsteams fand am 30. Oktober 2023 in Lissabon statt.
Im Juli 2023 veröffentlichte das Household Finance and Consumption Network (HFCN) die Ergebnisse der vierten Welle (2021) der Haushaltsbefragung des Eurosystems zu Finanzen und Konsum (Household Finance and Consumption Survey – HFCS). Die Mitglieder des HFCN, die EZB-Forschungsgruppe zur Heterogenität sowie externe Forscherinnen und Forscher nutzen die HFCS-Befragung als Quelle für Informationen zu Finanzen und Konsum der privaten Haushalte, die in eine Reihe von Forschungsprojekten einfließen. Dazu zählen Arbeiten zu den Verteilungseffekten von Inflationsschocks auf die Bilanzen der privaten Haushalte,[68] zu den Unterschieden zwischen dem Vermögen von Männern und Frauen (Gender Wealth Gap), zur Messung der Einkommensunsicherheit anhand von Erwartungsdaten, zu den heterogenen Auswirkungen der Pandemie auf die Finanzen der privaten Haushalte sowie zu den neuen Distributional Wealth Accounts (siehe Kasten 5).
8.2 Neues zu den Forschungsinitiativen der EZB
Im Jahr 2023 wurde die Umfrage der EZB zu den Verbrauchererwartungen (Consumer Expectations Survey – CES) weiterentwickelt. Sie liefert neue Erkenntnisse zum Haushaltssektor für die Analyse- und Forschungstätigkeit der EZB. Die EZB erweiterte den Kreis der in der Umfrage erfassten Länder; neben den sechs Ländern der Pilotphase (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande und Spanien) werden nun fünf weitere Länder des Euroraums abgedeckt, nämlich Finnland, Griechenland, Irland, Österreich und Portugal. Die CES-Umfrage erwies sich bei der Analyse der Inflationserwartungen der privaten Haushalte für die Arbeit der EZB und deren Forschung als wertvolles Instrument. Untersuchungen haben gezeigt, dass die restriktive Geldpolitik – gemeinsam mit der aktiven Kommunikation zu deren Rolle bei der Stabilisierung der künftigen Inflation – das Vertrauen der Öffentlichkeit gestärkt und so verhindert hat, dass sich die jüngsten Preis- und Kostenschocks in den Inflationserwartungen der Verbraucherinnen und Verbraucher verfestigten.[69] Anhand der CES-Umfrage ließen sich auch die heterogenen Auswirkungen der Inflation auf die Erwartungen der privaten Haushalte aufzeigen. Eine wichtige Erkenntnis besteht darin, dass sich die Inflation am stärksten auf private Haushalte mit geringem Einkommen auswirkt. Grund dafür ist, dass diese von Preiserhöhungen bei Bedarfsgütern wie Energie und Nahrungsmitteln besonders stark betroffen sind.
Klimabezogene Forschungsthemen auch 2023 im Fokus
Klimabezogene Forschungsthemen spielten auch im Jahr 2023 eine große Rolle. So zeigte etwa eine Forschungsarbeit, dass Banken, die ausführlichere umweltbezogene Informationen offenlegen, umgekehrt mehr Kredite an umweltbelastende Kreditnehmer vergeben, ohne höhere Zinssätze zu verlangen oder die Kreditlaufzeiten zu verkürzen.[70] Andere Arbeiten konzentrierten sich auf die unbeabsichtigten Folgen von CO2-Steuern. Untersuchungen zum Risiko einer „Grünflation“ (d. h. einer dauerhaften Abweichung der Inflation vom Zielwert aufgrund von CO2-Steuern oder CO2-Bepreisungssystemen) legen nahe, dass durch eine sehr behutsame Anhebung von CO2-Steuern eine Dekarbonisierung erreicht werden kann, ohne das Mandat der EZB zu gefährden.[71] Eine weitere Arbeit zeigt, dass CO2-Bepreisungsmechanismen zwar den CO2-Ausstoß von Unternehmen verringern, deren Investitionen jedoch zulasten grüner Innovationen in Richtung einer kurzfristigen Schadstoffreduzierung lenken.[72] Auch eine Podiumsdiskussion im Rahmen der gemeinsam mit dem Centre for Economic Policy Research organisierten Konferenz “WE_ARE_IN” befasste sich mit der Frage, wie sich der Klimawandel auf unser Verständnis der Stabilität der Gesamtwirtschaft und des Finanzsystems auswirkt.
Im Jahr 2023 veröffentlichten EZB-Expertinnen und -Experten 120 Beiträge in der Working-Paper-Reihe der EZB. Stärker politisch bzw. methodisch ausgerichtete Studien erschienen außerdem in der Occasional-Paper-, Statistics-Paper- und Discussion-Paper-Reihe der EZB. Neben zahlreichen Forschungsarbeiten, die in renommierte wissenschaftliche Fachzeitschriften Eingang fanden, veröffentlichte die EZB in ihrem Research Bulletin auch zwölf für ein breiteres Publikum verfasste Beiträge. In Kasten 7 werden die Ergebnisse der aktuellen EZB-Forschungsarbeiten zu wirtschaftlichen Dynamiken nach Extremereignissen näher vorgestellt. Dieses Thema ist sowohl für die Preisstabilität als auch für die Finanzstabilität von großer Bedeutung.
8.3 Neues zur Arbeit der ESZB-Forschungscluster
Im Rahmen der etablierten Forschungsnetzwerke wurden weiterhin Forschungsaktivitäten innerhalb des ESZB koordiniert und Arbeitsbeziehungen mit dem universitären Bereich gepflegt. So veranstalteten die ESZB-Forschungscluster zu den Themen „Monetäre Ökonomie“ (Cluster 1), „Internationale Makroökonomie, Fiskalpolitik, Arbeitsmarktökonomie, Wettbewerbsfähigkeit und WWU-Governance“ (Cluster 2), „Finanzstabilität, makroprudenzielle Regulierung und mikroprudenzielle Aufsicht“ (Cluster 3) sowie „Klimawandel“ (Cluster 4) Workshops zu den dringlichsten Themen in den jeweiligen Bereichen. Der jährliche Workshop von Cluster 1 wurde im Jahr 2023 verschoben und wird nun am 21. und 22. März 2024 in Warschau bei der Narodowy Bank Polski stattfinden. Cluster 2 veranstaltete seinen jährlichen Workshop am 16. und 17. November 2023 bei der Bank of England. Dabei ging es in fünf Sitzungen um Produktivität, Arbeitsmärkte, internationale Makroökonomie, Energieschocks, Klimapolitik und Finanzpolitik. Cluster 3 hielt seinen jährlichen Workshop vom 23. bis 25. November 2023 in Saariselkä (Finnland) zum Thema Finanzstabilität und Finanzintermediation ab. Der zweite jährliche Workshop von Cluster 4 fand am 13. und 14. November 2023 im Hybrid-Format bei der EZB statt. Der Themenbogen spannte sich dabei von den Auswirkungen von Temperaturschocks auf die Inflation bis hin zur Dynamik der Biodiversität.
Kasten 7
Wirtschaftliche Dynamiken nach Extremereignissen – Quantifizierung von Zielkonflikten zwischen Finanzstabilität und Geldpolitik in Zeiten hoher Inflation
Die Forschung konzentrierte sich zuletzt auf die Entwicklung und Anwendung neuer Instrumente, mit denen sich der Zusammenhang zwischen Geldpolitik und makroökonomischen Extremrisiken (Tail Risks) beurteilen und messen lässt. Das Finanzstabilitätsumfeld und die Bilanzkapazitäten des Finanzsektors spielen bei derartigen Risiken eine entscheidende Rolle: Es gibt immer mehr Belege dafür, dass finanzielle Notlagen stark auf kurzfristige Abwärtsrisiken für das Wachstum hindeuten. Hinzu kommt, dass geldpolitische Interventionen durch ihre unmittelbare Wirkung auf den Finanzsektor die Finanzstabilität kurzfristig beeinflussen können: Einerseits kann so den Finanzintermediären in Krisenzeiten Liquidität zur Verfügung gestellt werden, andererseits können Zinsanhebungen und verschärfte Finanzierungsbedingungen das Risiko plötzlicher Marktstörungen mit sich bringen.[73]
Angesichts des steigenden Inflationsdrucks im Jahr 2022 standen die großen Zentralbanken der Welt vor einem Dilemma: Sollten sie die geldpolitischen Zügel rasch anziehen, dadurch aber nach Jahren extrem niedriger Zinsen Spannungen an den Finanzmärkten riskieren? Oder sollten sie aus Rücksicht auf das Finanzsystem und die Konjunktur eher schrittweise vorgehen und dabei riskieren, dass sich die Inflation über dem Zielwert verfestigt? Um diesen Zielkonflikt zu quantifizieren, eignet sich ein empirisches nichtlineares Modell, das das Finanzstabilitätsumfeld berücksichtigt. So lassen sich die Extremrisiken für die Wirtschaft des Euroraums einschätzen, die sich aus dem im dritten Quartal 2022 eingeleiteten geldpolitischen Straffungszyklus ergeben.[74] Der nichtlineare Modellansatz hat den Vorteil, dass er die möglicherweise zeitvariierenden Rückkopplungen zwischen der Geldpolitik und den Risiken künftiger finanzieller Instabilität erfasst. Wenngleich Phasen finanzieller Instabilität selten auftreten, können sie verheerende gesamtwirtschaftliche Folgen haben. Deshalb sind sie für politische Entscheidungsträger äußerst relevant. Instrumente zur Bewertung derartiger Extremereignisse können also wichtige Informationen für die Steuerung makroökonomischer Risiken liefern.
Eine Analyse anhand des beschriebenen Modells ergab erhebliche Abwärtsrisiken für das Wirtschaftswachstum ab dem dritten Quartal 2022. Die Modellschätzung ergab eine Wahrscheinlichkeit von 10 %, dass das reale BIP im Euroraum im Lauf des Folgejahrs um mehr als 3 % sinkt. Die Risiken für die Finanzstabilität waren ebenfalls abwärtsgerichtet und es bestand eine erhöhte Wahrscheinlichkeit von Spannungen im Finanzsystem. Diese Risiken, die durch den sprunghaften Anstieg der Rohstoffpreise und die Spannungen an den Finanzmärkten nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine angetrieben wurden, galt es gegen die Aufwärtsrisiken für die Inflation, die deutlich über dem Zielwert lag, abzuwägen.
Eine geldpolitische Straffung über die Markterwartungen hinaus hätte die kurzfristigen Abwärtsrisiken für Wachstum und Finanzstabilität verstärkt. Grund hierfür ist, dass die Wahrscheinlichkeit für kurzfristige finanzielle Notlagen besonders stark von der Geldpolitik abhängt. Mittelfristig könnte eine straffere Geldpolitik jedoch die Risiken für die Finanzstabilität auch dämpfen, indem sie den Verschuldungsgrad des Finanzsystems verringert und die Risikoprämien von Finanzanlagen ansteigen lässt. Mithilfe dieses Modells lassen sich die Auswirkungen einer strafferen Geldpolitik auf höhere kurzfristige und niedrigere mittelfristige Risiken für das Finanzsystem und die Realwirtschaft quantifizieren.
9 Rechtliche Aktivitäten und Verpflichtungen der EZB
Dieses Kapitel setzt sich mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in Sachen EZB auseinander und befasst sich mit Stellungnahmen der EZB und Verstößen gegen die Verpflichtung zur Anhörung der EZB zu Entwürfen für Rechtsakte, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Ferner wird auf die von der EZB durchgeführte Überwachung der Einhaltung des Verbots der monetären Finanzierung und des Verbots des bevorrechtigten Zugangs eingegangen.
9.1 Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in Sachen EZB
EuGH beendete mehr als zehnjährigen Rechtsstreit hinsichtlich der 2012 erfolgten Umstrukturierung der griechischen Staatsschulden und wies Rechtsmittel in Bezug auf letzte anhängige Schadenersatzklage gegen EZB zurück
Im September 2023 wies der EuGH das Rechtsmittel im Zusammenhang mit der letzten anhängigen Schadenersatzklage von Inhabern griechischer Staatsanleihen gegen die EZB und die Europäische Union (EU) zurück. Die Rechtsmittelführer waren 2012 von der Umstrukturierung der griechischen Staatsschulden betroffen, da nachträglich eingefügte Umschuldungsklauseln aktiviert wurden.[75] In erster Instanz machten die Rechtsmittelführer geltend, dass ihre erzwungene Beteiligung an der Umstrukturierung der griechischen Staatsschulden der EZB und der EU zuzurechnen sei. Gründe hierfür seien unter anderem die Teilnahme der EZB und der EU an den Sitzungen der Euro-Gruppe und ihre Rolle im Konsultationsprozess, welcher zur Aktivierung der nachträglich eingefügten Umschuldungsklauseln geführt habe.[76] Das Gericht befand, dass die EZB und die EU nicht außerhalb ihres Kompetenzbereichs agiert und das Recht auf Eigentum, den freien Kapitalverkehr und den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt hatten. Das Gericht entschied ferner, dass mehrere Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (darunter die Artikel 123 und 127), auf die sich die Kläger beziehen, keine Rechtsnormen darstellen, die dem Einzelnen Rechte verleihen, und daher keine außervertragliche Haftung der Union oder der EZB auslösen können. Das Rechtsmittel, mit dem eine fehlerhafte Prüfung bestimmter Klagegründe durch das Gericht geltend gemacht wurde, wurde vom EuGH in vollem Umfang zurückgewiesen. Dadurch wurden die mehr als ein Jahrzehnt andauernden Rechtsstreitigkeiten beendet, in denen sich die EZB aufgrund ihres nachweislich rechtmäßigen Verhaltens stets durchgesetzt hatte.
Nach Auslegung des EuGH gelten EZB-Mindeststandards für Umlauffähigkeitsprüfung von Euro-Banknoten nicht für Bargeldakteure wie Kreditinstitute und Geldtransportunternehmen
Im April 2023 erließ der EuGH (Fünfte Kammer) sein Urteil betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Verwaltungsgerichts Litauens (Rechtssache C-772/21). Der EuGH legte die in Artikel 6 Absatz 2 des Beschlusses der EZB (EZB/2010/14) über die Prüfung der Umlauffähigkeit von Euro-Banknoten genannten Mindeststandards der EZB für die automatisierte Umlauffähigkeitsprüfung von Euro-Banknoten durch Banknotenbearbeitungsgeräte so aus, dass diese nicht für Bargeldakteure wie Brink’s Lithuania gelten. Im Ausgangsverfahren focht Brink’s den Beschluss der Lietuvos bankas an, wonach Brink’s gegen die Mindeststandards der EZB verstoßen habe, da zwei Banknotenbearbeitungsgeräte von Brink's den auf diesen Standards basierenden Tauglichkeitstest nicht bestanden hätten. Der EuGH entschied, dass die Mindeststandards der EZB für die Hersteller von Banknotenbearbeitungsgeräten gelten. Bargeldakteure sind zwar nicht an diese Standards gebunden, sind jedoch zur Mangelbehebung verpflichtet, so eine Prüfung durch eine nationale Zentralbank (NZB) ergibt, dass Banknotenbearbeitungsgeräte den Mindeststandards der EZB nicht entsprechen. Der EuGH kam ferner zu dem Schluss, dass es den Mitgliedstaaten verwehrt ist, Bargeldakteure zur Einhaltung der Mindeststandards der EZB zu verpflichten, denn die Einführung einer solchen Verpflichtung nach nationalem Recht liefe der ausschließlichen Zuständigkeit der EU im Bereich der Geldpolitik zuwider, zu der auch die Prüfung der Echtheit und Umlauffähigkeit von Banknoten gehört.
EuGH bestätigte Grenzen der gerichtlichen Kontrolle bankaufsichtlicher Beschlüsse auf Grundlage eines weiten Ermessensspielraums
Im Mai 2023 klärte der EuGH den Umfang der Kontrolle durch die Unionsgerichte in Bezug auf einen Beschluss der EZB, der im Bereich der Bankenaufsicht auf Grundlage eines Ermessensspielraums gefasst worden war und komplexe technische, wirtschaftliche und finanzielle Bewertungen umfasst. Das Urteil des EuGH erging, nachdem die EZB gegen das Urteil des Gerichts vom April 2021 ein Rechtsmittel eingelegt hatte. Das Gericht hatte den Beschluss der EZB aufgehoben, mit dem Crédit Lyonnais die Genehmigung verweigert wurde, bei der Berechnung ihrer Verschuldungsquote bestimmte Risikopositionen, die aus Beträgen auf regulierten Sparkonten resultierten, unberücksichtigt zu lassen. Nach Ansicht des Gerichts war der Beschluss mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet, da die EZB nicht berücksichtigt habe, dass bei diesen Konten kein Risiko massiver Abhebungen vorliege und für die Bank deshalb kein Risiko von Notverkäufen bestehe. Der EuGH folgte der Argumentation der EZB, hob das Urteil des Gerichts auf und urteilte, dass der Umfang der gerichtlichen Kontrolle durch Unionsgerichte von EZB-Beschlüssen, die auf der Grundlage eines Ermessensspielraums getroffen wurden, begrenzt sein muss und nicht dazu führen darf, dass das Gericht seine eigene Beurteilung an die Stelle derjenigen der EZB setzt. Mit dieser Kontrolle darf nur überprüft werden, ob der Beschluss nicht auf unzutreffenden Tatsachenfeststellungen beruht und ob er nicht mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einem Ermessensmissbrauch behaftet ist. In der vorliegenden Rechtssache vertrat der EuGH die Ansicht, dass das Gericht seine eigene Beurteilung bezüglich des für die Bank bestehenden Risikos von Notverkäufen an die Stelle derjenigen der EZB gesetzt und somit die Grenzen der gerichtlichen Kontrolle überschritten hatte. Der EuGH traf eine endgültige Entscheidung über den Rechtsstreit, wies die erstinstanzliche Klage von Crédit Lyonnais auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses zurück und urteilte, dass die Bank nicht hinreichend nachgewiesen hatte, dass der Beschluss der EZB mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet war.
Das Gericht bestätigte die ausschließliche Zuständigkeit der EZB für den Entzug von Bankzulassungen, auch bei gravierenden Verstößen gegen nationale Gesetze zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung
Im September 2023 wies der EuGH[77] das von der Versobank AS eingebrachte Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 2021 zurück, mit dem die Nichtigkeitsklage gegen den Beschluss der EZB zum Entzug der Zulassung zur Ausübung der Tätigkeit eines Kreditinstitutes zurückgewiesen worden war. In seinem Urteil bestätigte der EuGH die ausschließliche Zuständigkeit der EZB für den Entzug von Bankzulassungen aller in den teilnehmenden Mitgliedstaaten ansässigen Kreditinstitute, unabhängig davon, ob diese als bedeutend oder weniger bedeutend gelten. Zu den Gründen für einen Entzug der Bankzulassung zählen auch gravierende Verstöße gegen nationale Gesetze zur Umsetzung der Richtlinie zur Bekämpfung von Geldwäsche.
9.2 Stellungnahmen der EZB und Verstöße gegen die Konsultationspflicht
Die EZB ist gemäß Artikel 127 Absatz 4 und Artikel 282 Absatz 5 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu allen in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Vorschlägen für Rechtsakte der EU und Entwürfen für nationale Rechtsvorschriften zu hören. Sämtliche Stellungnahmen der EZB werden auf EUR-Lex veröffentlicht. Im Jahr 2023 verabschiedete die EZB 12 Stellungnahmen zu Vorschlägen für Rechtsakte der Union sowie 35 Stellungnahmen zu Entwürfen für Rechtsakte auf nationaler Ebene.
In zwölf Fällen wurde gegen die Verpflichtung zur Anhörung der EZB zu Entwürfen für Rechtsvorschriften verstoßen
Im Berichtsjahr wurden zwölf Fälle verzeichnet, in denen gegen die rechtliche Verpflichtung zur Anhörung der EZB zu Entwürfen für Rechtsakte verstoßen wurde. Zwei davon betrafen Unionsrecht und zehn davon betrafen nationales Recht. In 7 dieser 12 Fälle verabschiedete die EZB Stellungnahmen auf eigene Initiative.
Der erste Fall bezüglich Unionsrecht betraf einen Vorschlag der EU für eine Verordnung über harmonisierte Vorschriften für einen fairen Datenzugang und eine faire Datennutzung (Datenverordnung). Dieser Fall wurde als eindeutig und erheblich erachtet, da er unter anderem den Umfang des Zugangs zu in privatem Besitz befindlichen Daten und der Nutzung derselben durch die EZB und die NZBen für eine Reihe von festgelegten Zwecken im öffentlichen Interesse betrifft. Der zweite Fall im Hinblick auf das Unionsrecht betraf ein EU-Gesetzespaket, mit dem die Einrichtung eines zentralen europäischen Zugangsportals (European Single Access Point – ESAP) vorgeschlagen wurde, das den zentralisierten Zugriff auf öffentlich verfügbare, für Finanzdienstleistungen, Kapitalmärkte und Nachhaltigkeit relevante Informationen ermöglichen soll. Dieser Fall wurde als eindeutig und erheblich erachtet, da die Einrichtung des ESAP ein wichtiger Meilenstein bei der Vollendung der Kapitalmarktunion ist. Damit sollte EU-weit eine effizientere Kapitalallokation ermöglicht werden, was zur Weiterentwicklung und Integration der Kapitalmärkte beitragen würde.
Zwei in Ungarn verzeichnete Verstöße betrafen die Zentralbankunabhängigkeit und das Verbot der monetären Finanzierung. Im ersten dieser Fälle ging es um ein ungarisches Gesetz über wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen, das bestimmten Institutionen bis zum 30. Juni 2023 den Erwerb eines auf ungarische Forint lautenden Schuldtitels untersagte, der von einer nationalen Zentralbank des ESZB begeben wurde. Dieser Fall wurde als eindeutig und erheblich erachtet, da er die Magyar Nemzeti Bank daran hindert, unabhängig die notwendigen Mittel und Instrumente zu wählen, um eine effiziente Geldpolitik durchzuführen und auf unabhängige Weise ihr vorrangiges Ziel der Preisstabilität zu erreichen. Der zweite in Ungarn verzeichnete Fall betraf Änderungen des Gesetzes über die Magyar Nemzeti Bank zur Einführung zentraler staatlicher Fremdwährungskonten, die von der Magyar Nemzeti Bank verwaltet werden und das bereits bestehende, in ungarischen Forint geführte zentrale Staatskonto ergänzen sollen. Dieser Fall wurde als eindeutig und erheblich erachtet, da er die Vereinbarkeit der Verzinsung von Staatskonten bei einer NZB mit dem Verbot der monetären Finanzierung betrifft.
In zwei in der Slowakei festgestellten Verstößen ging es um Bargeld. Der erste Fall betraf ein slowakisches Sozialversicherungsgesetz, das die Barzahlung von Beiträgen zur staatlichen Sozialversicherung beschränkte. Unter Berücksichtigung der vom EuGH in seinem Urteil betreffend den Hessischen Rundfunk (C-422/19 und C-423/19) festgelegten Kriterien wurde dieser Fall als eindeutig und erheblich erachtet, da die Verwendung von Bargeld als Zahlungsmittel beschränkt wird und keine Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich dieser Beschränkung vorliegt. Der zweite Fall betraf ein slowakisches Gesetz zur Änderung der Verfassung der Slowakischen Republik, das die Ausgabe von Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel garantiert; das des Weiteren festlegt, dass jede Person das Recht hat, für den Erwerb von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen mit Bargeld als gesetzlichem Zahlungsmittel zu bezahlen; das sicherstellt, dass die Annahme von Barzahlungen nur aus berechtigten oder allgemein anwendbaren Gründen verweigert werden darf; und das das Recht garantiert, Bargeldtransaktionen bei Banken oder Zweigstellen ausländischer Banken durchzuführen. Dieser Fall wurde als eindeutig und erheblich erachtet, da das Verfassungsgesetz die Ausgabe von Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel garantiert und in diesem Zusammenhang einen allgemeinen Grundsatz der verpflichtenden Annahme von Bargeld und einen Rahmen für Ausnahmen in einem Mitgliedstaat festlegt, dessen Währung der Euro ist. Dabei handelt es sich um Bereiche, die in die ausschließliche Zuständigkeit der EZB und der Union fallen.
Fünf nationale Verstöße (vier Verstöße gegen die Konsultationspflicht und eine verspätete Konsultation) betreffen Sondersteuern und -abgaben für Banken, die als Reaktion auf die gestiegene Inflation und höhere Zinsen eingeführt wurden. Diese Fälle betrafen: 1) ein polnisches Gesetz über Crowdfunding für Unternehmen und die Unterstützung von Kreditnehmerinnen und Kreditnehmern, mit dem das Konzept von „Hypothekenferien“ (Aussetzung von Hypothekenzahlungen) eingeführt wurde, um Schuldnerinnen und Schuldner mit ausstehenden Hypothekarkrediten nach den jüngsten Zinserhöhungen der Narodowy Bank Polski zu entlasten; 2) ein portugiesisches Gesetz zur vorübergehenden Senkung der EURIBOR-Referenzzinssätze um 30 % für variabel verzinsliche Hypothekarkredite, welche die Auswirkungen der steigenden Zinsen auf den Markt für Wohnungsbaukredite abmildern und mehr Vorhersehbarkeit für Familien mit variabel verzinslichen Hypothekarkrediten erreichen soll; 3) ein rumänisches Gesetz über gewisse haushaltspolitische Maßnahmen zur Sicherstellung der langfristigen Nachhaltigkeit der Finanzen Rumäniens, das unter anderem die Erhebung einer Steuer auf den Umsatz von Kreditinstituten vorsieht, die rumänische juristische Personen oder rumänische Zweigstellen ausländischer juristischer Personen sind; 4) ein slowakisches Gesetz über eine Sonderabgabe für Unternehmen in regulierten Branchen, das a) den Geltungsbereich der Sonderabgabe auf in der Slowakei tätige Kreditinstitute ausweitet und b) einen speziellen Abgabensatz für diese Kreditinstitute vorsieht; und 5) ein lettisches Gesetz, mit dem das Konsumentenschutzgesetz geändert wird und die Kreditinstitute für das Jahr 2024 dazu verpflichtet werden, im Hypothekarkreditbereich zugunsten von Kreditnehmerinnen und Kreditnehmern, die bestimmte Bedingungen erfüllen, eine Kreditnehmerschutzgebühr zu entrichten. Diese Fälle wurden als eindeutig und erheblich erachtet, da die betreffenden Gesetze Fragen hinsichtlich der Finanzstabilität, der Aufsicht und – im Fall Lettlands, Portugals und der Slowakei – der Geldpolitik aufwerfen.
Der letzte Verstoß auf nationaler Ebene ist ein Fall in Spanien. Dieser betrifft ein Gesetz, das die Banco de España verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um es Wertpapierfirmen zu ermöglichen, Konten bei der Zentralbank zu eröffnen, um die Gelder, die sie von ihren Kunden erhalten, zu hinterlegen. Dieser Fall wurde als eindeutig und erheblich erachtet, da er abgesehen von den direkten Auswirkungen auf den Betrieb von Zahlungssystemen auch Fragen im Zusammenhang mit der Geldpolitik und der Finanzstabilität aufwerfen könnte.
Zwölf Stellungnahmen der EZB zu Vorschlägen für EU-Rechtsakte
Im Berichtsjahr verabschiedete die EZB zwölf Stellungnahmen zu Vorschlägen für EU-Rechtsakte in unterschiedlichen Bereichen, darunter: digitaler Euro; Euro-Banknoten und Euro-Münzen als gesetzliches Zahlungsmittel; Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung in der Union; Unionsrahmen für das Krisenmanagement und die Einlagensicherung; Maßnahmen zur Minderung übermäßiger Risikopositionen gegenüber zentralen Gegenparteien (CCPs) aus Drittstaaten, zur Steigerung der Effizienz der Clearingmärkte der Union und zur Behandlung des Konzentrationsrisikos gegenüber CCPs sowie des Ausfallrisikos bei zentral geclearten Derivategeschäften; Sofortüberweisungen in Euro; Klimathemen wie die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden, Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Integrität von Rating-Tätigkeiten in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance (ESG); unternehmensbezogene Arbeitsmarktstatistiken der Europäischen Union; Ernennung eines neuen Mitglieds des Direktoriums der EZB.
35 Stellungnahmen der EZB zu Entwürfen für nationale Rechtsvorschriften
Zu Entwürfen für nationale Rechtsvorschriften, die häufig mehr als ein Thema betreffen, verabschiedete die EZB 19 Stellungnahmen zu NZBen; 15 Stellungnahmen zur Stabilität des Finanzsystems; 13 Stellungnahmen zur Aufsicht über Kreditinstitute; 7 Stellungnahmen zu Währungsangelegenheiten und Zahlungsmitteln; 5 Stellungnahmen zu geldpolitischen Instrumenten, geldpolitischen Geschäften und zur Umsetzung der Geldpolitik sowie 3 Stellungnahmen zu Zahlungs- bzw. Wertpapierabwicklungssystemen. Das Thema Sondersteuern und ‑abgaben für Banken, die als Reaktion auf die gestiegene Inflation und höhere Zinsen eingeführt wurden, war Gegenstand von 7 Stellungnahmen im Lauf des Jahres 2023.
9.3 Einhaltung des Verbots der monetären Finanzierung und des bevorrechtigten Zugangs
Gemäß Artikel 271 Buchstabe d des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist die EZB mit der Aufgabe betraut, die Einhaltung der in Artikel 123 und 124 des AEUV sowie in den Verordnungen (EG) Nr. 3603/93 und 3604/93 des Rates festgelegten Verbote durch die nationalen Zentralbanken (NZBen) der EU-Mitgliedstaaten zu überwachen. Nach Artikel 123 ist es der EZB und den NZBen untersagt, Regierungsstellen sowie Organen bzw. Einrichtungen der EU Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten einzuräumen oder von solchen Institutionen begebene Schuldtitel am Primärmarkt zu erwerben. Gemäß Artikel 124 sind Maßnahmen verboten, die nicht aus aufsichtsrechtlichen Gründen getroffen werden und die Regierungsstellen sowie Organen bzw. Einrichtungen der EU einen bevorrechtigten Zugang zu Finanzinstituten verschaffen. Über die Einhaltung dieser Bestimmungen durch die Mitgliedstaaten wacht neben dem EZB-Rat auch die Europäische Kommission.
Die EZB überwacht ferner die durch die Zentralbanken der EU-Mitgliedstaaten am Sekundärmarkt getätigten Käufe von Schuldtiteln des öffentlichen Sektors – also Käufe inländischer Staatspapiere sowie Käufe von Schuldtiteln, die von anderen Mitgliedstaaten oder von Organen bzw. Einrichtungen der EU begeben wurden. Laut den Erwägungsgründen der Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates darf das mit Artikel 123 AEUV verfolgte Ziel nicht durch den Erwerb von Schuldtiteln des öffentlichen Sektors auf dem Sekundärmarkt umgangen werden.
Verbote gemäß Artikel 123 und 124 AEUV grundsätzlich eingehalten
Die für 2023 von der EZB durchgeführten Prüfungen bestätigen, dass die Bestimmungen der Artikel 123 und 124 AEUV grundsätzlich eingehalten wurden.
Die EZB wird weiterhin die Beteiligung der Magyar Nemzeti Bank an der Budapester Börse überwachen, da die 2015 begründete Mehrheitsbeteiligung der ungarischen Zentralbank an der Budapester Börse nach wie vor Anlass zu Bedenken hinsichtlich der monetären Finanzierung geben könnte.
Die irische Zentralbank konnte 2023 den Bestand an Vermögenswerten im Zusammenhang mit der Irish Bank Resolution Corporation durch Veräußerung langfristiger, variabel verzinster Anleihen vollständig abbauen. Damit konnten die schwerwiegenden Bedenken hinsichtlich der monetären Finanzierung ausgeräumt werden, die seit 2013 bestanden hatten.
Die Finanzierung von Verpflichtungen des öffentlichen Sektors gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) durch NZBen ist nicht als monetäre Finanzierung anzusehen, sofern daraus Forderungen an das Ausland erwachsen, die alle Merkmale eines Reserveinstruments aufweisen. Allerdings führten Schenkungen, wie sie die Nationale Bank van België/Banque Nationale de Belgique und die Banque de France hoch verschuldeten armen Ländern im Wege eines Schuldenerlasses über den IWF in vergangenen Jahren zur Verfügung stellten, nicht zu Forderungen an das Ausland, sodass Korrekturmaßnahmen erforderlich sind.
10 Die EZB im europäischen und internationalen Kontext
Die EZB stand auch 2023 in engem Austausch mit ihren europäischen und internationalen Partnern. Bei der Erfüllung ihrer Rechenschaftspflicht sind die Beziehungen zum Europäischen Parlament für die EZB von wesentlicher Bedeutung. Wie gewohnt tauschte sich die EZB im Rahmen regelmäßiger Anhörungen und Korrespondenz mit dem Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments (ECON) aus. Aufgrund der laufenden Arbeiten an einem digitalen Euro wurden 2023 zusätzliche Sitzungen mit dem ECON-Ausschuss anberaumt. Auf internationaler Ebene pflegte die EZB einen konstruktiven Dialog mit ihren G‑20-Partnern. So unterstützte sie die unter dem Vorsitz Indiens gesetzten Initiativen zur Regulierung des Finanzsektors, zum grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr und zu Kryptowerten. Darüber hinaus brachte sich die EZB zu verschiedenen zentralbankrelevanten Themen im Zusammenhang mit der Arbeitsweise des Internationalen Währungsfonds (IWF) ein. Dazu zählten die Überprüfung der IWF-Quoten, Anpassungen der Kreditvergabepolitik und des Instrumentariums des IWF sowie Fragen im Zusammenhang mit Sonderziehungsrechten (SZR) und deren Weitergabe.
10.1 Die Rechenschaftspflicht der EZB
Rechenschaftspflicht als unerlässliches Gegengewicht zu Unabhängigkeit
Gemäß dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) genießt die EZB Unabhängigkeit. Die EZB kann also Entscheidungen zur Erreichung ihres vorrangigen Ziels – Gewährleistung von Preisstabilität – frei von politischer Einflussnahme treffen. Dieser Unabhängigkeit steht aber auch notwendigerweise ein hohes Maß an Rechenschaftspflicht gegenüber. Deshalb hat die EZB ihre Handlungen gegenüber dem Europäischen Parlament als der gewählten Vertretung der EU-Bevölkerung zu verantworten. Die Erfüllung dieser Rechenschaftspflicht ist eine der wesentlichen Aufgaben der EZB. Der Austausch mit dem Europäischen Parlament ermöglicht es der EZB, ihr Vorgehen und ihre Strategien gegenüber den Vertreterinnen und Vertretern der EU-Bevölkerung zu erläutern und deren Anliegen Gehör zu schenken. Dieser Dialog hat sich im Lauf der Jahre weiterentwickelt und geht mittlerweile über die in Artikel 284 Absatz 3 AEUV festgesetzten Anforderungen hinaus. Um das gemeinsame Verständnis der Rechenschaftspflicht und die wirksame Zusammenarbeit in diesem Bereich weiter zu festigen, unterzeichneten die Präsidentin der EZB und die Präsidentin des Europäischen Parlaments im Juni 2023 einen Schriftwechsel zur Klarstellung der Regelungen zur Rechenschaftspflicht zwischen der EZB und dem Europäischen Parlament im Bereich des Zentralbankwesens.
EZB setzte Austausch mit gewählten Vertreterinnen und Vertretern der EU-Bevölkerung fort
Neben den vier regelmäßigen Anhörungen vor dem ECON-Ausschuss im Jahr 2023 nahm die Präsidentin der EZB im Februar auch an der Plenardebatte zum EZB-Jahresbericht 2021 teil, die der diesbezüglichen Entschließung des Europäischen Parlaments vorausging. Im Mai folgte dann im ECON die Präsentation des EZB-Jahresberichts 2022 durch den EZB-Vizepräsidenten. Das Feedback der EZB zu den Anregungen des Europäischen Parlaments in seiner Entschließung zum EZB-Jahresbericht 2021 wurde am selben Tag auf der Website der EZB veröffentlicht. Darüber hinaus empfing die EZB im Mai den jährlichen Besuch der Delegation des ECON-Ausschusses. Im Lauf des Berichtsjahrs beantwortete die EZB daneben 27 schriftliche Anfragen von Mitgliedern des Europäischen Parlaments.
Auch im Rahmen ihrer Arbeit an einem digitalen Euro stand die EZB in engem Austausch mit dem ECON. So nahm Fabio Panetta (damals EZB-Direktoriumsmitglied) im Jahr 2023 an drei Ad-hoc-Anhörungen vor dem ECON-Ausschuss teil, um die in der Untersuchungsphase zum digitalen Euro erzielten Fortschritte zu erörtern. Diskutiert wurden dabei auch Themen wie: Nutzungserlebnis, gesetzliches Zahlungsmittel und Gesetzgebungsverfahren.[78] Des Weiteren veranstaltete die EZB gemeinsam mit dem Europäischen Parlament Fachseminare für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nahm an von Mitgliedern des Europäischen Parlaments organisierten Diskussionsveranstaltungen zum digitalen Euro teil.
Zustimmung zum Euro 2023 nahe an Höchstwert
Den jüngsten Ergebnissen der Eurobarometer-Umfrage zufolge genießt der Euro die Zustimmung von 79 % der Befragten im Euroraum, und 43 % haben tendenziell Vertrauen in die EZB (Stand: Oktober/November 2023). Die große Unterstützung für den Euro ist ein sehr positives Zeichen. Die im Vergleich geringeren Vertrauenswerte der EZB zeigen, dass wir uns weiter um den Dialog mit der Öffentlichkeit und mit den gewählten Vertreterinnen und Vertretern der Bevölkerung bemühen müssen. Vertrauensbildende Maßnahmen bleiben somit ein wichtiges Thema für die EZB. Wir werden uns also auch künftig für einen konstruktiven Dialog mit dem Europäischen Parlament und der Bevölkerung im Euroraum einsetzen.
10.2 Internationale Beziehungen
G 20
In einem schwierigen globalen Umfeld erhöhter geopolitischer Spannungen setzten sich die G 20 für die Erhaltung des Multilateralismus ein
Im Jahr 2023 führte Indien den Vorsitz über die G 20. Die Weltwirtschaft war weiterhin durch den Krieg Russlands gegen die Ukraine beeinträchtigt, und im letzten Quartal kam noch die erhöhte Unsicherheit aufgrund des Konflikts im Nahen Osten hinzu. Die Finanzministerien und Zentralbanken der G 20 waren mit geringerem Weltwirtschaftswachstum, hohem Inflationsdruck und volatilen Energiepreisen konfrontiert. Bei den Treffen im Februar und Juli 2023 konnten wegen Meinungsverschiedenheiten zu geopolitischen Fragen zwar keine Kommuniqués verabschiedet werden; die gemeinsame Abschlusserklärung der G 20 in Neu-Delhi sowie der Beschluss, die Afrikanische Union als ständiges Mitglied aufzunehmen, unterstrichen jedoch, dass die G 20 ein wirkungsvolles und inklusives Forum bleiben wollen. Die EZB begrüßte und unterstützte die unter indischem Vorsitz gesetzten Initiativen zur Verbesserung des Regulierungsrahmens im Banken‑ und Nichtbankensektor, zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs und zur Einigung auf einen G‑20-Fahrplan zur Begrenzung der von Kryptowerten ausgehenden Risiken. Darüber hinaus unterstützte die EZB die G 20 in ihren Bemühungen, nachhaltige Finanzierungen aus privaten und öffentlichen Quellen für den weltweiten Übergang zur Treibhausgasneutralität auszubauen. Die G‑20-Debatte zu den Gestaltungsmöglichkeiten und Sicherheitsvorkehrungen für digitale Zentralbankwährungen stellte aus Sicht der EZB – mit Blick auf das Projekt zum digitalen Euro – ebenfalls eine hohe Priorität dar.
IWF und internationale Finanzarchitektur
EZB beteiligte sich aktiv an den Diskussionen beim IWF – die Themen 2023: Aufstockung der IWF-Quoten, erneute Anpassung des Instrumentariums, weitere Unterstützung der Ukraine
Auch im Berichtsjahr gestaltete die EZB den im Internationalen Währungsfonds (IWF) und anderen Foren geführten Diskurs zum internationalen Währungs‑ und Finanzsystem aktiv mit, indem sie bei gemeinsamen europäischen Positionierungen die Zentralbankperspektive einbrachte.[79] Zentrale Themen im Jahr 2023 waren die Überprüfung der IWF-Quoten, Anpassungen der Kreditvergabepolitik und des Instrumentariums des IWF sowie Fragen im Zusammenhang mit den Sonderziehungsrechten (SZR) und deren Weitergabe.
Am 15. Dezember 2023 schloss der Gouverneursrat des IWF die 16. Allgemeine Quotenüberprüfung ab und genehmigte eine Erhöhung der Quoten der Mitglieder um 50 %, wodurch das Gesamtvolumen auf 715,7 Mrd. SZR steigen wird.[80] Diese Erhöhung wird von den Mitgliedern im Verhältnis ihrer aktuellen Quoten getragen. Das Instrumentarium des IWF wurde angepasst, wodurch es ihm auch möglich war, die Ukraine weiter zu unterstützen.[81] So wurde Ende März 2023 für die Ukraine eine 48-monatige Vereinbarung im Rahmen der Erweiterten Fondsfazilität genehmigt (EFF – Extended Fund Facility).[82] Außerdem wurden mit dem Abschluss der Überprüfung der vorsorglichen Instrumente im Oktober 2023 die Präventionsrolle und Flexibilität des IWF-Instrumentariums weiter gestärkt. Die Kreditvergabe des IWF bewegte sich Ende 2023 in der Nähe ihres historischen Höchststands: Die ausstehenden GRA-Kredite erreichten 92 Mrd. SZR, wovon ein Drittel auf den größten Schuldner des IWF entfiel.
Zusätzliche Mittel zur Unterstützung ärmerer Länder
Nachdem 2021 SZR im Gegenwert von 650 Mrd. USD zugeteilt worden waren, um den langfristig bestehenden globalen Bedarf an Aufstockung der bestehenden Reserven abzudecken, wodurch die Länder auch bei der Bewältigung der Pandemie unterstützt wurden, konnte schließlich im Juni 2023 das ambitionierte globale Ziel erreicht werden, 100 Mrd. USD davon an Schwellenländer und einkommensschwache Länder weiterzugeben. EU-Mitgliedstaaten leisteten mit über 31 % der Zusagen einen erheblichen Beitrag zu diesen Anstrengungen. Der Großteil der insgesamt zugesagten Mittel ist für zwei Fonds des IWF bestimmt, nämlich den Treuhandfonds für Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit (Resilience and Sustainability Trust – RST) und den Treuhandfonds für Armutsbekämpfung und Wachstum (Poverty Reduction and Growth Trust – PRGT). Im Berichtsjahr unterstützte die EZB auch weiterhin internationale Initiativen zur Unterstützung vulnerabler Länder bei der Bewältigung steigender Schulden und daraus resultierender Risiken, insbesondere die Initiative zur Umsetzung des gemeinsamen Rahmens der G 20 für Umschuldungen und Schuldenerlässe.
Kasten 8
Das sekundäre Ziel der Geldpolitik der EZB
Das vorrangige Ziel der EZB ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Dies ist in Artikel 127 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankert. Im AEUV wird auch ein nachgeordnetes Ziel formuliert: „Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist“, unterstützt die EZB auch die allgemeine Wirtschaftspolitik in der EU, um zur Verwirklichung der in Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union festgelegten Ziele der EU beizutragen.[83] Im vorliegenden Kasten wird erläutert, inwiefern dieses sekundäre Ziel in die Durchführung der Geldpolitik und in die Berichterstattung der EZB einfließt.[84]
Inwiefern berücksichtigt die EZB ihr Sekundärziel bei geldpolitischen Beschlüssen?
Im Zuge ihrer geldpolitischen Beschlussfassung prüft die EZB die Verhältnismäßigkeit jeder Maßnahme.[85] Diese Prüfung umfasst u. a. eine Analyse des Nutzens und der möglichen Nebenwirkungen der jeweiligen geldpolitischen Maßnahmen, einschließlich – sofern relevant – der Auswirkungen auf das sekundäre Ziel der EZB. In der Analyse wird berücksichtigt, wie sich die Maßnahmen wechselseitig beeinflussen und im Laufe der Zeit ausgleichen. In der Praxis wählt der EZB-Rat bei der Anpassung seiner geldpolitischen Instrumente jene Variante, die die allgemeine Wirtschaftspolitik der EU in Bezug auf Wachstum, Beschäftigung und soziale Inklusion am besten unterstützt sowie – im Sinne eines Beitrags zu den weiter gefassten Zielen der EU – die Finanzstabilität schützt und zur Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels beiträgt. Diese Priorisierung kommt dann zur Anwendung, wenn für Instrumente zwei Konfigurationen möglich sind, die gleichermaßen förderlich und der Preisstabilität nicht abträglich sind.[86] So priorisiert die EZB bei der Wiederanlage von Wertpapieren des Unternehmenssektors seit Oktober 2022 Emittenten mit einer besseren Klimabilanz. Dies wurde beschlossen, um einerseits klimabezogene finanzielle Risiken in der Bilanz des Eurosystems besser zu berücksichtigen und andererseits im Sinne des Sekundärziels den Übergang zu einer grünen Wirtschaft entsprechend den EU-Klimaneutralitätszielen zu unterstützen.[87]
Wie vermittelt die EZB die Auswirkungen ihrer Maßnahmen im Hinblick auf das Sekundärziel?
Die EZB informiert im Rahmen ihrer geldpolitischen Berichterstattung darüber, inwiefern das Sekundärziel berücksichtigt wurde. Bei den geldpolitischen Pressekonferenzen und in den detaillierten Zusammenfassungen der geldpolitischen Sitzungen informiert die EZB über die Faktoren, die ihre geldpolitischen Beschlüsse beeinflussen, darunter Erwägungen im Zusammenhang mit ihrem sekundären Ziel. Darüber hinaus bieten regelmäßige Beiträge im Wirtschaftsbericht und im Research Bulletin der EZB sowie themenspezifische Occasional Papers ausführliche Analysen zu den Wechselwirkungen zwischen der Geldpolitik und wichtigen Bereichen wie Arbeitsmarkt, Finanzstabilität und Klimawandel.[88] Auch im Zuge der Erfüllung ihrer Rechenschafts- und Transparenzpflichten gegenüber dem Europäischen Parlament und der Öffentlichkeit erläutert die EZB, wie sie auf Aspekte des Sekundärziels eingeht, zum Beispiel das Zusammenspiel von Preisstabilität und Finanzstabilität oder die Einbeziehung von Klimaüberlegungen in die geldpolitischen Geschäfte.[89]
Auch unterschiedliche Kapitel in den Jahresberichten der EZB enthalten Informationen zu den geldpolitischen Beschlüssen und den zugrunde liegenden Analysen, die in Bezug auf das sekundäre Ziel relevant sind. Der vorliegende Jahresbericht etwa bietet in diesem Zusammenhang Folgendes: a) Informationen zu den 2023 erzielten Fortschritten hinsichtlich der Analysekapazität der EZB in Bezug auf Statistiken zum Klimawandel, einschließlich neuer klimabezogener statistischer Indikatoren für nachhaltige Finanzinstrumente, CO2-Emissionen und physische Risiken (Kapitel 7 Abschnitt 2); b) Feststellungen dazu, dass sich die Geldpolitik der EZB dank ihrer mittelfristigen Orientierung nur schrittweise auf Wachstum und Beschäftigung – beides Bereiche, die unter das sekundäre Ziel der EZB fallen – auswirkte (Kapitel 1 Abschnitt 2); c) Verweise darauf, dass die EZB ihre Ankäufe von Unternehmensanleihen weiterhin zugunsten von Emittenten mit einer besseren Klimabilanz ausrichtete (Kapitel 2 Abschnitt 1, 2 und 3) und klimabezogene Finanzinformationen zu ihrem Unternehmensanleiheportfolio im Rahmen des CSPP und des PEPP offenlegte (Kapitel 2 Abschnitt 2); d) eine zusammenfassende Beurteilung der Banken und des Finanzsystems, eine Erläuterung, welche Faktoren die Finanzstabilität stärken bzw. schwächen (Kapitel 3), sowie Berichte zu den jüngsten EZB-Forschungsarbeiten zur Quantifizierung von Zielkonflikten zwischen Finanzstabilität und Geldpolitik in Zeiten hoher Inflation (Kasten 7); und e) einen Überblick zu den Anstrengungen und Fortschritten der EZB im Bereich Klima und Umweltschutz (Kapitel 11 Abschnitt 5).
11 Förderung von guter Governance und sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit
ESG-Themen (Environmental, Social, Governance) spielen für die Arbeit der EZB eine wichtige Rolle. Als öffentliche Institution muss sie zum Beispiel Rechenschaft gegenüber dem Europäischen Parlament als der gewählten Vertretung der EU-Bevölkerung ablegen. Der Dialog mit unterschiedlichen Zielgruppen, höchste ethische Standards und Transparenz fallen genauso in diesen Bereich wie das Empowerment und Wohlbefinden ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Außerdem untersucht die EZB die von Klima und Umwelt ausgehenden Auswirkungen und Risiken.
11.1 Umwelt, Soziales und Governance – Neuerungen 2023
EZB setzte 2023 ihre Arbeit in den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance fort
Dieser Abschnitt gibt einen Überblick zu den wichtigsten Entwicklungen des Berichtsjahrs im Bereich ESG. Weitere Informationen finden sich in anderen Abschnitten dieses Jahresberichts sowie auf der Website der EZB (siehe Tabelle 11.1).
Als europäische Institution arbeitete die EZB 2023 an der weiteren Stärkung ihres Governance-Rahmens sowie an größerer Transparenz und Bürgernähe (siehe Kapitel 11 Abschnitt 2 und 3). So wurde u. a. die europäische und internationale Zusammenarbeit im Bereich Ethik, Integrität und Verhaltensregeln weiter ausgebaut, nicht zuletzt, um dem wachsenden öffentlichen Interesse an diesen Themen Rechnung zu tragen (siehe Kapitel 11 Abschnitt 2).[90] In Kapitel 11 Abschnitt 3 geht es um die konzertierten Anstrengungen der EZB, in Zeiten hoher Inflation verschiedenen Zielgruppen ihre Maßnahmen nachvollziehbar zu erläutern und Sorgen über die Zukunft unserer Währung auszuräumen. In Kapitel 11 Abschnitt 4 werden die wichtigsten Entwicklungen im Personalmanagement der EZB vorgestellt, darunter Neuerungen wie die Ernennung einer Beauftragten für Diversität und Inklusion und die Einrichtung einer Mediationsstelle. Abschließend geht es in Kapitel 11 Abschnitt 5 um die Arbeit der EZB zu Klima- und Umweltthemen. Hier werden auch einschlägige Publikationen zu diesem Thema vorgestellt.
Tabelle 11.1
Links zu Informationen auf der Website der EZB
Klimarisiken werden laufend in den Risikomanagementrahmen der EZB integriert
Die EZB berücksichtigt ESG-Risiken in ihren Rahmenwerken zur Steuerung finanzieller und nichtfinanzieller Risiken, wie im Jahresabschluss 2023 im Abschnitt „Risikomanagement“ beschrieben.
Seit 2022 werden regelmäßige Klimastresstests durchgeführt. Diese Maßnahme ist Teil der schrittweisen Einbeziehung klimabezogener Risiken in den Risikomanagementrahmen der EZB. Bei ihrem ersten Stresstest zu Klimarisiken in der Bilanz des Eurosystems untersuchte die EZB, inwieweit finanzielle Risiken des Eurosystems vom Klimawandel beeinflusst werden. Dadurch kann das Eurosystem Klimarisiken nun besser bewerten. Die Ergebnisse des Stresstests lieferten eine erste Schätzung der Auswirkungen, die Klimarisiken auf die Bilanz der EZB haben.
11.2 Ethisches Verhalten und Integrität weiter stärken
Sensibilisierung für Fragen der Ethik und Integrität hatte 2023 weiterhin hohe Priorität
Die in der EZB eingerichtete Stabsstelle Compliance und Governance (CGO) legt angemessene Ethik- und Governance-Regeln fest und überwacht deren Einhaltung. Um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesem Bereich noch stärker zu sensibilisieren, wurden im Berichtsjahr neue Initiativen umgesetzt, darunter Einführungskurse und E-Learning-Programme für Newcomer, Auffrischungskurse für langjährige Belegschaftsmitglieder sowie auf bestimmte Geschäftsbereiche zugeschnittene Schulungsangebote. In den Wochen rund um den Weltethiktag wurden darüber hinaus verschiedene externe Aktionen organisiert, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EZB auf die Notwendigkeit hinzuweisen, sich an die Ethikregeln zu halten, und die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass sich die EZB intensiv mit diesen Themen beschäftigt. Die CGO-Stabsstelle hat ihre Prozesse weiter verbessert und gestrafft. Sie hat Möglichkeiten für die Belegschaft geschaffen, sich in ethischen Fragen beraten zu lassen, und weiter dafür gesorgt, dass die Ethikstandards bei der EZB eingehalten werden.
Die verstärkte Sensibilisierung in den Bereichen Ethik und Integrität sowie der vereinfachte Zugang zu Beratung in ethischen Fragen haben im Berichtsjahr dazu geführt, dass die Anfragen aus der Belegschaft deutlich von 1 690 im Jahr 2022 auf 2 767 gestiegen sind (siehe Abbildung 11.1).
Die mithilfe eines externen Wirtschaftsprüfungsunternehmens durchgeführten Compliance-Prüfungen bestätigten, dass die Vorschriften für private Finanztransaktionen von den Mitgliedern der Belegschaft und der hochrangigen Gremien der EZB insgesamt eingehalten werden.
Abbildung 11.1
Übersicht zu Anfragen aus der EZB-Belegschaft im Jahr 2023
Ein unabhängiger Ethikausschuss ergänzt die Governance-Struktur der EZB. Er berät die hochrangigen Funktionsträger der EZB in ethischen Fragen, vor allem im Zusammenhang mit externen Tätigkeiten und der Erwerbstätigkeit nach Niederlegung ihres Amtes, und prüft ihre Interessenerklärungen. Der Ethikausschuss beobachtet außerdem die Entwicklungen im Bereich Ethik und Verhaltensregeln auf europäischer und internationaler Ebene und spricht Empfehlungen zu sinnvollen Aktualisierungen des Ethikrahmens für hochrangige EZB-Funktionsträger aus, wie zuletzt zur Verbesserung der Regeln für private Finanztransaktionen.
Der Ethik- und Compliance-Ausschuss unterstützte die nationalen Zentralbanken und die nationalen zuständigen Behörden weiterhin bei der Umsetzung der 2021 verabschiedeten Ethikleitlinie und der konsequenten und einheitlichen Auslegung der Ethikstandards im gesamten Eurosystem. Um die Vorteile unterschiedlicher Perspektiven bestmöglich nutzen zu können, organisierte der Ausschuss darüber hinaus Veranstaltungen zu Themen von gemeinsamem Interesse, an denen mehr als 50 verschiedene öffentliche Einrichtungen und Organisationen teilnahmen.
Auf europäischer Ebene beteiligte sich die EZB weiterhin an den laufenden interinstitutionellen Verhandlungen zur Einrichtung eines gemeinsamen unabhängigen Ethikgremiums für alle EU-Institutionen.
Auf internationaler Ebene engagierte sie sich im Ethiknetzwerk multilateraler Organisationen, wo sie weiterhin den stellvertretenden Vorsitz innehatte und sich auch durch ihre Sitzungs- und Jahrestagungsbeiträge aktiv in den Wissensaustausch und die Definition einheitlicher Standards einbrachte. Die EZB lieferte 2023 auch Beiträge zur ersten Überprüfung der Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Korruption durch die EU.
11.3 Kommunikation und Transparenz der EZB-Maßnahmen
Fordernde Rahmenbedingungen für die Kommunikation der EZB
Das Kommunikationsumfeld blieb für die EZB 2023 herausfordernd: Die Inflation ging zwar zurück, war aber immer noch viel zu hoch, und in der Wirtschaft wurden zunehmend die Auswirkungen der geldpolitischen Straffung spürbar. In Zeiten größter Unsicherheit, wenn Menschen sich Sorgen machen, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen, muss die EZB der Bevölkerung und der Wirtschaft primär ihre Entschlossenheit signalisieren, die Inflation wieder auf den Zielwert zurückzuführen. Gleichzeitig muss die EZB vermitteln, dass sie dazu aufgrund ihres geldpolitischen Instrumentariums auch in der Lage ist.
EZB setzte auf eingehendes Erklären von Entscheidungen
Die EZB intensivierte daher 2023 die Kommunikationsmaßnahmen rund um ihre geldpolitischen Entscheidungen. Die geldpolitische Straffung führte im Lauf des Jahres – wie beabsichtigt – zu einer Abkühlung der Nachfrage. Vor diesem Hintergrund war es wichtig, die Beschlüsse der EZB zu erläutern und erneut zu betonen, dass das Mandat der EZB vorrangig die Bekämpfung der Inflation ist. Neben zahlreichen öffentlichen Auftritten der EZB-Spitze wurde in mehreren Blogposts der EZB erläutert, wie sich die Inflation auf die Realeinkommen ausgewirkt hat und wie wichtig strukturpolitische Maßnahmen auf nationaler Ebene für die Bekämpfung der Inflation sind. Außerdem wurden im EZB-Blog Analyseergebnisse zu den verzeichneten Höchstständen bei der Erwerbsbeteiligung präsentiert. Mehrere EZB-Podcast-Folgen erläuterten die Faktoren, die die Inflation in die Höhe treiben, und im Sommer wurde im Rahmen einer eigens konzipierten Podcast-Summer-School die Rolle der EZB bei der Gewährleistung stabiler Preise erklärt.
Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung erfordert Kommunikation auf Augenhöhe
Gleichzeitig musste die EZB die berechtigte Frage beantworten, warum sie den Inflationsschub nicht vorhergesehen und mit ihren gesamtwirtschaftlichen Projektionen danebengelegen hatte. Klarheit und Genauigkeit der Projektionen des Eurosystems sind besonders wichtig, um Erwartungen zu verankern und die Glaubwürdigkeit der EZB-Politik zu stärken. Zudem war es notwendig, die verschiedenen Ursachen für die Unsicherheit zu erklären und durch Kommunikation auf Augenhöhe wieder Vertrauen herzustellen.
Bilanzverluste der EZB und der Zentralbanken des Eurosystems in den richtigen Kontext gesetzt
Im Jahr 2023 sahen sich die EZB und andere Zentralbanken vor allem aufgrund umfangreicher Wertpapierankäufe des Eurosystems infolge früherer geldpolitischer Beschlüsse mit Bilanzverlusten konfrontiert. Die EZB bemühte sich daher insbesondere, die folgende Frage klar zu beantworten: Wie kommen Gewinne und Verluste bei der EZB und den nationalen Zentralbanken zustande? So wurde diesem Thema zum Beispiel ein Beitrag in der Online-Rubrik „Wissenswertes“ gewidmet. Dabei ging es darum, die Bilanzentwicklung über einen längeren Zeitraum zu betrachten – zuvor waren viele Jahre lang erhebliche Gewinne verzeichnet worden – und erneut zu betonen, dass die Aufgabe der EZB darin besteht, geldpolitische Entscheidungen im Interesse der Preisstabilität zu treffen, und nicht darin, Profite zu erzielen.
Auch die Zukunft unserer Währung stand 2023 im Mittelpunkt besonderer Kommunikationsinitiativen der EZB, wobei sowohl das Euro-Bargeld als auch ein möglicher digitaler Euro thematisiert wurden.
Gestaltung der nächsten Euro-Banknotenserie in Arbeit – EZB beteiligte Bevölkerung am Designprozess
Die EZB hat beschlossen, die breite Öffentlichkeit am Designprozess für die dritte Euro-Banknotenserie zu beteiligen. Zu diesem Zweck wurden die Menschen im gesamten Euro-Währungsgebiet eingeladen, an einer Online-Umfrage zu den Themen der nächsten Banknotenserie teilzunehmen. Mehr als 365 000 Menschen nutzten die Gelegenheit, ihre Favoriten unter den sieben präsentierten Designoptionen auszuwählen. Ihre Meinung floss so direkt in die Entscheidung des EZB-Rats für die Motive „Europäische Kultur“ sowie „Flüsse und Vögel“ ein. Die Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit rund um die dritte Banknotenserie unterstrich zudem, dass die EZB und das Eurosystem unverändert am Bargeld festhalten.
Bargeld bleibt, möglicherweise ergänzt um einen digitalen Euro
Ein klares Bekenntnis zum Bargeld war 2023 besonders wichtig, da die EZB sich auf die mögliche Einführung eines digitalen Euro vorbereitet.
Im Oktober 2023 beschloss der EZB-Rat, die Untersuchungsphase des Projekts zum digitalen Euro abzuschließen und die Vorbereitungsphase zu starten. Begleitet wurde dieser Schritt von einer mehrsprachigen Informationskampagne, die sich über eine Vielzahl von Kanälen und Produkten über alle Euro-Länder erstreckte. Zu nennen sind hier zum Beispiel eine offizielle LinkedIn-Seite zum digitalen Euro und ein eigener Websitebereich zum digitalen Euro. Im Mittelpunkt der Kampagne standen die Vorteile und die Wichtigkeit der Einführung eines digitalen Euro. Datenschutzbedenken wurden ebenso angesprochen wie die Rolle des Euro-Bargelds und des digitalen Euro als gesetzliches Zahlungsmittel. Die EZB richtete sich dabei nicht nur an Interessengruppen, Politik und zivilgesellschaftliche Organisationen, sondern ging auch einen innovativen Weg im Online-Bereich, indem sie auf neue Multiplikatoren wie Content Creators setzte. So sollten im Geld- und Finanzsektor aktive digitale Unternehmen dafür gewonnen werden, die Gründe, die für einen digitalen Euro sprechen, sowie seine Funktionen unter den Menschen, die ihre Dienste nutzen, bekannt zu machen.
Durch diese vielfältigen Initiativen und der anschließenden breiten Medienberichterstattung gelang es, Informationen rund um den digitalen Euro zu verbreiten und so ein besseres Verständnis des Projekts zu fördern. Analysen zeigen, dass anfangs in Europa zwar die Jüngeren stärker am digitalen Euro interessiert waren, inzwischen aber Menschen in allen Altersgruppen mehr Bewusstsein und Verständnis für das Vorhaben entwickelt haben.
2023 feierte die EZB auch ihr 25-Jahr-Jubiläum und lud aus diesem Anlass zum Festakt. Unter den Gästen waren führende Vertreterinnen und Vertreter der EU und des EZB-Sitzlandes Deutschland sowie anderer Euro-Länder. Mit Jean-Claude Trichet und Mario Draghi fanden sich auch ehemalige Präsidenten der EZB ein. Zum Jahreswechsel 2023/2024 blickte die EZB gemeinsam mit anderen EU-Institutionen auch auf 25 Jahre Euro zurück. Diese historischen Meilensteine boten der EZB Gelegenheit, die Erfolge der gemeinsamen Währung und deren Vorteile für die Menschen in Europa in den Vordergrund zu rücken. Schließlich gilt der Euro auf der ganzen Welt als Stabilitätsanker und Symbol der europäischen Einheit.
Mit der Social-Media-Kampagne „Stabilität – genau unser Ding“ erreichte die EZB auch Jüngere
Unter dem Motto Stabilität – genau unser Ding lancierte die EZB 2023 eine Social-Media-Kampagne, die speziell auf jüngere Menschen zugeschnitten war. Interaktiv und direkt wurden zentrale Aspekte der Arbeit der EZB vermittelt, z. B. das Preisstabilitätsziel, die Rolle der Bankenaufsicht und die Auswirkungen der Entscheidungen der EZB auf das tägliche Leben. Mit den Posts im Rahmen der Kampagne wurden 166 Millionen Klicks generiert und 43 Millionen Menschen erreicht.
Mehr Anträge auf Einsichtnahme als 2022; zuletzt stärker gefragt: Dokumente zu institutionellen Themen und Governance
Als zentraler Bestandteil der Transparenzpolitik der EZB soll auch weiterhin der öffentliche Zugang zu EZB-Dokumenten bestehen bleiben. Damit wird die Offenheit der EZB gefördert und ihre demokratische Legitimität gestärkt.
Im Jahr 2023 gingen bei der EZB mehr Anträge von Bürgerinnen und Bürgern auf Einsichtnahme in EZB-Dokumente ein als im Jahr davor (73 verglichen mit 63 im Jahr 2022). Die Anfragen deckten wieder ein breites Themenspektrum ab, darunter Aufsichtsfragen bzw. in der Öffentlichkeit breit wahrgenommene Initiativen wie das Projekt zum digitalen Euro. Deutlich zugenommen haben die Anträge auf Offenlegung von Dokumenten zu institutionellen Themen und Governance, was das steigende Interesse der Öffentlichkeit an diesen Themen widerspiegelt.
Im Einklang mit dem Bekenntnis der EZB zu Transparenz wurden Dokumente, die aufgrund von Anträgen freigegeben wurden, über das öffentliche Dokumentenverzeichnis der EZB allgemein zugänglich gemacht. Im Sinne noch größerer Transparenz veröffentlichte die EZB darüber hinaus einen Überblick über die seit 2004 nachgefragten Dokumente bzw. Themen.
Aus Sicht der Europäischen Ombudsstelle gab es in Bezug auf die Abwicklung von Anträgen auf öffentliche Einsichtnahme keinen Grund zu Beanstandungen.
Die Initiativen der EZB zur Förderung von Transparenz, Offenheit und Bürgernähe wurden von der Europäischen Ombudsstelle sogar besonders gewürdigt: 2023 schaffte es die EZB in der Kategorie Kommunikation mit dem Projekt „Unterstützung der EU-Bürger beim Verständnis der Geldpolitik in Zeiten hoher Inflation“ in die engere Auswahl für den European Ombudsman Award for Good Administration.
11.4 Gezieltes Empowerment ermöglicht Höchstleistungen für Europa
Vor dem Hintergrund der schrittweisen Wiederaufnahme des normalen Bürobetriebs ab 2022 konzentrierte sich die EZB im Berichtsjahr auf Maßnahmen und Programme zur Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, der Personalentwicklung und ihrer Resilienz als Organisation. Im Januar 2023 wurde ein neues Telearbeitsmodell eingeführt, das der Belegschaft (auch den Trainees) mehr Flexibilität ermöglicht. Auch wurde im Berichtsjahr die neue virtuelle Lernplattform EUREKA für alle Institutionen im Europäischen System der Zentralbanken und im Einheitlichen Aufsichtsmechanismus zur Verfügung gestellt, wodurch der Zugang zu Fortbildungs- und Mobilitätsmöglichkeiten weiter verbessert wurde. Im Einklang mit ihrem Ziel, eine Kultur der gelebten Inklusion zu etablieren, ernannte die EZB eine Beauftragte für Diversität und Inklusion und besetzte eine Mediationsstelle.
Arbeitskultur
Neues Modell für Telearbeit umgesetzt
Nach einer Übergangsphase im Jahr 2022 trat am 1. Januar 2023 ein neues Telearbeitsmodell in Kraft. Das neue Modell basiert auf den insgesamt positiven Erfahrungen aus der Zeit, als die meisten Belegschaftsmitglieder pandemiebedingt von zu Hause aus arbeiteten, und bietet den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern größere Flexibilität bei der Telearbeit. An bis zu 110 Tagen im Jahr kann nun von zu Hause aus gearbeitet werden, sofern dies mit den aktuell zu erledigenden Aufgaben vereinbar ist.
Schaubild 11.1
Telearbeit bei der EZB im Jahr 2023
Schulungsangebot soll Kultur gegenseitiger Wertschätzung stabil verankern
Da die EZB Wert auf das Wohlbefinden und den Input ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter legt, führte sie Anfang 2023 eine Umfrage zum Stimmungsbild in der Belegschaft durch. Es zeigte sich, dass sich die Belegschaft weiterhin stark mit der Arbeit der EZB identifiziert und sich ihr sehr verpflichtet und verbunden fühlt. Wir sind allerdings entschlossen, die Arbeitskultur weiter zu stärken. In Anknüpfung an die Umfrage sprach sich das Direktorium für eine Initiative aus, die die Organisationskultur dahingehend stärkt, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter lernen, auf unangemessenes Verhalten wirkungsvoll zu reagieren. Zu diesem Zweck wurden interaktive Workshops zur weiteren Verbesserung der Zusammenarbeit eingeführt, nicht zuletzt, um alle dazu zu ermutigen, Probleme aktiv anzusprechen.
Personalentwicklung
Mobilitätsmöglichkeiten wurden rege genutzt
Personelle Mobilität im ESZB und im SSM wurde im Jahr 2023 großgeschrieben. Mittels EUREKA, der neuen Lernplattform der EZB, wurden die Fortbildungs- und Mobilitätsmöglichkeiten aller Institutionen innerhalb des ESZB und des SSM erstmals zentral erfasst. EUREKA fördert Wissensaustausch und Zusammenarbeit und steht allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der EZB, des ESZB und des SSM zur Verfügung. Zum fünften Mal an den Start ging 2023 das Schuman-Programm; es ermöglichte im Rahmen von 41 Projekten bzw. Entsendungen den Personalaustausch zwischen der EZB, den nationalen zuständigen Behörden (NCAs) und den nationalen Zentralbanken (NZBen). Auch im Rahmen eines eigens für die Bankenaufsicht eingerichteten Programms pflegte die EZB weiterhin den Personalaustausch mit mehreren NCAs und europäischen Institutionen. Ende 2023 liefen neun Austauschprojekte mit zwei NCAs (Banco de España, französische Aufsichts- und Abwicklungsbehörde) und einer öffentlichen Einrichtung (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung).
Förderung von Führungsstärke und beruflicher Weiterentwicklung
Die EZB setzte ihr Leadership Growth Programme fort, um Führungskompetenz und wirksame Mitarbeiterführung zu stärken. Darüber hinaus organisierte sie die letzten sieben Durchgänge ihres Women’s Leadership Programme – ein erfolgreiches Programm, das 2014 ins Leben gerufen wurde, um den Anteil von Frauen in Führungspositionen bei der EZB zu erhöhen. Über ein eigens entwickeltes Portal ermöglicht die EZB ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie ihren Trainees außerdem, Mentoring anzubieten bzw. in Anspruch zu nehmen, und bietet ihnen so eine weitere wichtige Entwicklungsmöglichkeit. Bis Ende 2023 wurden auf diesem Weg fast 100 Mentoring-Kontakte hergestellt.
Neue Schlüsselinitiativen in der Aus- und Weiterbildungsstrategie des ESZB und des SSM
Im Rahmen der Aus- und Weiterbildungsstrategie des ESZB und des SSM wurden 2023 weitere wichtige Initiativen auf den Weg gebracht. Die NCAs und NZBen wurden an EUREKA angebunden und mit der Nutzung vertraut gemacht, wodurch nun vielfältige Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten im gesamten ESZB und SSM zur Verfügung stehen. Im Oktober 2023 fiel der Startschuss für das hochrangige Central Banking & Banking Supervision Executive Education Programme, und im Februar bzw. November fanden zwei erfolgreiche Hackathons mit Teilnehmenden aus dem gesamten ESZB und SSM statt. Der erste war dem Thema dezentrales Finanzwesen gewidmet, der zweite fand auf dem Gelände der EZB statt und beschäftigte sich mit dem Klimawandel.
Entgelt für Trainees angehoben
Mit ihrem Praktikumsprogramm fördert die EZB den Gedanken der europäischen Integration unter jungen Studierenden und bietet ihnen die Möglichkeit, praktische Erfahrungen zu sammeln und die Kenntnisse, die sie während ihres Studiums erworben haben, in die Praxis umzusetzen. Gleichzeitig profitiert die EZB von neuesten Erkenntnissen aus der Wissenschaft sowie von der Begeisterung und den Ideen, die die Studentinnen und Studenten mitbringen. Zum 1. Dezember 2023 wurde das Entgelt für Trainees auf 1 170 € pro Monat erhöht bzw. auf 2 120 € für Studierende, die bereits mindestens zwei Jahre eines PhD-Studiums absolviert haben (und sich auf eine Praktikumsstelle beworben haben, die eine entsprechende Qualifikation erfordert). Trainees erhalten auch Wohnunterstützung.
Diversität und Inklusion
EZB setzt sich weiter für Diversität und Inklusion ein
Eine Arbeitskultur mit gelebter Inklusion, die die Vielfalt der Gesellschaft in Europa angemessen abbildet, ist ein Langzeitprojekt, das auf einer soliden institutionellen Basis aufbauen muss. Daher fördert die EZB sechs von der Belegschaft getragene Diversitäts- und Inklusions-Netzwerke und bietet Fortbildungen zu Inklusion für Belegschaftsmitglieder, Teams und Führungskräfte an. Zur Förderung einer von Inklusion, gegenseitiger Wertschätzung und psychologischer Sicherheit geprägten Unternehmenskultur wurden 2023 zwei neue Funktionen geschaffen: Künftig steht ein Mediator bzw. eine Mediatorin zur Verfügung, um Spannungen am Arbeitsplatz durch begleiteten Dialog zu verhindern bzw. aufzulösen. Des Weiteren wurde eine Beratungsposition geschaffen (HR D&I Adviser), um personelle Themen und Fragen der Arbeitskultur stärker aus der Perspektive der Diversität und der Inklusion zu beleuchten.
Gender-Diversität und Intersektionalität als wichtige Prioritäten
Die EZB achtet auf eine alle Aspekte der Diversität berücksichtigende und Inklusion fördernde Arbeitskultur. 2023 wurde dazu besonderes Augenmerk auf Gender-Diversität gelegt. Dies zeigte sich in der erfolgreichen Zertifizierung der EZB gemäß den Arbeitsplatzstandards EDGE Move und EDGEplus, den Fortschritten der EZB bei der Verwirklichung der Zielvorgaben zum Frauenanteil für den Zeitraum 2020-2026, der Ausweitung der bezahlten Elternzeit auf alle Elternteile, der versuchsweisen Einführung eines Praktikums für Menschen im Autismusspektrum, Sensibilisierungsinitiativen und Veranstaltungen zu Themen wie ethnische Zugehörigkeit, Solidarisierung, Behinderung und Inklusion von LGBT+.
Weiterhin gezielte Öffentlichkeitsarbeit und Talentakquise
Um europäische Spitzentalente in ihre Reihen zu holen, nahm die EZB an unterschiedlichen Berufsmessen für unterrepräsentierte Gruppen teil, so z. B. an der Karrieremesse von ADAN (Afro Deutsches Akademiker Netzwerk), der größten Karrieremesse für Schwarze und Persons of Colour in Europa, der queeren Job- und Karrieremesse Sticks & Stones und der herCAREER Expo zur Förderung des beruflichen Aufstiegs von Frauen. Um verstärkt Kandidatinnen und Kandidaten mit Behinderungen anzusprechen, bewarb die EZB ihre freien Stellen auch auf der MyAbility-Plattform. Zur Förderung von Frauen aus weniger einkommensstarken Verhältnissen bot die EZB auch im Berichtsjahr Stipendien an (ECB Scholarship for Women). Darüber hinaus vergab die EZB als Zeichen ihrer anhaltenden Solidarität und Unterstützung neue Stipendien an 15 ukrainische Studierende, die ein Masterstudium in der Ukraine absolvieren.
Schaubild 11.2
Zahlen und Fakten zur EZB-Belegschaft
11.5 Fortschritte im Bereich Umwelt und Klimaschutz
Zur Erfüllung ihres Mandats braucht die EZB Klarheit darüber, wie sich der Klimawandel auf Wirtschaft und Finanzsektor auswirkt und was es dort zur Ökologisierung braucht
Der Klimawandel schreitet voran. Je länger wir mit der Verringerung unserer Emissionen und dem Übergang zu einer grüneren Wirtschaft warten, desto höher werden die damit verbundenen Kosten.[91],[92] Trotz der erzielten Fortschritte ist die Welt immer noch nicht auf dem richtigen Weg, um den weltweiten Temperaturanstieg auf 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.[93] Die Risiken im Zusammenhang mit dem Klimawandel bzw. einer abrupten Umstellung der Wirtschaft nehmen zu. Dies hat auch Auswirkungen auf die Geldpolitik und die Stabilität des Finanz- und Bankensystems. Damit die EZB ihr Mandat erfüllen kann, ist es daher von entscheidender Bedeutung, dass sie sich mit den Auswirkungen dieser Risiken für die Wirtschaft und den Finanzsektor auseinandersetzt.
Daher setzte die EZB die Arbeit an ihrer Klimaagenda fort. Das Kompetenzzentrum Klimawandel koordinierte dabei in einschlägigen Ausschüssen und Foren die Zusammenarbeit mit dem Eurosystem sowie die Kooperation mit internen Akteurinnen und Akteuren. Bei der Ausgestaltung ihrer Strategie, ihrer Projekte und ihrer Maßnahmen berücksichtigte die EZB im Berichtsjahr weiterhin die Ziele und ökologischen Erwägungen des Europäischen Klimagesetzes.
EZB legt Klima- und Umweltplan 2024-2025 vor
Im Berichtsjahr erarbeitete die EZB ihren Klima- und Umweltplan für 2024-2025, der die geplanten Aktivitäten zur Erreichung ihrer strategischen Klimaziele enthält. Es wurden drei Schwerpunktbereiche festgelegt: Bewältigung des Übergangs zu einer grünen Wirtschaft; Entwicklung eines besseren Verständnisses der wachsenden physischen Auswirkungen des Klimawandels; und vermehrte Anstrengungen in der Arbeit zu umweltbezogenen Risiken.
Besondere Erfolge in der Klimaarbeit
Im Berichtsjahr gab es in vielfältigen Arbeitsbereichen der EZB sichtbare Fortschritte (siehe Abbildung 11.3).
Im Bereich der Geldpolitik veröffentlichte die EZB im März 2023 die ersten Offenlegungen zu klimabezogenen Finanzinformationen in Bezug auf das Unternehmensanleiheportfolio des Eurosystems. Infolge der stärkeren ökologischen Ausrichtung der Wiederanlagen ab Oktober 2022 verringerte sich deren CO2-Intensität in den ersten zwölf Monaten um mehr als 65 %. Im Zuge der Verringerung der Wertpapierbestände verstärkte der EZB-Rat im Februar die Ausrichtung der zur Wiederanlage verbleibenden Beträge auf Emittenten mit einer besseren Klimaleistung. Seit der Einstellung der Wiederanlage von Tilgungsbeträgen aus dem Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP) im Juli wird die verstärkte Ausrichtung auf grünere Emittenten im Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP) fortgesetzt. Die erste Überprüfung der Klima-Score-Methodik im Oktober 2023 ergab, dass die damit angestrebten Ziele erreicht wurden und die wesentlichen Elemente der Methodik beibehalten werden sollen. Die Dekarbonisierung des Bestands an Wertpapieren des Unternehmenssektors wird voraussichtlich im gesamten Jahr 2024 fortgesetzt. Damit wird ein Beitrag zur Erreichung der Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens geleistet. Darüber hinaus setzte das Eurosystem seine Vorarbeiten zur Einbeziehung von Klimaaspekten in den Sicherheitenrahmen sowie zur Verbesserung der Bewertung und Steuerung von Risiken fort.
Schaubild 11.3
Die wichtigsten Klimamaßnahmen im Überblick
EZB untersucht wirtschaftliche und finanzielle Auswirkungen des Klimawandels und deren Bedeutung für ihre Arbeit
Die Aufklärungsarbeit gegenüber Politik, Finanzsektor und Öffentlichkeit hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen des Klimawandels und deren Relevanz für die Aufgaben der EZB wurde im Berichtsjahr von umfangreichen Analysen begleitet.[94] So setzte die EZB im Jahr 2023 die Untersuchung der makroökonomischen Implikationen des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft und insbesondere der Auswirkungen klimabezogener finanzpolitischer Maßnahmen auf die gesamtwirtschaftlichen Euroraum-Projektionen von Fachleuten des Eurosystems/der EZB fort. Eine modellbasierte Analyse etwa ergab, dass die CO2-Bepreisung geringfügige negative Auswirkungen auf die Wirtschaft hat. Ergebnisse der Umfrage über den Zugang von Unternehmen zu Finanzmitteln (SAFE) sowie der Umfrage zum Kreditgeschäft im Euroraum deuten darauf hin, dass der Unternehmenssektor im Euroraum in den Umstieg auf eine grünere Wirtschaft investiert, und dass bei CO2-intensiven Firmen ohne glaubwürdigen Ökologisierungsplan strengere Kreditkonditionen angewendet werden. Jüngere Analysen in Hinblick auf Implikationen für die Geldpolitik untersuchten auch die Auswirkungen des Klimawandels auf den geldpolitischen Transmissionsmechanismus. Dabei wurde festgestellt, dass der grüne Wandel zu höheren Kreditkosten und geringerer Kreditvergabe für alle Unternehmen führt. Allerdings fällt dieser Effekt für Unternehmen, die geringere Emissionen ausweisen bzw. sich zur Dekarbonisierung verpflichten, geringer aus. Mehrere Forschungsarbeiten untersuchten den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Inflation. Dabei wurde festgestellt, dass höhere Temperaturen die Teuerung bei Nahrungsmitteln erhöhen können, gleichzeitig aber durch heißere Sommer bedingte nachfrageseitige Effekte die Inflation längerfristig dämpfen können. Auch zeigte sich, dass die Auswirkungen in den einzelnen Volkswirtschaften des Euroraums asymmetrisch sind (siehe Kasten 1). Auch ihr Wissen über den Einfluss des Klimawandels auf das Produktionspotenzial konnte die EZB vertiefen.
Um die Verfügbarkeit von Klimadaten zu verbessern, veröffentlichte das ESZB klimabezogene Indikatoren zu nachhaltigen Finanzinstrumenten, Treibhausgasemissionen und physischen Risiken (siehe Kapitel 7 Abschnitt 2).
EZB vertieft ihr Verständnis klimabezogener Risiken für Wirtschaft und Finanzsystem und entwickelt angemessene makroprudenzielle Maßnahmen
Die EZB hat ferner ihre Stresstestmethodik weiterentwickelt, um einerseits die Widerstandsfähigkeit der Gesamtwirtschaft in unterschiedlichen Szenarien der grünen Transformation zu untersuchen; andererseits soll auch ermittelt werden, inwieweit die beaufsichtigten Banken auf finanzielle und wirtschaftliche Schocks vorbereitet sind, die sich aus Klimarisiken ergeben können. Der von der EZB geleitete Workstream für Szenariodesign und ‑analyse im Network for Greening the Financial System (NGFS) veröffentlichte 2023 zum vierten Mal seine langfristigen makrofinanziellen Klimaszenarien. Diese bieten einen ersten gemeinsamen Referenzrahmen für die Analyse von Klimarisiken für die Wirtschaft und das Finanzsystem. Der Rahmen trägt der Unsicherheit und den Grenzen der Klima- und Wirtschaftsmodellierung Rechnung, z. B. in Bezug auf Kipppunkte. In Zusammenarbeit mit der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) entwickelte die EZB politische Handlungsoptionen zur Verkleinerung der Lücke in der Klimaversicherung, da derzeit nur ein Viertel der klimabedingten Katastrophenschäden in der EU versichert sind. Außerdem analysierte die EZB im Berichtsjahr Risiken des Klimawandels für Staaten, die sich negativ auf Finanzstabilität und Haushaltsausgaben auswirken können. Ende 2023 veröffentlichten die EZB und der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) einen Bericht zu den wichtigsten Finanzstabilitätsindikatoren. Darin wird auch ein makroprudenzieller Rahmen zur Erfassung von Klimarisiken skizziert und darauf hingewiesen, dass eine hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von natürlichen Ökosystemen klimabedingte Finanzstabilitätsrisiken verschärfen könnte.
Die im Rahmen des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus beaufsichtigten Kreditinstitute erzielten bei ihrem klima- und umweltbezogenen Risikomanagement zwar gute Fortschritte, doch waren einige Institute im März 2023 noch nicht so weit wie erwartet. Die EZB wird die Fortschritte der Banken weiterhin genau beobachten und erforderlichenfalls Durchsetzungsmaßnahmen ergreifen.[95]
EZB verbessert Sicherheit und Nachhaltigkeit von Euro-Banknoten
Im Laufe der Jahre hat die EZB die Sicherheit und Nachhaltigkeit der Euro-Banknoten über den gesamten Bargeldkreislauf hinweg kontinuierlich verbessert.[96] 2023 veröffentlichte sie die Studie über den ökologischen Fußabdruck von Euro-Banknoten als Zahlungsmittel. Die künftigen Euro-Banknoten werden im Einklang mit den Grundsätzen des Ökodesigns entwickelt, d. h., in allen Phasen des Entwicklungsprozesses werden Umweltaspekte berücksichtigt (siehe Kapitel 6 Abschnitt 2).
EZB fördert nachhaltiges Finanzwesen auf EU- und internationaler Ebene durch Analysen und Diskussionsbeiträge
Seit 2021 leisten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der EZB Beiträge zu Schulungen und multilateralen technischen Workshops mit Zentralbanken und Interessenträgern außerhalb der EU. Um die Klimaagenda voranzubringen und von regelmäßigem Austausch zu profitieren, beteiligte sich die EZB auch an zahlreichen Arbeitsgruppen und Veranstaltungen mit Zentralbanken und anderen Institutionen bzw. Foren, wie etwa dem NGFS, dem Finanzstabilitätsrat, dem Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, den Europäischen Aufsichtsbehörden und dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, den G 7, den G 20 und dem Internationalen Währungsfonds.
Innovative Forschung zu umweltbezogenen Risiken und dem Klima-Umwelt-Nexus sowie deren Auswirkungen auf die Wirtschaft
Innovative Forschungsarbeiten zu umweltbezogenen Risiken zeigten, dass die Zerstörung der Ökosysteme die Unternehmen vor Herausforderungen stellen wird, die auch die Banken betreffen könnten. Denn fast 75 % der Unternehmenskredite im Euroraum (fast 3,24 Billionen €) werden an Kreditnehmer vergeben, die in hohem Maße von Ökosystemleistungen abhängig sind. Im Berichtsjahr befasste sich die EZB auch erstmals mit Transitionsrisiken und dem Klima-Umwelt-Nexus. Klima- und Landnutzungswandel sind Hauptursachen für den Rückgang der Artenvielfalt. Der Schaden, den Unternehmen im Euroraum in diesem Zusammenhang verursachen, entspricht einem Verlust von 582 Millionen Hektar an unversehrtem Lebensraum weltweit. In der Studie wird hervorgehoben, wie wichtig es ist, den Klimawandel und den Verlust natürlicher Ressourcen in die Risikobewertungsrahmen einzubeziehen, da diese untrennbar miteinander verbunden sind.
EZB verbessert Umweltbilanz des täglichen Betriebs und der nicht geldpolitischen Portfolios
Zur Ergänzung ihrer jährlichen Umwelterklärung begann die EZB im März 2023 mit der Veröffentlichung jährlicher Offenlegungen zu klimabezogenen Finanzinformationen in Bezug auf nicht geldpolitische Portfolios. Zusammen bieten diese Veröffentlichungen einen Überblick zu den Umweltauswirkungen des EZB-Betriebs und zum CO2-Fußabdruck der durch sie finanzierten Emissionen sowie zu den entsprechenden Zielwerten.[97] Aktualisierte Daten zur Ökobilanz der EZB im Jahr 2023 werden im Lauf des Jahres 2024 zur Verfügung gestellt.
Kasten 9
EZB setzt auf Innovation
Auch im Jahr 2023 erzielte die EZB Fortschritte bei der Entwicklung und Umsetzung innovativer Lösungen, die ihre Prozesse effizienter machen. Digitale Lösungen auf Grundlage von künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen sind in der gesamten Organisation im Einsatz, so zum Beispiel auch Roboter und Chatbots.
Im Zentralbankbereich wurde KI bei der EZB bereits eingesetzt, um das Preissetzungsverhalten und die Inflationsdynamik in der Europäischen Union genauer zu ergründen. So wurden etwa durch Web-Scraping und maschinelles Lernen riesige Mengen von Echtzeitdaten zu einzelnen Produktpreisen erhoben.[98] Im Bereich der Bankenaufsicht hat das 2019 initiierte Programm für Aufsichtstechnologie (SupTech) den Aufsichtsbehörden 14 Instrumente an die Hand gegeben. Diese helfen dabei, große Mengen an quantitativen und qualitativen Daten zu erheben und zu analysieren, Prozesse zu automatisieren, die Zusammenarbeit zu verbessern und KI zu nutzen, um die Analyse im Aufsichtsbereich zu beschleunigen und präziser zu machen.[99]
Die Umsetzung digitaler Projekte bei der EZB setzt ein innovationsfreundliches Umfeld voraus. Neben technologischen Lösungen erfordern Innovationen die Bereitschaft, zu wachsen, die entsprechende Neugier und eine enge Zusammenarbeit innerhalb der gesamten EZB. Zu diesem Zweck haben interdisziplinäre Innovationsteams mit Expertise in den Bereichen IT, Wissensmanagement, Zentralbankwesen und Bankenaufsicht innovative Arbeitskonzepte entwickelt. Diese Konzepte erleichtern das Projektmanagement, die stetige Sondierung und Vorbereitung innovativer Lösungen (Scouting & Incubation) sowie den Wissensaustausch. Auch das digitale Dokumentenverwaltungssystem und die Grundsätze des Informationsmanagements bei der EZB bilden eine solide Basis für die Entwicklung von KI, da auf ihrer Grundlage riesige Mengen strukturierter digitalisierter Dokumente bereitstehen. Darüber hinaus kooperiert die EZB mit global führenden Innovationsschaffenden im öffentlichen und universitären Bereich sowie im Start-up-Sektor und in der Wirtschaft. Dadurch wird Innovation innerhalb der EZB, im Eurosystem und darüber hinaus gestärkt. Insbesondere koordiniert die EZB die Maßnahmen des Eurosystems über dessen „Innov8 Forum“ mit dem BIS Innovation Hub Eurosystem Centre. Letzteres ist ein Gemeinschaftsprojekt der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und sämtlicher Zentralbanken des Eurosystems. Im März 2023 wurden Büros in Frankfurt und Paris eröffnet, die von der Deutschen Bundesbank bzw. der Banque de France zur Verfügung gestellt und unterstützt werden. In diesem Innovationsraum beteiligen sich alle Mitglieder des Innov8 Forum des Eurosystems an einem aktiven Wissensaustausch.
Auch das Direktorium befürwortet den Innovationsgedanken stark. Im Februar 2023 nahmen die Direktoriumsmitglieder erstmals an einem Innovationsforum teil, bei dem eine Auswahl der wichtigsten Innovationsprojekte der EZB an unterschiedlichen Stationen vor Ort live und interaktiv präsentiert wurden.
12 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben Einblicke in ihre Arbeit
Am 1. Juni 1998 nahm die Europäische Zentralbank ihre Tätigkeit als Zentralbank für den Euroraum mit dem klaren Mandat zur Gewährleistung von Preisstabilität auf. Das 25-jährige Jubiläum ihres Bestehens im Jahr 2023 bot Anlass, auf die zahlreichen Errungenschaften der EZB seit ihrer Gründung zurückzublicken. Im Folgenden berichten EZB-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ihre Karriere bei der Vorgängerinstitution der EZB, dem Europäischen Währungsinstitut, begonnen haben, von ihren persönlichen Erfahrungen. Sie erzählen vom Pioniergeist, der in der jungen Institution herrschte, und wie sie persönlich zu den vielen wichtigen Meilensteinen beigetragen haben, während sich die EZB weiterentwickelte und innerhalb kürzester Zeit als eine der den führenden Notenbanken etablierte.
Rita Choudhury, Volkswirtin mit Schwerpunkt Statistik, Senior Team Lead, Generaldirektion Statistik
Meine Laufbahn bei der EZB hat mich auf bemerkenswerte Weise geprägt. Es begann alles mit einem Sprung ins kalte Wasser: neuer Job, neues Land. Ich trat meine Arbeit als junge Forschungsanalystin an, als die EZB eine ganz neue Institution und der Bereich Statistik gerade erst im Aufbau war. Damals hatte die EZB nur ein paar Hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das heißt, wir mussten wirklich anpacken und die verschiedensten Jobs erledigen. Ein typischer Arbeitstag war abwechslungsreich: Ich diskutierte Anforderungen mit Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Politikbereichen, entwarf statistische Berichtsrahmen, programmierte oder schrieb auch mal eine Rede. Die internen Verfahren und Prozesse steckten damals noch in den Kinderschuhen, also kam es oft vor, dass meine kreativen Lösungen rasch umgesetzt wurden – ich war begeistert!
Mit der Weiterentwicklung der EZB als Institution eröffneten sich neue Karrierechancen. Ich habe in den verschiedensten Statistikbereichen gearbeitet und konnte mein Wissen vertiefen und Erfahrungen sammeln. Sehr gerne erinnere ich mich daran, wie ich Besuche bei unseren Counterparts in nationalen Zentralbanken und zuständigen Behörden leitete. Mit diesen Besuchen bauten wir Arbeitsbeziehungen mit den neuen Euro-Ländern auf und unterstützten sie bei ihren Vorbereitungen für die Erfüllung ihrer Meldepflichten.
Derzeit bin ich im neu geschaffenen Data Office tätig. Unsere Aufgabe ist es, das institutionelle Datenmanagement zu optimieren (auch im Hinblick auf künstliche Intelligenz). Wir sind direkt dem Chief Data Officer unterstellt. Außerdem engagiere ich mich im Forum für Diversität und Inklusion. Zwischen diesen Tätigkeiten gibt es viele Überschneidungen. Ich empfinde es als befriedigend, mit unterschiedlichen Gruppen zu arbeiten und das Handeln der EZB in einem größeren Kontext zu formen und mitzubestimmen.
Natürlich gab es auch Rückschläge, wenn man z. B. an den Brexit denkt. Damals herrschte ziemliche Verunsicherung im Hinblick auf unseren Arbeitsplatz hier bei der EZB. Aber letztlich erinnere ich mich doch eher an die Erfolge, was nicht zuletzt der dynamischen Arbeitsumgebung, den motivierten Kolleginnen und Kollegen und den weiterhin vorhandenen Entwicklungsmöglichkeiten zu verdanken ist.
Dimitrios Koukidis, Experte für Lieferantenmanagement, Generaldirektion Kommunikation
Ich erinnere mich sehr gut an die Vorbereitungen für den Festakt zur Gründung der EZB im Juni 1998, denn ich gehörte dem kleinen Organisationsteam für dieses Großereignis an. Der Zusammenhalt war groß, und wir waren mit Begeisterung bei der Sache. Das war in Anbetracht der organisatorischen Herausforderungen rund um die Errichtung einer neuen Institution, die sich rasch etablieren muss, durchaus bemerkenswert. Auch in den Folgejahren arbeitete ich an der Organisation der immer aufwändigeren und zahlreicheren internen und öffentlichen Events mit. Diese Tätigkeit gefiel mir sehr.
Und heute? Ich habe die internen Mobilitätsmöglichkeiten genützt und arbeite nun seit 2016 im Sprachendienst. Mein Aufgabenbereich umfasst Budget, Beschaffung und Lieferantenmanagement im Zusammenhang mit Übersetzungs- und Lektoratsaufträgen; dabei decken wir alle 24 Amtssprachen der EU ab. Diese Support-Bereiche sind wichtig, damit die EZB klar und effektiv mit Expertinnen und Experten sowie mit der breiten Öffentlichkeit kommunizieren kann. Wie in der gesamten EZB kommen auch bei uns neueste Technologien zum Einsatz. So verwenden meine Kolleginnen und Kollegen und ich etwa KI-Anwendungen, um die Effizienz unserer Prozesse zu verbessern.
Wenn ich auf meine vielen spannenden Arbeitsjahre zurückblicke, bin ich stolz auf meinen Beitrag dazu, dass sich die EZB als führende Institution etabliert hat und für rund 350 Millionen Menschen im Euroraum für stabile Preise und ein sicheres Finanzsystem sorgt. Und ich bin auch dankbar dafür, dass es mir in meiner Laufbahn bei der EZB ermöglicht wurde und wird, mich beruflich und persönlich weiterzuentwickeln.
Francesco Mazzaferro, Direktor, Sekretariat des Europäischen Ausschusses für Systemrisiken
Ich sehe das Bild noch vor mir: ich als junger Referent im Changeover Committee, das unter der Leitung von Tommaso Padoa-Schioppa die Umstellung der Märkte von zehn nationalen Währungen auf den Euro am 31. Dezember 1998 Schlag Mitternacht überwachte. Seit ich Mitte 1995 beim Europäischen Währungsinstitut angefangen hatte, war meine Arbeit praktisch nur auf diesen Moment fokussiert gewesen. Naiverweise dachte ich damals, die Arbeit wäre nun erledigt! Ich fürchtete, nach Jahren des leidenschaftlichen Engagements würde nun Routine einkehren. Doch die darauffolgenden zehn Jahre in der neu geschaffenen Generaldirektion Internationale und europäische Beziehungen belehrten mich eines Besseren. Das Interesse an der währungspolitischen Integration war groß, und daher bekam ich die Gelegenheit, innovative gemeinsame Programme zur technischen Zusammenarbeit zwischen dem Eurosystem und den Zentralbanken und Aufsichtsbehörden der Länder der EU-Nachbarschaft aufzusetzen.
Danach konnte ich wieder etwas Neues ausprobieren. Infolge der Finanzkrise wurde der bei der EZB angesiedelte unabhängige Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) gegründet. Anfang 2010 wurde ich zum Projektmanager für die Errichtung des ESRB ernannt, ein Jahr später zum Leiter des ESRB-Sekretariats. Ich gehe noch immer jeden Tag gerne zur Arbeit, wo wir uns in einem breiten institutionellen Rahmen dafür einsetzen, die Resilienz des Finanzsektors zu bewahren. Wir, das sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei den nationalen Zentralbanken und Aufsichtsbehörden und meine großartigen Kolleginnen und Kollegen bei der EZB und den ESRB-Mitgliedsinstitutionen.
Emily Witt, Abteilungsleiterin, Generaldirektion Finanzmarktoperationen
Als ich 1995 beim Europäischen Währungsinstitut anfing, war ich unter den ersten hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die mit den Vorbereitungen für die Einführung des Euro als Gemeinschaftswährung befasst waren. 1998 lernte ich schnell, wie die EZB mit den nationalen Zentralbanken zusammenarbeitet. Meine Tätigkeit begeisterte mich: Ich arbeitete an der Koordination von Tests mit und musste auch dafür sorgen, dass die neu eingerichteten Systeme gut funktionierten, und zwar von der Durchführung geldpolitischer Operationen über den Zahlungsverkehr bis hin zur Erhebung von Statistiken aus ganz Europa.
Bestärkt vom erklärten Ziel der EZB, die interne Mobilität zu fördern, war ich bereits in sechs unterschiedlichen Bereichen tätig: Zahlungsverkehr, IT, Personal, Sekretariat, Statistik und Märkte. Dadurch konnte ich mein Wissen zu den Kernelementen des Zentralbankwesens erweitern und meine Skills im Projekt- und Personalmanagement sowie meine Führungskompetenz ausbauen. Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven und Denkweisen empfinde ich als anregend. Außerdem ist es mir gelungen, stabile Netzwerke und Freundschaften in ganz Europa aufzubauen.
Das Mandat der EZB ist für mich auch Inspiration – ich bin stolz darauf, zum Erfolg von Änderungsmanagement-Initiativen, von denen ganz Europa profitiert, beigetragen zu haben. Ein Beispiel dafür ist die Einführung unseres Dokumenten- und Aktenverwaltungssystems. Es hilft uns, Informationen effizient an unsere Kolleginnen und Kollegen bei den nationalen Zentralbanken weiterzugeben und das institutionelle Gedächtnis der EZB aufzubauen.
Auch mein derzeitiger Job – Leiterin der Abteilung Finanzoperationen – gefällt mir sehr gut. Ich bin gerne nah an den Märkten dran, und der Mix aus alltäglichen Routineaufgaben und interessanten Projekten in Zusammenarbeit mit vielen verschiedenen Geschäftsbereichen innerhalb der EZB, anderen Zentralbanken und externen Partnern hat für mich einen besonderen Reiz. Eines unserer jüngsten Projekte war die Einrichtung von Fiskalagent- und Zahlstellendiensten für die Europäische Kommission.
In meiner Freizeit lese ich gern, auch Kochen und Wandern zählen zu meinen Hobbys. Ich bin aktives Mitglied im EZB-Wanderverein. Dort kann man gut abseits der Arbeit Kolleginnen und Kollegen treffen und auch die Schönheit der Natur in vielen Teilen Europas kennenlernen.
Erweiterter Jahresabschluss
https://www.ecb.europa.eu/press/annual-reports-financial-statements/annual/annual-accounts/html/ecb.annualaccounts2023~f5a98cb02b.de.htmlKonsolidierte Bilanz des Eurosystems zum 31. Dezember 2023
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Alle Rechte vorbehalten. Die Anfertigung von Kopien für Ausbildungszwecke und nichtkommerzielle Zwecke ist mit Quellenangabe gestattet.
Redaktionsschluss für die in diesem Bericht enthaltenen Daten war der 22. März 2024 (auf Ausnahmen wird ausdrücklich hingewiesen).
Zu Terminologie und Abkürzungen siehe auch das Glossar der EZB (liegt nur auf Englisch vor).
HTML ISBN 978-92-899-6708-2, ISSN 1725-2849, doi:10.2866/11772, QB-AA-24-001-DE-Q
In diesem Abschnitt des Jahresberichts wird auf die Weltwirtschaft ohne Euroraum Bezug genommen.
In ihren gesamtwirtschaftlichen Projektionen vom Dezember 2022 sahen die Fachleute des Eurosystems noch einen Rückgang des Wachstums 2023 auf 2,6 %.
Der Durchschnittswert vor der Pandemie bezieht sich auf die Zeit von 2012 bis 2019.
Siehe EZB, Immaterielle Anlagegüter multinationaler Unternehmen in Irland: Auswirkungen auf das BIP des Euroraums, Kasten 2, Wirtschaftsbericht 3/2023.
Nach Redaktionsschluss dieses Berichts wurden die offiziellen Haushaltsergebnisse für 2023 veröffentlicht, die in bestimmten Ländern auf höhere Budgetdefizite als zuvor erwartet schließen lassen.
Der fiskalische Kurs spiegelt die Richtung und das Ausmaß des Fiskalimpulses auf die Volkswirtschaft ohne die automatische Reaktion der öffentlichen Finanzen auf den Konjunkturzyklus wider. Weitere Einzelheiten zu diesem Konzept finden sich in EZB, Der fiskalische Kurs im Euro-Währungsgebiet, Wirtschaftsbericht 4/2016.
In ihrer Stellungnahme vom Juli 2023 begrüßte die EZB die Vorschläge der Europäischen Kommission und brachte einige technische Anmerkungen und Anregungen vor. Diese zielten darauf ab, den neuen Rahmen weiter zu verbessern und sicherzustellen, dass er transparenter und berechenbarer sein wird. Siehe Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 5. Juli 2023 zu einem Vorschlag für eine Reform der wirtschaftspolitischen Steuerung in der Union (CON/2023/20) (ABl. C 290 vom 18.8.2023, S. 17).
Weitere Informationen zur zugrunde liegenden Inflation finden sich in EZB, Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation – ein analytischer Leitfaden für den Euroraum, Kasten 5, Wirtschaftsbericht 5/2023.
Die Lohndrift misst, inwieweit die Entwicklung der tatsächlichen Löhne von jener der Tarifverdienste abweicht. Sie spiegelt Veränderungen bei den Überstunden, Bonuszahlungen, angespannte Arbeitsmärkte und sonstige Faktoren wider.
Weitere Informationen zu Inflationswahrnehmungen und Unsicherheit der Verbraucher finden sich in EZB, Inflationserwartungen der Verbraucher – Evidenz aus der Umfrage der EZB zu den Verbrauchererwartungen, Kasten 6, Wirtschaftsbericht 7/2022. Aktuelle Ergebnisse der Umfrage der EZB zu den Verbrauchererwartungen in Bezug auf das Wirtschaftswachstum finden sich in EZB, Economic growth and labour markets, 2024. Weitere Informationen zu den Verbrauchererwartungen in Bezug auf die Beziehung zwischen Inflation und Wirtschaftslage finden sich in B. Candia, O. Coibion und Y. Gorodnichenko, Communication and the Beliefs of Economic Agents, Working Paper Series des NBER, Nr. 27800, 2020.
Siehe EZB, EZB präsentiert Maßnahmenplan zur Berücksichtigung von Klimaschutzaspekten in ihrer geldpolitischen Strategie, Pressemitteilung vom 8. Juli 2021.
Siehe M. Kotz, F. Kuik, E. Lis und C. Nickel, The impact of global warming on inflation: averages, seasonality and extremes, Working Paper Series der EZB, Nr. 2821, Mai 2023.
Siehe M. Ciccarelli, F. Kuik und C. Martínez Hernández, The asymmetric effects of weather shocks on euro area inflation, Working Paper Series der EZB, Nr. 2798, März 2023.
Siehe EZB, Wie der Klimawandel das Produktionspotenzial beeinflusst, Wirtschaftsbericht 6/2023.
Siehe The climate change challenge and fiscal instruments and policies in the EU, Occasional Paper Series der EZB, Nr. 315, überarbeitet im Juni 2023.
Siehe C. Christophersen et al., What to do about Europe’s climate insurance gap, Der EZB-Blog, 24. April 2023.
Siehe EZB, Klimabezogene finanzpolitische Maßnahmen in den Euroraum-Projektionen von Fachleuten des Eurosystems/der EZB und ihre gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen, Kasten 5, Wirtschaftsbericht 1/2023.
Siehe EZB, Die makroökonomischen Implikationen des Übergangs zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft, Wirtschaftsbericht 5/2023.
Diese Aspekte werden in den Klimaszenarien untersucht, die das Network for Greening the Financial System (NGFS) veröffentlicht hat. In dieser Gruppe aus 134 Zentralbanken und Aufsichtsbehörden sowie 21 Beobachtern wirken die EZB und das Europäische System der Zentralbanken aktiv mit.
Siehe N. Benatti, M. Groiss, P. Kelly und P. Lopez-Garcia, Environmental regulation and productivity growth in the euro area: testing the Porter hypothesis, Working Paper Series der EZB, Nr. 2820, Mai 2023.
Siehe J. Böning, V. Di Nino und T. Folger, Benefits and costs of the ETS in the EU, a lesson learned for the CBAM design, Working Paper Series der EZB, Nr. 2764, Januar 2023.
Die Stückgewinne (auch: Gewinne je BIP-Einheit) berechnen sich aus dem Bruttobetriebsüberschuss und dem Selbstständigeneinkommen geteilt durch das reale BIP und schließen eine Bereinigung um das Einkommen der Selbstständigen ein. Ein umfassenderer Indikator würde Bruttobetriebsüberschuss und Selbstständigeneinkommen zur realen Wirtschaftsleistung, die außer dem BIP auch die Vorleistungskosten einschließt, ins Verhältnis setzen. Die reale Wirtschaftsleistung liegt mangels Informationen über die Vorleistungskosten jedoch nicht vor.
Konzeptionell unterscheiden sich der BIP-Deflator und der HVPIX hauptsächlich dadurch, dass Letzterem die Verbraucherpreise für Waren und Dienstleistungen zugrunde liegen, die die privaten Haushalte in den berücksichtigten Kategorien konsumieren, unabhängig davon, ob sie im Inland hergestellt oder importiert werden. Der BIP-Deflator bildet indessen die Preise der Wertschöpfung aller im Inland erzeugten Produkte ab und schließt den Beitrag der Vorleistungen zu den Endpreisen nicht ein. Siehe EZB, Gewinne je BIP-Einheit und ihr Beitrag zur jüngsten Zunahme des binnenwirtschaftlichen Preisdrucks im Euroraum, Kasten 3, Wirtschaftsbericht 4/2023.
Siehe O. Arce, E. Hahn und G. Koester, How tit-for-tat inflation can make everyone poorer, Der EZB-Blog, 30. März 2023; EZB, Gewinne je BIP-Einheit und ihr Beitrag zur jüngsten Zunahme des binnenwirtschaftlichen Preisdrucks im Euroraum, Kasten 3, Wirtschaftsbericht 4/2023.
Die Ausnahmereglung galt vom Start des PEPP bis September 2023. In diesem Monat wurde die relevante Bonitätseinstufung auf Investment Grade hinaufgesetzt, somit war die Ausnahmeregelung nicht mehr notwendig.
Rundungsbedingt übersteigt die Summe 100 %.
Bei der Festlegung des Datums des Inkrafttretens wurde das Datum des im Juni fällig werdenden GLRG-III-Geschäfts berücksichtigt.
Die Auswirkungen des Außerkraftsetzens von Teilen des ACC-Rahmenwerks waren vor allem in Spanien, Frankreich und Portugal beträchtlich.
Leitlinie der Europäischen Zentralbank vom 9. Juli 2014 über zusätzliche zeitlich befristete Maßnahmen hinsichtlich der Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems und der Notenbankfähigkeit von Sicherheiten und zur Änderung der Leitlinie EZB/2007/9 (EZB/2014/31) (ABl. L 240 vom 13.8.2014, S. 28).
Eine Bewertung der erwarteten finanziellen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Ratingverbesserung (Investment Grade) auf die griechische Wirtschaft findet sich in M. Anastasatou, H. Balfoussia, Z. Bragoudakis, D. Malliaropulos, P. Migiakis, D. Papageorgiou und P. Petroulas, Effects of a sovereign credit rating upgrade to investment grade on the Greek economy, Economic Bulletin, No 58, Bank of Greece, 2023, S. 7-28.
Siehe EZB, The financial risk management of the Eurosystem’s monetary policy operations, Juli 2015.
Siehe Wie kommen Gewinne und Verluste bei der EZB und den nationalen Zentralbanken zustande? in der Rubrik „Wissenswertes“ auf der Website der EZB (aktualisiert am 19. Mai 2023).
Derzeit sind in der EU nur 25 % der Schäden aus klimabedingten Katastrophen versichert. Siehe EZB und Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, Policy options to reduce the climate insurance protection gap, Discussion Paper, April 2023.
Bis Ende 2023 hatten sieben Länder einen sektoralen Systemrisikopuffer eingeführt oder angekündigt, um den Risiken im Wohnimmobiliensektor (Belgien, Deutschland, Litauen, Malta, Portugal und Slowenien) und im Unternehmenssektor (Frankreich) zu begegnen.
Siehe EZB, Erklärung des EZB-Rats zu makroprudenziellen Maßnahmen, Dezember 2022. Darüber hinaus gelten gemäß der neuen Untergrenze ab dem 1. Januar 2024 höhere A-SRI-Puffer für Banken in drei Ländern (Griechenland, Spanien und Italien). Ab dem 1. Januar 2025 werden sie für ein weiteres Land (Slowenien) gelten.
Siehe EZB, Financial Stability Review, Mai 2023; EZB, Financial Stability Review, November 2023.
Siehe a) Litauen: Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 4. April 2023 zur Auferlegung eines befristeten Solidaritätsbeitrags (CON/2023/9); b) Italien: Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 12. September 2023 zur Erhebung einer Sondersteuer für Kreditinstitute (CON/2023/26); c) Slowenien: Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 2. November 2023 zur Erhebung einer befristeten Steuer für Banken (CON/2023/35); d) Lettland: Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 11. Dezember 2023 zu einer von Kreditinstituten zu zahlenden befristeten Gebühr zum Schutz von Hypothekarkreditnehmern (CON/2023/42); und e) Niederlande: Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 15. Dezember 2023 zur Erhebung einer Steuer für Kreditinstitute (CON/2023/45).
Die folgenden Länder hatten Ende 2023 eine positive neutrale Quote für den antizyklischen Kapitalpuffer eingeführt oder angekündigt: Irland (1,5 %), Zypern (0,5 %), Lettland (1 %), Litauen (1 %), die Niederlande (2 %) und Slowenien (1 %).
Siehe ESRB, Advancing macroprudential tools for cyber resilience, Februar 2023.
Siehe ESRB, Crypto-assets and decentralised finance, Mai 2023.
Siehe ESRB, NBFI Monitor, Juni 2023.
Siehe ESRB, Issues note on policy options to address risks in corporate debt and real estate investment funds from a financial stability perspective, September 2023.
Siehe ESRB, ESRB issues a recommendation on vulnerabilities in the commercial real estate sector in the European Economic Area, Pressemitteilung vom 25. Januar 2023.
Siehe EZB und ESRB, Towards macroprudential frameworks for managing climate risk, Dezember 2023.
Siehe F. Elderson, Mitglied des Direktoriums der EZB und stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsgremiums der EZB, Powers, ability and willingness to act – the mainstay of effective banking supervision, Rede im House of the Euro, 7. Dezember 2023.
Unter ihrer entsprechenden Befugnis im Hinblick auf beaufsichtigte Kreditinstitute verhängte die EZB wegen Falschmeldung des Kapitalbedarfs Sanktionen gegen die Landesbank Hessen-Thüringen Girozentrale (Februar 2023) und gegen die Goldman Sachs Bank Europe (Mai 2023). Im August 2023 verhängte sie wegen Fehlberechnung des Kapitalbedarfs Sanktionen gegen de Volksbank.
Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 1).
Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. L 176 vom 27.6.2013, S. 338).
Eine detailliertere Bewertung des EU-Bankenpakets und der Position der EZB findet sich EZB, Starke Regeln, starke Banken – das Bankenpaket, Kasten 2, Jahresbericht 2022, Mai 2023.
Siehe Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 6. Juni 2023 zu dem Vorschlag für eine Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (CON/2023/15) (ABl. C 249, 14.7.2023, S. 3) und Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 4. Oktober 2023 zur Transparenz und Integrität von Ratingtätigkeiten in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) (CON/2023/30) (ABl. C/2023/1354 vom 1.12.2023).
Siehe Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 5. Juli 2023 zu Änderungen des Unionsrahmens für das Krisenmanagement und die Einlagensicherung (CON/2023/19) (ABl. C 307, 31.8.2023, S. 19).
Siehe Verordnung (EU) 2023/1114 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. Mai 2023 über Märkte für Kryptowerte und zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 1095/2010 sowie der Richtlinien 2013/36/EU und (EU) 2019/1937 (ABl. L 150 vom 9.6.2022, S. 40).
Siehe a) Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 16. Februar 2022 zu einem Vorschlag für eine Verordnung zur Errichtung der Behörde zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung (CON/2022/4) (ABl. C 210, 25.5.2022, S. 5); b) Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 16. Februar 2022 zu einem Vorschlag für eine Richtlinie und eine Verordnung zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems für Zwecke der Geldwäsche oder der Terrorismusfinanzierung (CON/2022/5) (ABl. C 210, 25.5.2022, S. 15); und c) Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 30. November 2021 zu einem Vorschlag für eine Verordnung zur Ausweitung der Rückverfolgbarkeitsanforderungen auf den Transfer von Kryptowerten (CON/2021/37) (ABl. C 68, 9.2.2022, S .2).
Siehe F. Panetta, Europe needs to think bigger to build its capital markets union, Der EZB-Blog, 30. August 2023; C. Lagarde, Die Kapitalmarktunion neu denken, Rede beim European Banking Congress, Frankfurt am Main, 17. November 2023; Luis de Guindos, Banking Union and Capital Markets Union: high time to move on, Rede bei der Annual Joint Conference of the European Commission and the European Central Bank on European Financial Integration, Brüssel, 7. Juni 2023.
Weitere Einzelheiten zur Verordnung über europäische Marktinfrastrukturen finden sich in Kapitel 4 dieses Jahresberichts.
Siehe EZB, Non-banks’ liquidity preparedness and leverage: insights and policy implications from recent stress events, Financial Stability Review, Mai 2023; EZB, The growing role of investment funds in euro area real estate markets: risks and policy considerations, Macroprudential Bulletin, 3. April 2023.
Siehe FSB, The Financial Stability Implications of Leverage in Non-Bank Financial Intermediation, 6. September 2023; und FSB, Enhancing the Resilience of Non-Bank Financial Intermediation, Progress Report, 6. September 2023.
Siehe FSB, Revised Policy Recommendations to Address Structural Vulnerabilities from Liquidity Mismatch in Open-Ended Funds, 20. Dezember 2023; EZB, The growing role of investment funds in euro area real estate markets: risks and policy considerations, Macroprudential Bulletin, Nr. 20, April 2023.
Siehe die Erkenntnisse der Fokusgruppen im Rahmen des Projekts digitaler Euro: Study on New Digital Payment Methods, März 2022, sowie Study on Digital Wallet Features, März 2023.
Gemäß Artikel 141 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. C 326, 26.10.2012, S. 47); Artikel 17, 21.2, 43.1 und 46.1 der ESZB-Satzung; sowie Artikel 9 der Verordnung (EG) Nr. 332/2002 des Rates vom 18. Februar 2002 zur Einführung einer Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands zur Stützung der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten (Abl. L 53, 23.2.2002, S. 1).
Gemäß Artikel 122 Absatz 2 und 132 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union; Artikel 17 und 21 der ESZB-Satzung; sowie Artikel 8 der Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mai 2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (ABl. L 118, 12.5.2010, S. 1).
Gemäß Artikel 17 und 21 der ESZB-Satzung in Verbindung mit Artikel 10 der Verordnung (EU) 2020/672 des Rates vom 19. Mai 2020 zur Schaffung eines Europäischen Instruments zur vorübergehenden Unterstützung bei der Minderung von Arbeitslosigkeitsrisiken in einer Notlage (SURE) im Anschluss an den COVID‐19‐Ausbruch (Abl. L 159, 20.5.2020, S. 1).
Gemäß Artikel 17 und 21 der ESZB-Satzung in Verbindung mit Verordnung (EU) 2021/241 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Februar 2021 zur Einrichtung der Aufbau‑ und Resilienzfazilität (ABl. L 57, 18.2.2021, S. 17).
Gemäß Artikel 17 und 21 der ESZB-Satzung in Verbindung mit Verordnung (EU) 2022/2463 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2022 zur Schaffung eines Instruments zur Unterstützung der Ukraine für 2023 (Makrofinanzhilfe Plus) (ABl. L 322, 16.12.2022, S. 1).
Gemäß Artikel 17 und 21 der ESZB-Satzung in Verbindung mit Artikel 3.5 des EFSF-Rahmenvertrags.
Gemäß Artikel 17 und 21 der ESZB-Satzung in Verbindung mit Artikel 5.12.1 der ESM General Terms for Financial Assistance Facility Agreements.
Im Zusammenhang mit der Kreditrahmenvereinbarung zwischen den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets (mit Ausnahme Deutschlands und Griechenlands) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) – die im öffentlichen Interesse handelt und den Anweisungen der Bundesrepublik Deutschland unterliegt, die eine Garantie zugunsten der KfW übernimmt – als Kreditgeber einerseits und der Hellenischen Republik als Kreditnehmerin und der griechischen Zentralbank als deren Vertreterin andererseits sowie gemäß Artikel 17 und 21.2 der ESZB-Satzung und Artikel 2 des Beschlusses der Europäischen Zentralbank vom 10. Mai 2010 über die Verwaltung von der Griechischen Republik gewährten zusammengelegten bilateralen Krediten und zur Änderung des Beschlusses EZB/2007/7 (EZB/2010/4) (ABl. L 119, 13.5.2010, S. 24.).
Siehe F. Pallotti, G. Paz-Pardo, J. Slacalek, O. Tristani und G. L. Violante, Who bears the costs of inflation? Euro area households and the 2021-2022 shock, Working Paper Series der EZB, Nr. 2877, 2023.
Siehe M. Ehrmann, D. Georgarakos und G. Kenny, Credibility gains from communicating with the public: evidence from the ECB’s new monetary policy strategy, Working Paper Series der EZB, Nr. 2785, Februar 2023.
Siehe M. Giannetti, M. Jasova, M. Loumioti und C. Mendicino, Glossy green banks: the disconnect between environmental disclosures and lending activities, Working Paper Series der EZB, Nr. 2882, 2023.
Siehe A. Nakov und C. Thomas, Climate-conscious monetary policy, Working Paper Series der EZB, Nr. 2845, 2023.
Siehe M. C. Bustamante und F. Zucchi, Carbon trade-offs: how firms respond to emission controls, Research Bulletin der EZB, Nr. 109, 17. Juli 2023.
Siehe P. Karadi und A. Nakov, Effectiveness and addictiveness of quantitative easing, Journal of Monetary Economics, Bd. 117, 2021, S. 1096-1117; A. Van der Ghote, Interactions and Coordination between Monetary and Macroprudential Policies, American Economic Journal: Macroeconomics, Bd. 13(1), 2021, S. 1-34.
Siehe S. Chavleishvili und S. Manganelli, Forecasting and stress testing with quantile vector autoregression, Journal of Applied Econometrics (im Erscheinen); S. Chavleishvili, M. Kremer und F. Lund-Thomsen, Quantifying financial stability trade-offs for monetary policy: a quantile VAR approach, Working Paper Series der EZB, Nr. 2833, 2023.
Darüber hinaus hielt die EZB den ECON-Ausschuss in vier Schreiben vonseiten Fabio Panettas an die ECON-Vorsitzende in Bezug auf Entwicklungen rund um den digitalen Euro auf dem Laufenden.
Die EZB hat Beobachterstatus beim IWF und hat einen ständigen Vertreter zum Sitz des IWF in Washington, D. C. entsandt. Der EZB-Beobachter nimmt an ausgewählten Sitzungen des IWF-Exekutivdirektoriums teil.
Die Quoten werden in regelmäßigen Abständen überprüft und lauten auf Sonderziehungsrechte (SZR), die Rechnungseinheit des IWF.
Diese Anpassungen umfassten eine vorübergehende Erhöhung der Zugangsbeschränkungen für das allgemeine Konto des IWF (General Resources Account – GRA) und den Treuhandfonds für Armutsbekämpfung und Wachstum (Poverty Reduction and Growth Trust – PRGT) sowie die Einführung eines neuen Rahmens für Finanzierungen über höhere Kredittranchen (Upper Credit Tranche – UCT) in Situationen außergewöhnlich hoher Unsicherheit.
Zwei anschließende Programmüberprüfungen wurden im Juli und Dezember 2023 abgeschlossen.
Laut Artikel 3 Absatz 3 des Vertrags über die Europäische Union beinhalten die Ziele der EU u. a. „die nachhaltige Entwicklung Europas auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und von Preisstabilität, eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt, sowie ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“.
Siehe Entschließung des Europäischen Parlaments zum EZB-Jahresbericht 2021 und das Feedback der EZB zu dieser Entschließung.
Verhältnismäßigkeit heißt, dass die Handlungen der EZB erstens geeignet sein müssen, die legitimen Ziele der zur Diskussion stehenden Maßnahme zu erreichen, und zweitens nicht ganz klar über das zur Zielerreichung erforderliche Maß hinausgehen dürfen. Siehe auch Rechtssache C-62/14, Peter Gauweiler u. a. (EU:C:2015:400) und Rechtssache C-493/17, Heinrich Weiss u. a. (EU:C:2018:1000).
Siehe Abschnitt 3.3 der Übersicht über die geldpolitische Strategie der EZB.
Weitere Informationen zur Klimaorientierung des Eurosystems seit Oktober 2022 finden sich in Kapitel 11 Abschnitt 5.1.
Siehe Occasional Papers, die in die EZB-Strategieüberprüfung eingeflossen sind.
Die Koordinierenden der Fraktionen für den Ausschuss für Wirtschaft und Währung (ECON) des Europäischen Parlaments einigen sich für jede Anhörung der EZB-Präsidentin auf zwei Themen. Diese Themen, die auf der ECON-Website zu finden sind, werden von der EZB-Präsidentin in den einleitenden Bemerkungen behandelt.
Auch in Kapitel 10 Abschnitt 1 wird dargelegt, wie die EZB ihren Verpflichtungen als öffentliche Institution nachkommt, und zwar im Rahmen ihrer Rechenschaftspflicht und des Dialogs mit der Bevölkerung.
Siehe EZB, Gesamtwirtschaftlicher Klimastresstest der EZB zeigt: Eine schnellere grüne Transformation kommt Unternehmen, privaten Haushalten und Banken zugute, Pressemitteilung vom 6. September 2023.
Siehe Intergovernmental Panel on Climate Change, Climate Change 2023: Synthesis Report, 2023, und World Meteorological Organization, The Global Climate 2011-2020: A Decade of Acceleration, 5. Dezember 2023.
Siehe United Nations Environment Programme, Emissions Gap Report 2023. In diesem Bericht wird davon ausgegangen, dass der weltweite Temperaturanstieg in diesem Jahrhundert auf Basis der derzeit national festgelegten Beiträge 2,9°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau erreichen wird.
Siehe die Liste der EZB-Publikationen zum Klimawandel. Einige der Forschungsarbeiten der EZB wurden in wichtigen wissenschaftlichen Journals veröffentlicht.
Siehe EZB-Website zur Bankenaufsicht und EZB-Jahresbericht zur Aufsichtstätigkeit 2023.
Siehe Website der EZB, Bargeldstrategie des Eurosystems und Umwelterklärungen der EZB.
Seit 2010 verfügt die EZB über ein zertifiziertes Umweltmanagementsystem zur Steuerung des ökologischen Fußabdrucks ihres eigenen Betriebs. Dies hat in der jüngeren Vergangenheit zu erheblichen Energieeinsparungen geführt.
Siehe Website der EZB, Price-setting Microdata Analysis Network (PRISMA); und M. Moufakkir, Careful embrace:AI and the ECB , Der EZB-Blog, 28. September 2023.
Siehe Elizabeth McCaul, Mitglied des Aufsichtsgremiums, Technology, data and innovation – shaping the future of supervision, Rede anlässlich der Supervision Innovators Conference 2023 in Frankfurt am Main, 20. September 2023, und How Tech is shaping banking supervision, Der EZB-Podcast, 28. September 2023.