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Einleitende Bemerkungen

Jean-Claude Trichet, Präsident der EZB,
Lucas Papademos, Vizepräsident der EZB
Wien, 4. Oktober 2007

Sehr geehrte Damen und Herren,

der Vizepräsident und ich freuen uns sehr, Sie zu der heutigen Pressekonferenz hier in Wien begrüßen zu dürfen. Ich möchte mich bei Gouverneur Liebscher für seine Gastfreundschaft bedanken und auch seinen Mitarbeitern unseren besonderen Dank für die hervorragende Organisation der heutigen Sitzung des EZB-Rats aussprechen.

Ich werde Sie nun über die Ergebnisse unserer Sitzung informieren, an der auch EU-Kommissar Almunia teilgenommen hat.

Auf der Grundlage unserer regelmäßigen wirtschaftlichen und monetären Analyse haben wir auf der heutigen Sitzung beschlossen, die Leitzinsen der EZB unverändert zu belassen. Die seit unserer letzten Sitzung verfügbar gewordenen Informationen haben bestätigt, dass die Aussichten für die Preisstabilität auf mittlere Sicht Aufwärtsrisiken unterliegen. Vor diesem Hintergrund und angesichts des kräftigen Geldmengen- und Kreditwachstums im Euroraum ist unsere Geldpolitik bereit, den Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität zu begegnen, wie dies unser vorrangiges Ziel erfordert. Die Fundamentaldaten der Wirtschaft im Euro-Währungsgebiet stützen die günstigen mittelfristigen Aussichten für die Wirtschaftsentwicklung. Hier sind insbesondere die anhaltende Entwicklung der Gewinne und der Ertragslage von Unternehmen, das kräftige Beschäftigungswachstum und die rückläufigen Arbeitslosenzahlen anzuführen. Angesichts der Finanzmarktvolatilität und der Risikoneubewertungen der vergangenen Wochen ist diese Einschätzung jedoch mit erhöhter Unsicherheit behaftet. Bei der Bewertung der möglichen Auswirkungen der Finanzmarktentwicklungen auf die Realwirtschaft ist besondere Vorsicht geboten, da die Palette neuer Wirtschaftsdaten, die seit unserer Sitzung Anfang September verfügbar geworden sind, begrenzt ist. Somit bleibt es erforderlich, zusätzliche Informationen zu sammeln und neue Daten zu prüfen, bevor im Rahmen unserer mittelfristig ausgerichteten geldpolitischen Strategie, deren vorrangiges Ziel in der Gewährleistung von Preisstabilität besteht, weitere Schlussfolgerungen bezüglich der Geldpolitik gezogen werden. Dementsprechend wird der EZB-Rat alle Entwicklungen sehr genau verfolgen. Wir werden auf der Grundlage unserer Bewertung und durch entschlossenes und rechtzeitiges Handeln sicherstellen, dass die Risiken für die Preisstabilität auf mittlere Sicht nicht zum Tragen kommen und die mittel- und langfristigen Inflationserwartungen fest auf einem Niveau verankert bleiben, das mit Preisstabilität in Einklang steht, und dadurch ein Umfeld begünstigen, das einem anhaltenden Wirtschaftswachstum, gut funktionierenden Märkten und der Schaffung von Arbeitsplätzen zuträglich ist. In Zeiten, die von Finanzmarktvolatilität und erhöhter Unsicherheit gekennzeichnet sind, ist es umso wichtiger, einen solchen Anker für die mittel- und langfristigen Inflationserwartungen zur Verfügung zu stellen. Was die Finanzmärkte angeht, so werden wir den Entwicklungen in nächster Zeit weiterhin große Aufmerksamkeit widmen.

Lassen Sie mich nun unsere Einschätzung näher erläutern, wobei ich mich zunächst der wirtschaftlichen Analyse widme. Den vorliegenden Daten zufolge scheint sich das anhaltende reale Wirtschaftswachstum, das in der ersten Jahreshälfte 2007 im Euroraum zu verzeichnen war, über den Sommer hinweg fortgesetzt zu haben. Dies spiegeln auch die verfügbaren Prognosen für das reale BIP-Wachstum im dritten und vierten Quartal 2007 wider. Die Finanzmarktvolatilität hat im September zwar offenbar zu einem Rückgang der Indikatoren des Verbraucher- und Unternehmervertrauens im Eurogebiet beigetragen, diese Indikatoren liegen aber nach wie vor über ihren historischen Durchschnittswerten und deuten weiterhin auf anhaltendes Wachstum während der zweiten Jahreshälfte 2007 hin.

Was die Zukunft betrifft, so bestätigen die vorliegenden Prognosen für 2008 nach wie vor unser Hauptszenario, dass das reale BIP-Wachstum dem trendmäßigen Potenzialwachstum in etwa entspricht. Dieses Szenario basiert auf der Erwartung, dass das Weltwirtschaftswachstum robust bleibt und die Konjunkturabschwächung in den Vereinigten Staaten vom anhaltend kräftigen Wachstum an den aufstrebenden Märkten weitgehend ausgeglichen wird. Dies wird die Exporte und die Investitionstätigkeit des Euroraums weiterhin stützen. Auch die Zunahme der privaten Konsumausgaben im Eurogebiet – im Einklang mit der Entwicklung des real verfügbaren Einkommens bei nach wie vor günstigen Beschäftigungsbedingungen – dürfte einen Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten. Indes haben angesichts der potenziellen realwirtschaftlichen Auswirkungen der gestiegenen Finanzmarktvolatilität und der Neubewertung von Risiken die Unsicherheiten zugenommen, mit denen diese weitgehend günstigen Aussichten für die Wirtschaftstätigkeit behaftet sind.

Insgesamt gesehen überwiegen in Bezug auf die Wachstumsaussichten den Einschätzungen zufolge die Abwärtsrisiken. Diese stehen hauptsächlich in Zusammenhang mit potenziell weiterreichenden Auswirkungen der zurzeit stattfindenden Risikoneubewertungen an den Finanzmärkten auf Vertrauen und Finanzierungsbedingungen, Bedenken über Protektionismusbestrebungen und etwaige unkontrollierte Entwicklungen aufgrund von globalen Ungleichgewichten sowie weiteren Öl- und Rohstoffpreissteigerungen.

Was die Preisentwicklung anbelangt, so zog der Vorausschätzung von Eurostat zufolge die jährliche Teuerungsrate nach dem HVPI kräftig von 1,7 % im August auf 2,1 % im September 2007 an. Wie bereits bei früheren Anlässen erwähnt, beginnt nun eine Phase, in der sich ungünstige Energiepreiseffekte stark auf die jährlichen HVPI-Inflationsraten auswirken werden. Hauptsächlich aufgrund solcher Effekte, die aus dem deutlichen Rückgang der Energiepreise vor einem Jahr in Verbindung mit dem jüngsten erheblichen Ölpreisanstieg resultieren, erwarten wir, dass die Inflationsrate in den verbleibenden Monaten des Jahres 2007 und Anfang 2008 weiterhin deutlich über 2 % liegen wird, bevor sie sich erneut abschwächt. Vor allem infolge von Kapazitätsengpässen und einer relativ angespannten Arbeitsmarktlage dürfte die Inflation im Jahr 2008 im Durchschnitt rund 2 % betragen.

Die Aussichten für die Preisentwicklung bleiben mit Aufwärtsrisiken behaftet. Zu diesen Risiken zählen nach wie vor die Möglichkeit eines weiteren Anstiegs der Ölpreise und der Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse sowie zusätzliche über das bereits angekündigte Maß hinausgehende Erhöhungen der administrierten Preise und indirekten Steuern. Angesichts der bestehenden Kapazitätsengpässe, der günstigen Dynamik des realen BIP-Wachstums in den letzten Quartalen und der positiven Signale von den Arbeitsmärkten könnte die Lohnentwicklung die derzeitigen Erwartungen übertreffen, und die Preissetzungsmacht in Marktsegmenten mit geringem Wettbewerb könnte zunehmen. Eine solche Entwicklung würde Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität mit sich bringen. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass alle Beteiligten ihrer Verantwortung gerecht werden.

Die monetäre Analyse bestätigt, dass auf mittlere bis längere Sicht weiterhin Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität bestehen. Eine breit angelegte Bewertung der monetären Daten stützt die Einschätzung, dass die Grunddynamik des Geldmengen- und Kreditwachstums kräftig bleibt. Die Jahreswachstumsrate des Geldmengenaggregats M3 vom August von nahe 12 % sowie die Jahreswachstumsrate der Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften, die im August einen Rekordwert von über 14 % erreichte, könnten jedoch durch eine Reihe von temporären Faktoren oder Sonderfaktoren, wie beispielsweise die Abflachung der Zinsstrukturkurve und die jüngste Finanzmarktvolatilität, beeinflusst worden sein und könnten daher die Grunddynamik des Geldmengen- und Kreditwachstums möglicherweise überzeichnen.

Eine breit angelegte Bewertung der Grundtendenzen des Geldmengen- und Kreditwachstums ist in der derzeitigen Phase von Finanzmarktvolatilität von besonderer Bedeutung, da sich die Volatilität auf das kurzfristige Verhalten privater Akteure und dadurch auf die monetäre Entwicklung auswirken kann. Somit können monetäre Daten und Kreditdaten einen wichtigen Einblick geben, wie Finanzinstitute, private Haushalte und Unternehmen auf die Finanzmarktvolatilität reagiert haben. In der Vergangenheit gingen Phasen gestiegener Unsicherheit an den Finanzmärkten mit umfangreichen Portfolioumschichtungen in sichere und liquide monetäre Anlageformen einher. Bislang liefern die monetären Daten seit dem Anstieg der Finanzmarktvolatilität Anfang August jedoch nur wenige Hinweise auf solche Umschichtungen. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Vergabe von Bankkrediten an den Sektor der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften im August zum Teil die Reintermediation von Finanzierungsmitteln zurück in die Bankbilanzen widerspiegelt. Um sich ein umfassenderes Bild von den Auswirkungen der Finanzmarktvolatilität auf die Bankbilanzen, die Finanzierungsbedingungen sowie das Geldmengen- und Kreditwachstum machen zu können, sind weitere Daten erforderlich.

Insgesamt deutet die anhaltende Stärke der zugrunde liegenden Ausweitung der Geldmenge und der Kreditvergabe mittel- bis längerfristig auf Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität hin. Daher muss die monetäre Entwicklung weiterhin sehr sorgfältig beobachtet werden, um zum einen Grundtendenzen zu erkennen und zum anderen die kürzerfristige Dynamik besser zu verstehen. So wird sich ein vollständigeres Bild der Reaktion des privaten Sektors auf die gestiegene Volatilität an den Finanzmärkten ergeben.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Gegenprüfung der Ergebnisse der wirtschaftlichen Analyse anhand der Ergebnisse der monetären Analyse das Vorhandensein von Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität auf mittlere Sicht – vor dem Hintergrund der guten Fundamentaldaten der Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets – bestätigt hat. Dementsprechend und angesichts des kräftigen Geldmengen- und Kreditwachstums im Eurogebiet ist unsere Geldpolitik bereit, den Aufwärtsrisiken für die Preisstabilität zu begegnen, wie dies unser vorrangiges Ziel erfordert. Gleichzeitig sind angesichts der gestiegenen Unsicherheit zusätzliche Informationen nötig, bevor weitere Schlussfolgerungen bezüglich der Geldpolitik gezogen werden können. Folglich wird der EZB‑Rat alle Entwicklungen sehr genau verfolgen. Wir werden auf der Grundlage unserer Bewertung und durch entschlossenes und rechtzeitiges Handeln sicherstellen, dass die Risiken für die Preisstabilität auf mittlere Sicht nicht zum Tragen kommen und die mittel- und langfristigen Inflationserwartungen fest auf einem Niveau verankert bleiben, das mit Preisstabilität in Einklang steht, was im gegenwärtigen Kontext umso wichtiger ist. Den Entwicklungen an den Finanzmärkten werden wir in nächster Zeit weiterhin große Aufmerksamkeit widmen.

Was die Finanzpolitik betrifft, so ist der EZB-Rat zunehmend besorgt darüber, dass die Anstrengungen zur strukturellen Konsolidierung der öffentlichen Finanzen nachlassen und entschlossene Maßnahmen zur Beseitigung von Haushaltsungleichgewichten hinausgezögert werden. Vor diesem Hintergrund werden sämtliche betroffenen Länder des Eurogebiets dringend aufgefordert, die im Stabilitäts- und Wachstumspakt eingegangenen Verpflichtungen zur strukturellen Konsolidierung zu erfüllen. Alle Mitgliedstaaten des Euroraums müssen außerdem ihrer im Rahmen der Eurogruppe eingegangenen Verpflichtung nachkommen, ihre mittelfristigen Haushaltsziele 2008 oder 2009, spätestens 2010, zu erreichen. Diejenigen Länder, die bereits solide Haushaltspositionen erreicht haben, müssen von einer prozyklischen Haushaltspolitik absehen. Eine solide Finanzpolitik stellt in Zeiten gestiegener Unsicherheit an den Finanzmärkten auch einen wichtigen Beitrag zur Aufrechterhaltung des Vertrauens dar.

Im Bereich der Strukturreformen unterstützt der EZB-Rat Anstrengungen zur Verbesserung des Wettbewerbs, Steigerung der Produktivität und Förderung der Marktflexibilität uneingeschränkt. Während im Dienstleistungsbereich besonderer Reformbedarf besteht, sind auch weitere Anstrengungen vonnöten, um das Funktionieren der Agrarmärkte zu verbessern. Vor dem Hintergrund eines deutlichen Anstiegs der internationalen Nahrungsmittelrohstoffpreise würden eine weitere Liberalisierung sowie Reformen der EU-Agrarmärkte zu deren Effizienz beitragen und den europäischen Verbrauchern in Form geringerer Preise zugute kommen. Der erfolgreiche Abschluss der Doha-Verhandlungsrunde über den Welthandel sollte auch zu einer Verbesserung des Funktionierens des Welthandels im Allgemeinen und der Agrarmärkte in Europa und weltweit im Besonderen beitragen.

Wir sind nun gerne bereit, Ihre Fragen zu beantworten

Der Wortlaut, auf den sich der EZB-Rat verständigt hat, ist der englischen Originalfassung zu entnehmen.

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