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Christine Lagarde
The President of the European Central Bank
Luis de Guindos
Vice-President of the European Central Bank
  • ERKLÄRUNG ZUR GELDPOLITIK

PRESSEKONFERENZ

Christine Lagarde, Präsidentin der EZB,
Luis de Guindos, Vizepräsident der EZB

Frankfurt am Main, 21. Juli 2022

Guten Tag, der Vizepräsident und ich begrüßen Sie zu unserer Pressekonferenz.

Im Einklang mit unserem starken Bekenntnis zu unserem Preisstabilitätsmandat hat der EZB-Rat heute weitere wichtige Schritte ergriffen, um sicherzustellen, dass die Inflation mittelfristig auf unseren Zielwert von 2 % zurückkehrt. Wir haben beschlossen, die drei Leitzinssätze der EZB um jeweils 50 Basispunkte anzuheben. Darüber hinaus haben wir das Instrument zur Absicherung der Transmission (Transmission Protection Instrument – TPI) genehmigt.

Der EZB-Rat gelangte zu der Einschätzung, dass im Zuge seiner Leitzinsnormalisierung ein größerer erster Schritt angemessen ist als auf seiner letzten Sitzung signalisiert. Dieser Beschluss basiert auf unserer aktualisierten Beurteilung der Inflationsrisiken sowie auf der verstärkten Unterstützung einer effektiven Transmission der Geldpolitik durch das TPI. Der Beschluss unterstützt die Rückkehr der Inflation auf unser mittelfristiges Ziel, indem er die Verankerung der Inflationserwartungen stärkt und dafür sorgt, dass sich die Nachfragebedingungen so anpassen, dass unser Inflationsziel auf mittlere Sicht erreicht wird.

Bei unseren kommenden Sitzungen wird eine weitere Normalisierung der Zinssätze angemessen sein. Durch das heutige Vorziehen des Ausstiegs aus den Negativzinsen können wir zudem zu einem Ansatz übergehen, bei dem Zinsbeschlüsse von Sitzung zu Sitzung gefasst werden. Der künftige Pfad unserer Leitzinsen wird weiterhin von der Datenlage abhängen und dazu beitragen, dass wir unser Inflationsziel von 2 % auf mittlere Sicht erreichen. Im Zusammenhang mit der Normalisierung unserer Geldpolitik werden wir Optionen für die Verzinsung von Überschussliquidität prüfen.

Nach unserer Einschätzung ist die Einrichtung des TPI erforderlich, um die effektive Transmission der Geldpolitik zu unterstützen. Während wir die Normalisierung unserer Geldpolitik fortsetzen, wird das TPI sicherstellen, dass die Transmission des geldpolitischen Kurses in allen Ländern des Euroraums reibungslos erfolgt. Die Einheitlichkeit unserer Geldpolitik ist eine Voraussetzung dafür, dass die EZB ihr Preisstabilitätsmandat erfüllen kann.

Das TPI wird unser Instrumentarium ergänzen und kann aktiviert werden, um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen. Der Umfang von Ankäufen im Rahmen des TPI hängt von der Schwere der Risiken für die geldpolitische Transmission ab. Die Ankäufe sind nicht von vornherein beschränkt. Das TPI wird den Transmissionsmechanismus absichern und dem EZB-Rat dadurch eine effektivere Erfüllung seines Preisstabilitätsmandats ermöglichen.

In jedem Fall bleibt die Flexibilität bei der Wiederanlage der Tilgungsbeträge fällig werdender Wertpapiere im Portfolio des Pandemie-Notfallankaufprogramms (Pandemic Emergency Purchase Programme – PEPP) die erste Verteidigungslinie, um pandemiebedingten Risiken für den geldpolitischen Transmissionsmechanismus entgegenzuwirken.

Die heute gefassten Beschlüsse finden sich in einer Pressemitteilung auf unserer Website. Einzelheiten zum TPI sind einer separaten Pressemitteilung zu entnehmen, die heute um 15:45 Uhr (MEZ) veröffentlicht wird.

Ich werde nun näher erläutern, wie sich die Wirtschaft und die Inflation unseres Erachtens entwickeln werden. Anschließend werde ich auf unsere Einschätzung der finanziellen und monetären Bedingungen eingehen.

Wirtschaftstätigkeit

Die Wirtschaftstätigkeit verlangsamt sich. Der ungerechtfertigte Angriff Russlands auf die Ukraine ist eine dauernde Belastung für das Wachstum. Die Auswirkungen hoher Inflation auf die Kaufkraft, anhaltende Lieferengpässe und höhere Unsicherheit dämpfen die Wirtschaftstätigkeit. Die Unternehmen sind weiterhin mit höheren Kosten sowie Störungen ihrer Lieferketten konfrontiert, wenngleich es erste Anzeichen dafür gibt, dass sich einige Lieferengpässe zurückbilden. Zusammengenommen trüben diese Faktoren die Aussichten für die zweite Jahreshälfte 2022 und die Zeit danach deutlich.

Zugleich profitiert die Konjunktur weiterhin von der Wiederöffnung der Wirtschaft, einer guten Arbeitsmarktlage und fiskalischer Unterstützung. Insbesondere begünstigt das vollständige Wiederhochfahren der Wirtschaft die Konsumausgaben im Dienstleistungssektor. Da die Menschen wieder zu reisen beginnen, dürfte der Tourismus der Konjunktur im dritten Quartal 2022 Auftrieb verleihen. Gestützt werden die Konsumausgaben durch während der Pandemie aufgebaute Ersparnisse der privaten Haushalte und eine gute Arbeitsmarktlage.

Die Finanzpolitik trägt dazu bei, die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Hauptleidtragenden höherer Energiepreise abzufedern. Befristete und zielgerichtete Maßnahmen sollten so zugeschnitten sein, dass sie das Risiko einer Erhöhung des Inflationsdrucks begrenzen. Die Finanzpolitik in allen Ländern sollte darauf ausgerichtet sein, die Schuldentragfähigkeit aufrechtzuerhalten sowie das Wachstumspotential nachhaltig zu steigern, um die Erholung zu verstärken.

Inflation

Die Inflation hat im Juni weiter auf 8,6 % angezogen. Die steigenden Energiepreise leisteten erneut den größten Beitrag zur Gesamtinflation. Marktbasierte Indikatoren deuten darauf hin, dass die Energiepreise weltweit auf kurze Sicht hoch bleiben werden. Auch der Preisauftrieb bei Nahrungsmitteln hat sich weiter verstärkt und lag im Juni bei 8,9 %. Dies ist teilweise auf die Bedeutung der Ukraine und Russlands als Erzeugerländer von Agrarprodukten zurückzuführen.

Anhaltende Lieferengpässe für Industrieerzeugnisse und die sich erholende Nachfrage, insbesondere im Dienstleistungssektor, tragen ebenfalls zu den derzeit hohen Inflationsraten bei. Der Preisdruck weitet sich auf immer mehr Sektoren aus. Dies liegt teilweise daran, dass die hohen Energiekosten indirekte Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft haben. Dementsprechend sind die meisten Messgrößen der zugrunde liegenden Inflation weiter gestiegen.

Die Inflation dürfte für einige Zeit unerwünscht hoch bleiben. Gründe hierfür sind ein anhaltender Druck durch Energie- und Nahrungsmittelpreise und Druck in den vorgelagerten Stufen der Preissetzungskette (pipeline pressures). Die Abschwächung des Euro-Wechselkurses trägt ebenfalls zu dem höheren Inflationsdruck bei. Aber wenn es künftig nicht zu neuen Störungen kommt, dürften sich die Energiekosten stabilisieren und die Lieferengpässe verringern. Zusammen mit der laufenden geldpolitischen Normalisierung dürfte dies dazu beitragen, dass die Inflation zu unserem Zielwert zurückkehrt.

Die Lage am Arbeitsmarkt ist weiterhin gut. Die Arbeitslosenquote ist im Mai auf einen historischen Tiefstand von 6,6 % gefallen. Offene Stellen in vielen Sektoren deuten auf eine robuste Nachfrage nach Arbeitskräften hin. Auch die zukunftsgerichteten Indikatoren deuten darauf hin, dass sich das Lohnwachstum über die letzten Monate allmählich verstärkt hat, jedoch insgesamt noch in Grenzen hält. Die Belebung der Wirtschaft und gewisse Aufholeffekte dürften mit der Zeit ein schnelleres Lohnwachstum begünstigen. Die meisten Messgrößen für die längerfristigen Inflationserwartungen liegen derzeit bei rund 2 %. Mit Blick auf die jüngsten Korrekturen einiger Indikatoren auf über dem Inflationsziel liegende Werte ist jedoch eine weitere Beobachtung erforderlich.

Risikobewertung

Ein länger andauernder Krieg in der Ukraine birgt nach wie vor ein erhebliches Abwärtsrisiko für das Wachstum. Dies gilt insbesondere, wenn die Energielieferungen aus Russland so stark beeinträchtigt würden, dass es zu einer Rationierung für Unternehmen und private Haushalte käme. Zudem könnte der Krieg das Vertrauen schwächen und angebotsseitige Engpässe verstärken. Zugleich könnten Energie- und Nahrungsmittelkosten dauerhaft höher bleiben als erwartet. Auch eine raschere Verlangsamung des globalen Wachstums wäre ein Risiko für die Aussichten des Euroraums.

Die Inflationsaussichten sind weiterhin mit Aufwärtsrisiken behaftet. Diese haben vor allem auf kurze Sicht zugenommen. Zu den Risiken für die mittelfristigen Inflationsaussichten zählen eine anhaltende Beeinträchtigung der Produktionskapazität unserer Volkswirtschaft, dauerhaft hohe Energie- und Nahrungsmittelpreise, ein Anstieg der Inflationserwartungen über unseren Zielwert und unerwartet starke Lohnzuwächse. Sollte die Nachfrage jedoch mittelfristig zurückgehen, würde dies den Preisdruck verringern.

Finanzielle und monetäre Bedingungen

Infolge der ausgeprägten wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheit sind die Marktzinsen volatil. Die Refinanzierungskosten der Banken haben in den letzten Monaten angezogen, was sich zunehmend in höheren Bankkreditzinsen niederschlägt, insbesondere für private Haushalte. Das Volumen der Bankkredite an private Haushalte ist zwar nach wie vor hoch, angesichts einer niedrigeren Nachfrage dürfte es aber zurückgehen. Auch die Kreditvergabe an Unternehmen zeigt sich robust, da hohe Produktionskosten, Lageraufbau und eine geringere Inanspruchnahme marktbasierter Finanzierung für einen anhaltenden Bedarf an Bankkrediten gesorgt haben. Zugleich ist die Nachfrage nach Krediten zur Finanzierung von Investitionen gesunken. Das Geldmengenwachstum hat sich weiter abgeschwächt, da weniger Ersparnisse in liquider Form gehalten werden und das Eurosystem weniger Vermögenswerte ankauft.

Aus unserer jüngsten Umfrage zum Kreditgeschäft der Banken geht hervor, dass sich die Vergaberichtlinien für sämtliche Kreditkategorien im zweiten Quartal des Jahres verschärft haben. Grund hierfür ist, dass den Banken die Risiken, die das ungewisse Umfeld für ihre Kunden mit sich bringt, zunehmend Sorge bereiten. Die Banken gehen davon aus, dass sie ihre Kreditrichtlinien im dritten Quartal weiter verschärfen.

Schlussfolgerung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Inflation weiterhin unerwünscht hoch ist und für einige Zeit über unserem Zielwert liegen dürfte. Die jüngsten Daten deuten auf eine Wachstumsverlangsamung hin. Dies trübt die Aussichten für die zweite Jahreshälfte 2022 und die Zeit danach. Zugleich wird diese Wachstumsverlangsamung durch eine Reihe positiver Faktoren abgefedert.

Der EZB-Rat hat heute beschlossen, die EZB-Leitzinsen anzuheben. Darüber hinaus hat er das TPI genehmigt. Bei unseren kommenden Sitzungen wird eine weitere Normalisierung der Zinssätze angemessen sein. Der künftige Pfad unserer Leitzinsen wird weiterhin von der Datenlage abhängen und dazu beitragen, dass wir unser Inflationsziel von 2 % auf mittlere Sicht erreichen.

Wir sind bereit, alle unsere Instrumente im Rahmen unseres Mandats anzupassen, um sicherzustellen, dass sich die Inflation mittelfristig bei unserem Zielwert von 2 % stabilisiert. Unser neues TPI wird die reibungslose Transmission unserer Geldpolitik im gesamten Euroraum absichern, während wir den geldpolitischen Kurs weiter anpassen, um der hohen Inflation entgegenzuwirken.

Gerne beantworten wir nun Ihre Fragen.

Der Wortlaut, auf den sich der EZB-Rat verständigt hat, ist der englischen Originalfassung zu entnehmen.

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