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TIPS und die Zukunft innovativer Massenzahlungslösungen in Europa

Rede von Yves Mersch, Mitglied des EZB-Direktoriums, anlässlich der Veranstaltung zum Start von TIPS, Frascati (Rom), 30. November 2018

Einleitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir feiern heute den Start von TARGET Instant Payment Settlement (TIPS), einem neuen Bestandteil des vom Eurosystem betriebenen TARGET-Systems.

Seit der Einführung des Euro im Jahr 1999 hat das Eurosystem einen wesentlichen Beitrag zur Neugestaltung der europäischen Marktinfrastruktur geleistet.

In einem ersten Schritt wurden vom Eurosystem Großbetragszahlungen integriert und konsolidiert. Mit der ersten Systemgeneration von TARGET und dessen Nachfolgesystem TARGET2 gibt es eine Gemeinschaftsplattform für die Echtzeit-Bruttoabwicklung von auf Euro lautenden Zahlungen im Zusammenhang mit geldpolitischen Geschäften des Eurosystems sowie von auf Euro lautenden Interbankenzahlungen und Zahlungen im Geschäftsverkehr.

Zweitens wurden mit TARGET2-Securities Nachhandelsdienstleistungen für Finanzinstrumente harmonisiert. Komplexe grenzüberschreitende Abwicklungsverfahren und Probleme aufgrund der unterschiedlichen Abwicklungspraktiken in den einzelnen Ländern gehören damit der Vergangenheit an.

Mit der Einführung von TIPS trägt das Eurosystem einer im Wandel begriffenen Realität Rechnung, in der angesichts der Digitalisierung die Grenzen zwischen Individualzahlungen und Massenzahlungen verschwimmen. Dank TIPS können Zahlungsdienstleister ihren Kunden Überweisungen in ganz Europa in Echtzeit, rund um die Uhr und jeden Tag im Jahr anbieten.

Die Entwicklung und Umsetzung von TIPS begann im Juni 2017. Das Projekt wurde rechtzeitig, termingerecht und in vollem Umfang abgeschlossen. Wir können stolz auf den Start von TIPS sein, und es gibt gute Gründe zum Feiern. Die Banca d’Italia ist seit der Einführung des Euro ein starker Partner auf dem Gebiet von Infrastruktur-Plattformen des Euroraums und setzt sich weiterhin für eine immer engere Integration der Wirtschaft im Euroraum zum Nutzen aller ein.

Die Bausteine für Innovationen im Massenzahlungsverkehr in Europa

Mit TIPS haben wir nun drei solide Bausteine zur Freisetzung des Innovationspotenzials im Massenzahlungsverkehr in Europa:

Erstens wurden die Regeln für das Geschäft standardisiert und harmonisiert. Das SEPA-Überweisungssystem für Sofortzahlungen bildet die gemeinsame Grundlage für die Einführung innovativer Endverbraucherlösungen im Massenzahlungsverkehr. Ein Jahr nach seiner Einführung sind bereits mehr als 2 000 Zahlungsdienstleister aus 16 verschiedenen Ländern an das System angeschlossen. Die Zahlungsdienstleister folgen den Vorgaben des Euro Retail Payments Boards (ERPB) zu Sofortzahlungen und stellen so ihre Verpflichtung auf dieses Projekt unter Beweis. Die Teilnehmerzahl entspricht in etwa der Hälfte der Zahlungsdienstleister, und wir gehen davon aus, dass die andere Hälfte so bald wie möglich folgen wird.

Zweitens verfügen wir über eine moderne Marktinfrastruktur. TIPS ist eine echte Binnenmarktinfrastruktur für gesamteuropäische Sofortzahlungen mit Abwicklung in Zentralbankgeld. Es gibt flexible Optionen für die Interaktion mit TIPS, die es verschiedenen Marktakteuren ermöglichen, in unterschiedlichen Rollen auf die Plattform zuzugreifen. TIPS basiert auf TARGET2 und bietet somit eine große Reichweite und Dimension. Das System kann auf ein bestehendes Netzwerk mit über 1 700 Teilnehmern und mehr als 51 000 adressierbaren Business Identifier Codes (BIC) zurückgreifen.

Drittens verfügen wir über eine solide Rechtsgrundlage. Die überarbeitete Zahlungsdiensterichtlinie (Payment Services Directive – PSD2) schafft den Rechtsrahmen für Innovationen im Massenzahlungsverkehr. Sie legt Regeln für Drittanbieter fest. Außerdem sorgt sie für einen besseren Verbraucherschutz und mehr Sicherheit für Zahlungsdienste. Die Umsetzung ist allerdings noch nicht abgeschlossen.

Mit diesen drei soliden Bausteinen gibt es kaum Gründe, warum das Potenzial für die Erbringung gesamteuropäischer Dienste nicht ausgeschöpft werden sollte. Ich sage ganz klar: Es reicht nicht, dass Banken das System einfach nur einführen und sich TIPS lediglich anschließen, damit ihre Kunden Sofortzahlungen empfangen können.

Und es reicht auch nicht, die Standard-SEPA-Überweisung für Sofortzahlungen als schnellere Alternative zur SEPA-Überweisung anzubieten. Das Potenzial eines wachsenden Zahlungsvolumens und die Öffnung des Zahlungsmarkts für Drittanbieter von Zahlungsdiensten im Zuge der PSD2 müssen genutzt werden. Wir laden alle Zahlungsdienstleister dazu ein, Lösungen anzubieten, die den Bedürfnissen der Kunden nach sofortigen (oder nahezu sofortigen) Zahlungsdiensten, z. B. für E-Commerce oder Mobiltelefonzahlungen zwischen Einzelpersonen, gerecht werden.

Die Zukunft des Massenzahlungsverkehrs in Europa

Die Art und Weise, wie wir in Europa bezahlen und bezahlen wollen, ändert sich. Es ist eine Verlagerung des Geschäfts in den Bereich des E-Commerce zu beobachten, und für elektronische Massenzahlungen werden zunehmend Mobiltelefone eingesetzt. Die Verbraucher erwarten europaweite Dienste, die sicher, effizient und benutzerfreundlich sind.

Mit der PSD2 sollte die Bereitstellung innovativer Dienstleistungen im Massenzahlungsverkehr erleichtert werden, indem die Wettbewerbsbedingungen für neue Akteure weiter angeglichen werden. Unter den Banken scheint es jedoch Widerstand gegen diese Zielvorgabe zu geben. Sie legen eine defensive Haltung an den Tag, wenn es um den technischen Zugang für neue und innovative Drittanbieter geht. Das schränkt die Möglichkeiten europäischer FinTech-Unternehmen ein, innovative, effiziente und kundenfreundliche Lösungen bereitzustellen. Darüber hinaus ist oft zu hören, dass sich der Druck auf die Margen erhöht. Einige europäische Anbieter verfolgen eine kontraproduktive Strategie und verlangen höhere Preise für Lösungen im Euroraum als ihre außereuropäischen Konkurrenten für Lösungen außerhalb des Euroraums. Aber wie ich bereits gesagt habe, das aktuelle Wachstum des Zahlungsvolumens könnte den Druck zu einem gewissen Teil ausgleichen. Zudem stellen im Fall des E-Commerce Sofortzahlungen eine realistische Alternative zu Kartenzahlungen dar.

In Europa ist mit Blick auf die Rolle von Zahlungen ein Umdenken erforderlich. Wir müssen bei Zahlungen von einem rein operativen Fokus wegkommen und mehr Gewicht auf die strategische Perspektive legen. Nichts ist umsonst. Für den Wechsel von der Batch-Logik zur Echtzeitverarbeitung bei Massenzahlungen ist eine Umstellung bestehender interner Systeme und Verfahren erforderlich. Das bedeutet Investitionen.

Bei der Bewertung der Ausgaben, die für die Modernisierung der internen Zahlungsinfrastruktur der Zahlungsdienstleister erforderlich sind, ist jedoch nicht nur der positive Effekt auf Zahlungen, sondern auch auf sämtliche Produkte und Dienstleistungen zu berücksichtigen, die Banken ihren Kunden anbieten können. In einer Welt, in der Open Banking eine immer größere Rolle spielt, sind Zahlungen ein Ankerpunkt für die Pflege von Kundenbeziehungen und eine zentrale Triebfeder für das Cross Selling.

Um im Wettbewerb mit internationalen Anbietern innovativer Massenzahlungslösungen erfolgreich zu bestehen, müssen europäische Zahlungsdienstleister ihre internen Systeme dringend auf den neuesten Stand bringen.

Schlussbemerkungen

Mit dem Start von TIPS hat das Eurosystem den Boden für innovative, kundenfreundliche Lösungen im Massenzahlungsverkehr bereitet. Hiervon sollen die europäischen Bürgerinnen und Bürger profitieren. Europäische Zahlungsdienstleister müssen die Chancen der modernen Marktinfrastruktur in Europa nutzen und das Feld nicht internationalen Akteuren überlassen. Das hat nichts mit Protektionismus zu tun. Ganz im Gegenteil, solange sie die regulatorischen Anforderungen erfüllen, sind global agierende Unternehmen weiterhin willkommen. Wir müssen jedoch die Ursachen für den Mangel an großen europäischen Akteuren auf dem Zahlungsmarkt angehen. Fehlt es an Investitionskapazität für eine Modernisierung veralteter interner Systeme, die in der Ära der Echtzeitzahlungen nicht mehr reibungslos funktionieren, so sollten wir nicht davor zurückschrecken, gegebenenfalls Ressourcen und Volumen zusammenzufassen und größere Akteure zu schaffen. Eine reine Fokussierung auf die nationalen Märkte wäre ein Schritt zurück. Wir müssen global denken und uns darauf konzentrieren, globale Lösungen zu entwickeln, die sich auf europäische offene Governance stützen und europäische Infrastruktur nutzen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Dieser Text wurde am 30. November 2018 um 20:00 Uhr MEZ an den endgültigen Wortlaut der Rede angepasst.

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Europäische Zentralbank

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